Donau Zeitung

„Sie haben Heldentate­n vollbracht“

Die Pandemie stellt Einrichtun­gen für Menschen mit Behinderun­g vor besonders große Herausford­erungen. Sie fordern vom Freistaat und den Krankenkas­sen mehr Unterstütz­ung

- VON ADRIAN BAUER

Königsbrun­n Mit Herausford­erungen kennen sich Gregor Beck und die Mitarbeite­r des Fritz-Felsenstei­n-Hauses (FFH) in Königsbrun­n eigentlich aus: 400 schwer mehrfach behinderte Menschen leben in der Einrichtun­g im südlichen Landkreis Augsburg oder gehen dort zur Schule. Mit individuel­ler Betreuung und modernster Technik erarbeitet das Team passende Lösungen für sie: Menschen, die nicht sprechen oder sich kaum bewegen können, lernen auf diese Weise, im Rahmen ihrer Möglichkei­ten ein selbstbest­immtes Leben zu führen. Doch die CoronaPand­emie stellt die Felsenstei­ner und viele andere Einrichtun­gen in Bayern seit Monaten vor essenziell­e Probleme.

Aufgrund ihrer körperlich­en Voraussetz­ungen gehören viele Bewohner von Behinderte­neinrichtu­ngen zur höchsten Risikogrup­pe. Deshalb blieben zahlreiche Arbeitsstä­tten und Schulen teils von März bis Anfang Juli geschlosse­n. Ein Zustand, an den sich Einrichtun­gsleiter Gregor Beck schaudernd erinnert: „Es wird immer davon gesprochen, wie schwierig das Homeschool­ing war. Doch die Eltern und Angehörige­n unserer Klienten haben in diesen Monaten wahre Heldentate­n vollbracht.“Vollzeit für die Rundumbetr­euung eines schwer mehrfach behinderte­n Menschen zu sorgen, sei eine Herkulesau­fgabe. Pflegepers­onal für eine häusliche Betreuung sei kaum zu bekommen gewesen. Die Einrichtun­gen organisier­ten zwar Hausbesuch­e von Therapeute­n, das sei aber bestenfall­s punktuell eine Entlastung für die Familien gewesen, sagt Beck: „Die Eltern wurden mit dieser enormen Aufgabe von der Politik allein gelassen und waren, das muss man so deutlich sagen, wieder einmal die Deppen der Nation.“

Für die Einrichtun­gen selbst war die monatelang­e Schließung auch finanziell ein enormes Problem. Im Felsenstei­n-Haus freut man sich, dass man mit den Geldgebern wie dem Bezirk Schwaben und den Schulfinan­zierern faire Lösungen gefunden hat. Doch die Krankenkas­sen blieben trotzdem hart: Geld gab es nur für tatsächlic­h geleistete Therapiest­unden. „Das hat bei uns ein Loch von mehreren hunderttau­send Euro gerissen“, sagt Gregor Beck. Als Organisati­on, die nicht profitorie­ntiert arbeitet, haben die Königsbrun­ner keine großen Rücklagen, um solch einen Einschnitt abtrifft zufangen. Den ersten Stillstand habe man einigermaß­en verkraftet, sagt Gregor Beck. Bei weiteren Schließung­en sei allerdings der Fortbestan­d des Fritz-Felsenstei­n-Hauses gefährdet.

Denn Fördertöpf­e für Behinderte­neinrichtu­ngen in privater Trägerscha­ft gab und gibt es nicht. Das nicht nur die Felsenstei­ner hart: Gemeinsam mit zahlreiche­n anderen Trägern aus ganz Bayern haben sie an die zuständige­n Ministerie­n und die Krankenkas­sen appelliert, die Arbeit der Organisati­onen besser zu unterstütz­en. Die bayerische­n Behinderte­nbeauftrag­ten haben mit einer gemeinsame­n

Erklärung ebenfalls weitere Anstrengun­gen angemahnt, um die Fortschrit­te im Bereich der Teilhabe für Menschen mit Behinderun­g nicht aufs Spiel zu setzen. Auf Entscheidu­ngen über eine bessere Förderung warten die Einrichtun­gen aber nach wie vor.

Daher konzentrie­ren sich die Verantwort­lichen darauf, die Schulen und Einrichtun­gen offen zu halten und ihre Klienten bestmöglic­h zu schützen. Keine leichte Aufgabe, denn für ihre Arbeit gibt es kaum Handreichu­ngen, sagt Gregor Beck: „Die Allgemeinv­erfügung für die Schulen bildet unsere Arbeit überhaupt nicht ab.“Die Kinder und Jugendlich­en im Felsenstei­n-Haus brauchen eine individuel­le Betreuung, für die Spezialist­en verschiede­ner Fachrichtu­ngen zusammen und mit ihnen arbeiten. Getrennte Gruppen zu bilden, sei da nicht möglich.

Das bedeutet im Falle von Infektione­n auch jede Menge Gefahrenpo­tenzial, sagt Gregor Beck: „Wir haben ausgerechn­et, dass ein Klient während der Inkubation­szeit des Virus Kontakt zu 100 Menschen hat. Da muss man schon abwägen, ob man den Vollbetrie­b wieder hochfährt.“Bei 400 Klienten, die im Felsenstei­n-Haus betreut oder beschult werden, und 400 Mitarbeite­rn bedeutet das, das acht Corona-Fälle ausreichen würden, um die Einrichtun­g lahmzulege­n. Hinzu kommt, dass ein Drittel der erwachsene­n Klienten und ein Viertel der Schüler aufgrund ihrer Behinderun­g keine Maske tragen können.

Seit dem Ende der Sommerferi­en arbeitet das Felsenstei­n-Haus in Königsbrun­n wieder in einem angepasste­n Vollbetrie­b. Die Verantwort­lichen haben ein Hygiene-Konzept erarbeitet, viele Gruppenakt­ivitäten gestrichen und die Eltern für maximale Vorsicht vor Ansteckung­en sensibilis­iert. Im September und Oktober sei der Betrieb sehr gut gelaufen, doch mit den allgemein steigenden Zahlen im November kamen auch in Königsbrun­n die Einschläge näher, sagt Beck.

Die Bewohner und Mitarbeite­r hielten bewunderns­wert zusammen. Und die Meldungen über bald verfügbare Impfstoffe seien zumindest ein Silberstre­if am Horizont. Doch trotz aller Vorkehrung­en müsse man auch hoffen, dass alles gut geht, sagt der FFH-Chef: „Aber eine weitere Schließung konnten wir den Eltern einfach nicht antun. Deshalb halten wir den Betrieb am Laufen, solange es geht.“

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Symbolfoto: Fredrik von Erichsen, dpa Menschen mit Behinderun­g sind oftmals besonders gefährdet, sich mit dem Corona‰ virus zu infizieren.
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