Wie Herr Schmidt einmal Weihnachten rettete
Ein Landshuter Gastronom veranstaltet auf dem Parkplatz seiner Gaststätte einen Christkindlmarkt zum Durchfahren. Wie er es schafft, die Corona-Regeln einzuhalten, und wie der Markt bei den Besuchern ankommt
Landshut St. Nikolaus reicht den Bestellzettel durch das heruntergekurbelte Autofenster. In seiner Kutte steckt ein auffällig junger Kerl, der das Prozedere von Deutschlands wahrscheinlich erstem Drive-inWeihnachtsmarkt erklärt: „Auf der Karte ist alles drauf, die Kollegin da hinten um die Kurve nimmt die Bestellung dann entgegen.“Vor dem eigenen Auto stehen, so weit das Auge reicht, Fahrzeuge mit laufendem Motor, dahinter ebenfalls. Die Fahrgasse ist gesäumt von Christbäumen. In der Luft vereint sich der Dunst von Bratwurst mit dem Dampf des Glühweins zum typischen Geruchsbild eines Christkindlmarkts. Und ein paar Meter weiter fängt es über einem Mercedes tatsächlich zu schneien an. In dichten Flocken, die sich auf der Windschutzscheibe sammeln.
Es scheint so, als habe sich das öffentliche Weihnachten, wie es in Deutschland sonst auf Christkindlmärkten mit Glühwein-Budenzauber zelebriert wird, ein Versteck gesucht – und hier gefunden: in Landshut, auf dem Parkplatz der Brauereigaststätte Zollhaus. Der Chef heißt Patrick Schmidt. Er ist 31 Jahre alt und trotzdem schon Gastronom mit mehr als einem Jahrzehnt Berufserfahrung. Er sagt: „Einfach den Kopf in den Sand stecken, das geht ja nicht.“Bloß zusperren und warten, bis dieses Corona-Elend vorbei ist? Schmidt hat sich Ende Oktober, als sich die nächste Allgemeinverfügung mit geschlossener Gastronomie ankündigte, für eine andere Strategie entschieden. „Wir haben unsere Azubis erst mal fünf Tage lang Weihnachtsplätzchen backen lassen“, erzählt er. Da sei Weihnachtsstimmung quasi schlagartig in der ganzen Mannschaft ausgebrochen. Zu der Zeit habe er sich genau überlegt, was einen Christkindlmarkt denn eigentlich ausmacht. „Und dann bin ich im Geiste durch einen solchen Markt, wie ich ihn mir vorstelle, durchgefahren.“
An diesem frostigen Samstagnachmittag lässt sich Schmidts Vision im wahrsten Sinne des Wortes erfahren. In etwa einer Viertelstunde geht es mit dem Auto hufeisenförmig durch den Drive-in-Weihnachtsmarkt. Vorbei an Buden mit Naschwerk und Ständen, an denen das Essen zubereitet, eingepackt und wiederum durchs Autofenster gereicht wird. „600 bis 1000 Fahrzeuge täglich, das ist drin“, rechnet Patrick Schmidt vor. Man sei jetzt schon deutlich effizienter geworden als am Anfang. Aber irgendwann sei das ausgereizt. „Außerdem sollen die Leute das ja auch genießen“, sagt der Chef. So schnell wie möglich durchrauschen wie bei McDonald’s – das wolle niemand. Geöffnet ist von Donnerstag bis Sonntag von 11 bis 20 Uhr. „Künftig wahrscheinlich auch mittwochs“, sagt Schmidt. Wegen des großen Andrangs. Wenn der so anhalte wie bisher, könnten am Ende 15000 Fahrzeuge durch den kleinen Markt gekurvt sein, glaubt Patrick Schmidt.
Und wie kommt dieses Erlebnis bei den Besuchern an? Als die Dämmerung hereinbricht, muss auf der Kreuzung vor dem Wirtshausgelände der Verkehr geregelt werden. Jetzt dauert es schon fast eine Dreiviertelstunde, bis der Nikolaus am Eingang überhaupt erst in Sichtweite kommt. Es habe schon Tage gegeben, da seien es beinahe eineinhalb Stunden gewesen, sagt Schmidt. Ein Paar aus Passau, das sich gerade Langos im Auto schmecken lässt, öffnet mit leuchtenden Augen die Fenster. „Ich finde das so eine tolle Idee, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“
Ein paar Fahrzeuge weiter hinten sitzen Xenia und Tim in einem Auto mit Böblinger Kennzeichen. Böblingen, das liegt südwestlich von Stuttgart. Sind sie wirklich extra wegen des Drive-in-Weihnachtsmarktes gekommen? Xenia nickt. Knapp drei Stunden, einfache Fahrt. „Ob es sich gelohnt hat? Freilich“, sagt Tim am Steuer und freut sich über sein Popcorn. Besonders der so realistisch wirkende Kunstschnee sei, „der absolute Knaller“.
Patrick Schmidt freut sich, dass die Besucher so viel Spaß an dem Weihnachtsmarkt zum Durchfahren haben. „Aber natürlich muss man wegen Corona schon auf ein paar Feinheiten achten“, sagt er. Beim Glühwein zum Beispiel. Den darf er nicht einfach so trinkfertig im Becher ausschenken. Denn das wäre ja Bewirtung, wie sie im Moment nicht erlaubt ist. „Also schenken wir ihn in Thermoskannen ein, verschließen sie. Dann bleibt der Glühwein bis daheim warm.“Kostenpunkt für einen halben Liter inklusive Thermosflasche: 13 Euro. Er und sein Team – insgesamt sind zwölf Menschen auf und mit dem Weihnachtsmarkt beschäftigt – sind sämtliche Geschäfte im Umkreis von 50 Kilometern angefahren, um ausreichend Thermoskannen vorrätig zu haben.
Doch woher hatte Patrick Schmidt eigentlich den Einfall mit dem Weihnachtsmarkt zum Durchfahren? Das Konzept beruht auf einem Coup, den der Gastronom schon während der ersten Schließung im Frühjahr landete: die
Drive-in-Dult. Die Dult, das ist in Landshut das traditionelle Volksfest, für Einheimische im Rang des Oktoberfests. „Schon damals haben die Leute das toll angenommen“, erinnert sich der Gastronom. Und nicht nur die – auch das Medienecho war enorm und schallte bis über den Atlantik, zum Beispiel in der New York Times oder der Washington Post. Und jetzt wieder, mit dem Weihnachtsmarkt. „Nächste Woche hat sich die BBC angekündigt“, sagt Schmidt.
Aber was hat Weihnachten für ihn selbst für eine Bedeutung? Und der Christkindlmarkt? „Wenn Sie’s nur allein wegen dem Geld machen, dann kriegen Sie so eine Atmosphäre, so eine Stimmung gar nicht hin.“Sicher sei der tolle Erfolg eine schöne Sache, „aber eine normale Saison wäre mir lieber“. Denn die vielen Weihnachtsfeiern, von denen er nicht glaubt, dass sie werden stattfinden dürfen, könne der Weihnachtsmarkt nicht kompensieren. Froh ist er trotzdem, dass seine Mitarbeiter was zu tun haben – und dass Kurzarbeit kein Thema sei.