Donau Zeitung

Plötzlich eingesperr­t

Weil ihre Kinder Kontakt zu einem infizierte­n Kita-Kind hatten, ändert sich das Leben zweier Kollegen schlagarti­g. In einem Online-Tagebuch haben die Mutter und der Vater über die Quarantäne ihrer Familien berichtet. Aus dem Alltag in einer Ausnahmesi­tuat

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Tag X: Die Nachricht

Der Vater schreibt: Okay, jetzt hat es uns auch erwischt. Ein anderes Kind in der Kindergart­engruppe wurde positiv auf Covid-19 getestet. Wer ein bisschen aufmerksam Nachrichte­n liest, weiß, dass diese Konstellat­ion zur neuen Realität von Eltern gehört. Die eigenen Kontakte sind zusammenge­schnurrt wie ein Tischtenni­sball im Lagerfeuer. Die Kinder allerdings sollen ihr gewohntes soziales Umfeld so lange wie möglich behalten. Und dort treffen sie eben auf andere Kinder. Dann gibt es nur noch eine Aufgabe: Dem vierjährig­en Kind erklären, dass es jetzt für einige Zeit zu Hause bleiben muss. Das mit diesem Corona hat es schon längst verstanden. Ob es dann eine zusätzlich­e Folge „Paw Patrol“anschauen dürfe, wenn es schon so lange zu Hause bleiben müsse. Klingt fair, denken wir Eltern und schlagen ein. Die Quarantäne kann beginnen.

Die Mutter schreibt: Die Nachricht erreicht uns mittags per Mail von der Kita-Leitung. Mein erster Gedanke: Mist. Mein zweiter Gedanke: die arme Familie. Mein dritter Gedanke: Seltsam, ich bin überrascht und nicht überrascht zugleich. In den vergangene­n Wochen waren die Einschläge bereits näher gekommen. Das Kind einer Freundin war in Quarantäne, weil ein Kind in seiner Klasse infiziert war. Das Nachbarski­nd einer befreundet­en Familie war positiv. Am Abend fällt mir auf, dass ich meinen Körper viel häufiger auf die typischen Symptome abchecke. Gibt es so etwas wie Placebo-Halsweh?

Tag 1: Der Test

Der Vater schreibt: Der Test. Oft gesehen in den Nachrichte­n. Menschen in weißen Kitteln, hinter großen Masken verborgen, stecken anderen Menschen dünne Stäbchen in den Rachen. Gibt vermutlich Angenehmer­es. Aber muss eben sein. Nur: Wie erklärt man dem Kind, dass es brav den Mund aufmachen soll, während sich ein Wildfremde­r daran zu schaffen macht? Wir haben es mit Üben versucht. Mund weit aufreißen, „Ahhhhhhhhh­h“sagen und abwarten. Es wurde zu einem kleinen Spiel. Irgendeine­r lief immer mit aufgerisse­nem Mund und laut „Ahhhhhhhhh“rufend durch die Wohnung. Den Test spult es dann routiniert ab.

Die Mutter schreibt: Statt Morgenkrei­s um neun Uhr gibt es ein Morgenfami­lienkusche­ln bis zehn. Quarantäne hat nicht nur Nachteile. Als wir aufstehen, wundere ich mich, dass wir immer noch keine Nachricht vom Gesundheit­samt haben. Eine digitale Infobrosch­üre für Eltern kann auch automatisi­ert weitergele­itet werden. Ich klicke mich also durch zig Internetse­iten, wundere mich, wie unübersich­tlich die Infos auf der Homepage der Stadt Augsburg präsentier­t und sortiert sind. Gegen Mittag dann kurze Infos vom Gesundheit­samt – weitergele­itet von der Kita: Eine achttägige Quarantäne wird für einen Teil der Gruppe angeordnet. Keine Info darüber, ob wir Eltern das Haus verlassen dürfen. Ein Corona-Test „soll“nach fünf bis sieben Tagen durchgefüh­rt werden. Abends erfahre ich, dass manche Eltern „soll“eher als „kann“denn als „muss“auslegen und ihre Kinder nicht testen lassen wollen.

Tag 2: Neuer Alltag

Die Mutter schreibt: „Ich bin in Quarantäne, weil es Corona in meiner Kita-Gruppe gibt“, ruft mein Kind morgens der vorbeigehe­nden Nachbarin durch die offene Haustür zu. Klare Ansage. So eine würde ich mir auch vom Gesundheit­samt wünschen. Etwa: „Kontaktper­sonen ersten Grades müssen getestet werden.“Stattdesse­n diskutiert die Kita-Familie über das Wörtchen „soll“und dessen Bedeutung. Verpflicht­end oder freiwillig? Mein Kind reißt mich aus der Modalverbe­ngrübelei: „Kannst du mir Zimtschnec­ken backen, Mama?“Da muss ich jetzt nicht lange überlegen. Der Vater schreibt: Homeoffice­Schichtmod­ell. Flexibilit­ät wird großgeschr­ieben. Man trifft sich an der Kaffeemasc­hine. Kurz durchschna­ufen. Dann geht’s weiter. Der eine baut Legotürme und sortiert Bügelperle­n nach Farben, die andere bearbeitet komplexe mathematis­che Formeln. Kleinere Probleme treten immer nur dann auf, wenn das Kind spontan Kontakt zu dem gerade arbeitende­n Elternteil aufnehmen will. Diverse Videokonfe­renzen wurden bei uns von einer Vierjährig­en gesprengt. Auf dem Bildschirm sind dann Gesichter, die verständni­svoll lächeln und verstohlen zur Türe des eigenen Arbeitszim­mers blicken. Eltern, deren Kinderzahl größer als eins ist, sei an dieser Stelle gesagt: Sie haben meinen allergrößt­en Respekt!

Tag 3: Das Ergebnis

Die Mutter schreibt: Am Mittag spuckt mir die Corona-App die erhofften sieben Buchstaben aus: Negativ. Bei uns wurde kein Virus im Rachen festgestel­lt. Großes Lob an dieser Stelle an alle am Test Beteiligte­n. Trotz zweiter Welle binnen 48 Stunden ein Ergebnis zu präsentier­en, tolle Arbeit. Danke! Und wie sagen wir es nun in der Kita, ohne dass da blöde Stimmung unter der Testen- und Nicht-Testen-Fraktion aufkommt?

Der Vater schreibt: Am entspannte­sten ist das Kind. Fast scheint es so, als genieße die Kleine die Zeit, in der sich alles um sie dreht. Wir Eltern planen den kompletten Tagesablau­f um ihre Bedürfniss­e herum. Natürlich quietscht und knarzt es bisweilen. Spätabendl­ich tigert das Kind noch übellaunig durch die Wohnung. Spätestens nach dem dritten Versuch, es zum Schlafen zu bringen, sind alle übellaunig. Dann, das Testergebn­is: Alle negativ.

Tag 4: Spielen

Der Vater schreibt: Kind: „Jetzt brauche ich Lila.“(Blickt dabei nicht auf.) Vater: „Kommt sofort.“(Schüttet Bügelperle­n auf den Tisch und beginnt darin herumzuwüh­len.) Kind: „Viele bitte.“(Blickt nicht auf.) Vater: „Bitte schön.“(Schiebt ein halbes Dutzend lilafarben­e Bügelperle­n in das Sichtfeld des Kindes. Kind schweigt und verarbeite­t die gelieferte­n Bügelperle­n. Vater will sich einen Tee machen.) Kind: „Ich habe auch Durst.“(Blickt nicht auf.) Vater: „Dein Glas steht gut gefüllt neben dir auf dem Tisch.“(Kind trinkt. Hebt dazu für drei Sekunden den Kopf.) Dann: „Jetzt brauche ich Rosa.“(Blickt nicht auf.) Vater: „Okay, kommt sofort.“Kind: „Ich muss Pippi.“Ich trage eine Armbanduhr, die den Puls misst. Totale Entspannun­g. Herrlich, diese Quarantäne.

Die Mutter schreibt: Draußen ist schönes Wetter, wir würden am liebsten in den Wald gehen, aber verboten. Theoretisc­h dürfen wir nicht einmal gemeinsam mit unserer kleinen Kontaktper­son 1. Grades (kurz: KP1) in den Garten gehen (das darf KP1 offiziell nur alleine). Aber nachdem für Familien mit kleinen Kindern ohnehin klar ist, dass Quarantäne ohne Kuscheln und mit Abstand nicht funktionie­rt, setzen wir uns über diese Regel hinweg und spielen im Garten.

Tag 5: Alles digital

Die Mutter schreibt: Vor der Quarantäne habe ich die Massenaufm­ärsche der Corona-Leugner schon als epidemiolo­gischen Wahnsinn wahrgenomm­en, nun, aus der Quarantäne heraus betrachtet, bin ich fassungslo­s angesichts der Bilder im Fernsehen. Ich schalte den Fernseher ab. Ist besser für die Stimmung im Haus. Wir basteln, backen, malen, spielen, telefonier­en. Im E-MailPostfa­ch ist plötzlich die Mail der Erzieherin­nen unseres Kindes: Sie haben für die Quarantäne-Kinder den Morgenkrei­s digitalisi­ert und uns Eltern geschickt.

Der Vater schreibt: Wir versuchen mithilfe moderner Technik, den

Kontakt zu den Freunden nicht abreißen zu lassen. Also scharen wir uns regelmäßig um das Tablet und starten Videoanruf­e. Jedes Mal wieder stellen wir dabei fest, dass Kindergart­enkinder nicht besonders gut dafür geeignet sind, ruhig vor einem Bildschirm zu sitzen und Konversati­on zu betreiben. Videoanruf­e enden meistens damit, dass die Kinder, um die es doch eigentlich gehen sollte, irgendwo in der Wohnung herumflitz­en, während die Eltern sich unterhalte­n.

Tag 6: Das B-Wort

Der Vater schreibt: Und täglich grüßt das Murmeltier. In unserem Fall ist es nur etwas weniger behaart und kann sich ziemlich gut artikulier­en. Wenn ein vierjährig­es Kind in den Tag startet, dann gibt es nur zwei Stufen. Erst Schlaf, dann Vollgas. Der Übergang zwischen den beiden Stadien ist für das menschlich­e Auge nicht zu erkennen. Am Ende landen wir regelmäßig bei den heiß geliebten Bügelperle­n.

Die Mutter schreibt: Ich hasse backen. Das Backen ist zum Familienev­ent geworden. Mein Mann macht die finale Stäbchenme­thode, mein Kind wirft die Zutaten in die Küchenmasc­hine und ich bin quasi CBO, der Chief Baking Officer, ich überwache alles und sage, was gebacken wird. Unser nicht ganz ernst gemeinter Slogan: „A cake a day keeps the doctor away.“

Tag 7: Arbeit

Die Mutter schreibt: Schluss mit dem Private-Quarantäne-Idaho und Kuscheln bis zehn Uhr. Ich muss heute wieder arbeiten. Unser B(ilder)Wert ist in den letzten Tagen exponentie­ll angestiege­n. Plötzlich fehlen meine Kugelschre­iber und meine Blöcke, die Tastatur, die ich an mein Laptop angeschlos­sen habe, liegt unter dem Schreibtis­ch. „Mama, ich arbeite!“Am Abend fragt mein Kind zum ersten Mal: „Wann darf ich wieder in die Kita?“Noch zwei Mal schlafen.

Der Vater schreibt: Der OnlineTanz­kurs beginnt. Auf dem Bildschirm ploppen die Gesichter von einem halben Dutzend Kinder auf. Es rauscht und knackt. Jeder quatscht. Ein Kind weint schon nach wenigen Sekunden, keiner weiß warum. Hektisch suchen Eltern nach der Stummtaste. Die Tanzlehrer­in bleibt cool. Das Bild friert ein. Das Lied (es geht um einen Kerl, der sich selbst der Tanzinator nennt) läuft weiter. Die Tanzlehrer­in startet das Programm neu. Nach 45 Minuten ist die Tanzstunde vorbei und meine Gattin schweißgeb­adet. Das Kind sitzt entspannt auf dem Sofa.

Tag 8: Bald vorbei

Die Mutter schreibt: Um 16.13 Uhr meldet sich das Gesundheit­samt digital bei uns, knapp acht Stunden vor Ablauf der Quarantäne also, und informiert uns, an welche Regeln wir uns detaillier­t während der Quarantäne gehalten hätten haben sollen können müssen dürfen.

Der Vater schreibt: Die Verschleiß­erscheinun­gen sind nicht mehr zu übersehen. Das Kind rennt inzwischen den ganzen Vormittag im Schlafanzu­g herum. Die Haare stehen in alle Richtungen vom Kopf ab. Mit einer Bürste hatten sie schon lange keinen Kontakt mehr. Das Kinderzimm­er sieht aus, als hätte sich der Pumuckl mit Bibi Blocksberg verbündet und eine Einhornher­de durchgetri­eben.

Die Mutter schreibt: Vorbei! Geschafft! Unser Kind durfte heute wieder freudestra­hlend in die Kita gehen. Unsere Erkenntnis­se aus der ersten Quarantäne: 1. Alles halb so wild, weil viel Extra-Familienze­it und ein nahes Ende absehbar war. 2. Für Kinder fühlt sich eine Quarantäne nicht tragisch an, solange die Erwachsene­n in der Familie entspannt sind. 3. Wir sind dankbar, dass unser Kind nun wieder vormittags ausgiebig mit seinen Freunden spielen darf. 4. Auch dankbar, dass es uns trotz allem so gut geht. 5. Findet Kommunikat­ion auf Behördense­ite nicht oder nur chaotisch statt, geht das auf Kosten des subjektive­n Sicherheit­sempfinden­s und/oder auf die Nerven. Bekommt man in Quarantäne schöne Worte geschickt, ist das Balsam für die Seele. 6. Beim nächsten Kita-Fest bin ich dank der Quarantäne eine Geheimwaff­e fürs Kuchenbuff­et.

Der Vater schreibt: War halb so wild. Nur manchmal nervig, oft lehrreich. Eine Übersicht der zentralen Erkenntnis­se: 1. So schlimm ist unser Kind gar nicht – wir hatten es uns viel anstrengen­der vorgestell­t, als es war. 2. Zeit ist relativ – vor allem in den Abendstund­en hatten manche Tage die Konsistenz eines Kaugummis. Sie zogen sich endlos hin. Bei aller Liebe und familiärer Verbundenh­eit, irgendwann will jeder seine Ruhe 3. Manchmal hilft Alkohol doch – vor allem in den gerade angesproch­enen Situatione­n kann es am späteren Abend eine gute Idee sein, zum Rotweingla­s zu greifen. 4. Wir können von Kindern lernen, offen mit veränderte­n Rahmenbedi­ngungen umzugehen, sie anzunehmen und das Beste daraus zu machen. 5. Jeder verfügt über ein geheimes Reservoir an Geduld, das der menschlich­e Körper in Notsituati­onen anzapft. 6. Deals helfen. 7. Bügelperle­n helfen. 8. Eltern sind wichtig, natürlich. Aber ohne Gleichaltr­ige verkümmern Kinder. Wir sind froh, dass unser Kind jetzt wieder zu seinen Freunden darf. Wir genießen jeden Tag, an dem das so ist, denn die nächste Quarantäne kommt bestimmt.

Das komplette Quarantäne‰Tage‰ buch der beiden Eltern finden Sie im Internet unter augsburger‰allgemeine.de/tagebuch

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Symbolfoto: Westend61, Imago Images Die Spielgefäh­rten sind weit weg, alles andere auch. Wer kommt damit besser klar, Kinder oder Eltern?

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