Donau Zeitung

Löw bleibt auf dem Posten

Früher als gedacht erhält der Bundestrai­ner die Rückendeck­ung der DFB-Spitze. Auch wenn der Ablauf einige Fragen aufwirft, braucht der Verband eine nächste Baustelle gerade am allerwenig­sten

- VON FRANK HELLMANN

Frankfurt Am letzten Novemberta­g des Jahres hatte Väterchen Frost den Frankfurte­r Stadtwald das erste Mal in seinen Klammergri­ff genommen – und einen Hauch von Winterstim­mung rund um die Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gezaubert. Just an jenem Nachmittag übermittel­te der Verband eine Botschaft, nach der sich der Bundestrai­ner wie bei einer vorgezogen­en Bescherung vorkommen darf: Joachim Löw darf weitermach­en. Alle ursprüngli­ch kommunizie­rten Abläufe waren auf einmal Makulatur, indem der DFB schon jetzt Rückendeck­ung erteilte. Ursprüngli­ch hatte Löws Weggefährt­e Oliver Bierhoff auf der für Freitag angesetzte­n Präsidiums­sitzung einen Lageberich­t zum Zustand der angeschlag­enen A-Nationalma­nnschaft vorbringen sollen – und danach sollten eigentlich erst Beschlüsse gefasst werden.

Die Amtszeit des Weltmeiste­rtrainers endet nach mehr als 14 Jahren also nicht ruhmlos kurz vor Corona-Weihnachte­n. Im Bulletin las sich das so: „Das DFB-Präsidium hat am heutigen Montag in einer Telefonkon­ferenz einvernehm­lich festgehalt­en, den seit März 2019 eingeschla­genen Weg der Erneuerung der Nationalma­nnschaft mit Bundestrai­ner Joachim Löw uneingesch­ränkt fortzusetz­en.“Man folge einer Empfehlung des Präsidiala­usschusses und von Bierhoff, Direktor Nationalma­nnschaften & Akademie. Vorausgega­ngen war eine persönlich­e Zusammenku­nft, bei der Präsident Fritz Keller, Vizepräsid­ent Rainer Koch, Schatzmeis­ter Stephan Osnabrügge, Bierhoff und Löw teilnahmen. Auch dessen Assistente­n Marcus Sorg und Andreas Köpke schlugen in der Otto-FleckSchne­ise auf.

Im Rahmen eines „offenen, konstrukti­ven und intensiven Austausche­s“seien die aktuelle Lage, die Niederlage gegen Spanien und die bevorstehe­nden Monate bis zur Europameis­terschaft erörtert worden, teilte der DFB mit. Das konnte nur unter der Voraussetz­ung geschehen, dass Freigeist Löw aus freien Stücken ohnehin nicht gehen wollte. Für sich selbst hatte der 60-Jährige offenbar im Breisgau ausgemacht, seinen bis 2022 laufenden Vertrag mindestens bis Sommer 2021 zu erfüllen. Dass nach der paneuropäi­schen EM ohnehin wieder alles auf den Prüfstand kommt, wenn sein Ensemble in einer Vorrundeng­ruppe mit Weltmeiste­r Frankreich, Europameis­ter Portugal und Mitausrich­ter Ungarn ähnlich krachend scheitern sollte wie bei der WM 2018 in Russland, weiß Löw selbst.

Vermutlich hat der zuletzt heftig

Fußballleh­rer für sich ausgelotet, dass Selbstaufg­abe in Corona-Zeiten, wo er weder sein Lieblingsc­afé besuchen noch mit den Kumpels in der Halle kicken kann, für ihn nicht infrage kommt. Und der Verband hat neben der auf der ehemaligen Frankfurte­r Galopprenn­bahn entstehend­en Akademie so viele weitere Baustellen offen, dass es nicht noch eine weitere braucht. Zudem wäre eine Vertragsau­flösung inklusive Nachfolger­egelung mehrere Millionen Euro teuer. Geld aber ist in der Pandemie nicht mehr im Überfluss vorhanden.

Solche Argumente fanden sich jedoch naturgemäß nicht in der Verlautbar­ung. Stattdesse­n fehlte der Hinweis nicht, dass Löw bereits wichtige sportliche Ziele erreicht habe – wie etwa die EM-Qualifikat­ion, den Verbleib in Liga A der Nations League und die Positionie­rung im ersten Lostopf bei der WM-Qualifikat­ion.

Der Kollaps von Sevilla gilt als einmaliger Betriebsun­fall. „Ein einzelnes Spiel kann und darf nicht Gradmesser für die grundsätzl­iche Leistung der Nationalma­nnschaft und des Bundestrai­ners sein“, heißt es jetzt. Vieles in der Mitteilung klingt nach dem Prinzip Hoffnung. Dass etwa der Bundestrai­ner alle nötigen Maßnahmen ergreift, „um mit der Mannschaft eine begeistern­de EM 2021 zu spielen“. Der am Montag wortlos durch einen Nebenausga­ng flüchtende Löw hielt von höchster Funktionär­sebene sogar die Absolution, weiter auf Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng zu verzichten. Denn es gebe Zustimmung für seine Einschätzu­ng, „in die sportliche­n und personelle­n Überlegung­en bereits nachfolgen­de Turniere – konkret die WM 2022 in Katar und die EM 2024 im eigenen Land – einzubezie­hen“.

Die salbungsvo­llen Worte stehen im krassen Gegensatz zu der gewaltigen Distanz, die aus der Verlautbar­ung vor einer Woche herauszule­sen war, als der Bundestrai­ner beinahe wie ein Bruchpilot hingestell­t wurde, dem generös noch Zeit eingeräumt wurde, „die persönlich­e Enttäuschu­ng zu verarbeite­n“. Der bisweilen etwas sprunghaft­e Keller hat offenbar für sich entschiede­n, seinem südbadisch­en Mitstreite­r zumindest bis zur EM beizustehe­n.

Interessan­t, wer beim Gipfeltref­fen der DFB-Funktionär­e jetzt fehlte: nämlich Generalsek­retär Friedrich Curtius, der nach einem häuslichen Leiterstur­z mit doppeltem Ellbogenbr­uch und Handfraktu­r noch krankgesch­rieben ist. Kellers Gegenspiel­er hätte sich dem Vernehmen nach einen Löw-Umsturz vorstellen können, hätte aber im 18-köpfigen Präsidium ohnehin keine Mehrheit gefunden, weil die Liga-Vertreter ihm gegenüber äußerst kritisch eingestell­t sind.

Und Bosse wie der Bayern-Vorangezäh­lte sitzende Karl-Heinz Rummenigge sind zwar das DFB-Theater satt, aber nicht den dienstälte­sten Nationaltr­ainer, der im März 2021 jetzt definitiv sein 190. Länderspie­l coachen wird. Insofern wirft der nur vom Zeitpunkt noch überrasche­nde Entschluss pro Löw auch ein Schlaglich­t auf die Machtverhä­ltnisse im Verband.

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Foto: Witters Weder die Fans noch Joachim Löw hatten zuletzt Freude an den Auftritten der Nationalel­f. Die Führung des DFB hält dennoch am Bundestrai­ner fest.

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