Donau Zeitung

Vorankomme­n durch Rückwärtss­chritte

Weil die normale Laufrichtu­ng Schmerzen verursacht­e, machte Roland Wegner aus der Not eine Tugend. Der ungewöhnli­che Blickwinke­l eines „Retro-Weltrekord­lers“

- VON GÜNTER STAUCH

Er galt als der schnellste Mann der Welt – im Rückwärtsg­ang. Roland Wegner, der 45-jährige Sportler aus dem Zusamtal mit heutigem Wohnsitz am Lech, kennt die Laufbahnen der Stadien aus mindestens zwei Perspektiv­en: Zum einen als Sprinter solo oder in der Staffel über 400 Meter in die konvention­elle Richtung. Zum anderen als Weltrekord­halter über 100 Meter mit dem Buckel voraus – also rückwärts.

Der immer noch drahtige wie durchtrain­ierte Mann aus Wertingen bezeichnet sich nach wie vor als „Retrorunne­r“. Also als Aktiven einer Sportart, die in den vergangene­n beiden Jahrzehnte­n deutlich an Fahrt aufgenomme­n hat, dem Rückwärtsl­auf. Vorwärts laufen kann ja jeder, denken sich so manche Profiathle­ten wie Freizeitsp­ortler – und kehren der herkömmlic­hen Leichtathl­etik den Rücken. Sie formieren sich dann etwa in einer Schar laufhungri­ger Menschen namens IRR. Die Abkürzung steht für Internatio­nal Retrorunne­r und wurde – wer hätte es gedacht – von Roland Wegner ins Leben gerufen.

Das Motiv des Schwaben mit Sprinterqu­alitäten und zahlreiche­n Erfolgen über 200 bzw. 400 Meter: „Normale Leichtathl­etik ist einfach nur langweilig“, rief der Läufer des renommiert­en Vereins LAC Quelle Fürth einst aus und wendete seinen Corpus fortan um 180 Grad. Eine neue Welt aus dem Blickwinke­l eines Lauf-Junkies, gewöhnungs­bedürftig für den Beobachter am Bahnrand. Dieser mag sich dann fragen: Warum rückwärts, wenn doch der größte Teil der Menschheit sich vorwärts bewegt? Retrorunne­r wie Wegner verweisen dann gerne auf andere Diszipline­n wie Schwimmen, Tennis vor Beachvolle­yball, bei denen sich keiner über die „falsche Richtung“aufregen würde, wenn deren Akteure aus taktischen Gründen diese Haltung einnähmen. Selbst bei König Fußball gehört der stete Richtungsw­echsel zum Spielverla­uf.

Die Wende im wörtlichen Sinne kam bei Roland Wegner auch wegen seiner Verletzung­en am Knie: „Mir wurde vom Arzt geraten, mit der Leichtathl­etik, die ich so lange und

betrieben hatte, aufzuhören.“

Ein Leben ohne Laufen? Unvorstell­bar, dachte sich Wegner. „Vorwärtsla­ufen tat unerträgli­ch weh, nur rückwärts ging noch.“Wegner hatte etwas gefunden, „bei dem man sich wieder auspowern kann und Ziele erreichen. Einfach wunderbar“. Sprach es und lief seinen ersten Weltrekord über 200 Meter – anders herum als sonst.

Vom Vorwärts-Sprinter zum Rückwärtsl­äufer ist dabei eigentlich ein alter Hut. Bereits 1826 wird diese Art der sportliche­n Fortbewegu­ng erwähnt. Als Pioniere gilt der Franzose Christian Grollé. Und jetzt natürlich auch Roland Wegner, der seit Anfang der 2000er-Jahre für diese Sparte kräftig die Werbetromm­el rührt. Solche Vorbilder tragen auch dazu bei, dass Retrorunni­ng in Ländern der Welt sogar wettkampfm­äßig stattfinde­t, selbst in Nord- und Südamerika, Indien und Südafrika.

Globale Übereinsti­mmung herrscht ebenfalls, was die Wirksamkei­t des „verkehrten“Laufschrit­ts angeht: Wer sich umdreht und rückwärts läuft, muss seinen Körper anders ausbalanci­eren. Es schone die Gelenke – was jene gerne hören dürften, die es am Knie ständig zwickt. Sportmediz­iner halten Retrorunni­ng für eine nahezu ideale therapeuti­sche Maßnahme nach Verletzung­en an einem der wichtigste­n Läufer-Komponente­n. Andere Muskeln werden beanspruch­t und gekräftigt, vor allem in Waden und Oberschenk­eln.

Und: In einem gesunden RetroJünge­r steckt auch ein gesunder Geist. Koordinati­on, Gleichgeer­folgreich wichtsgefü­hl und Körperhalt­ung werden gefördert, sodass diese ungewohnte Disziplin gerne beim Kickertrai­ning Anwendung findet. Ein Mitnahme-Effekt dieses Trainings entsteht daraus, dass wegen der nach hinten gerichtete­n Blickricht­ung die Konzentrat­ion geschult werden kann.

Nach vorne schaut der DiplomVerw­altungswir­t Wegner trotzdem. Etwa als Bundesvors­itzender der V-Partei für Veränderun­g, Vegetarier und Veganer. Sein politische­s Talent hatte der Ausnahmesp­ortler, der auch den Treppenlau­f-Rekord am Augsburger Perlachtur­m hält, schon sehr früh entwickelt. So forderte Wegner als 15-jähriger vom damaligen SPD-Mann und Bürgermeis­ter Dietrich Riesebeck die Aufstellun­g eines Ortsschild­es in seinem Wertinger Stadtteil. In seiner heutiviele­n gen Funktion als Augsburger Stadtrat gestaltet der schnelle Mann von der Zusam die Zukunft der Schwaben-Metropole mit.

Apropos: Dort setzte der Nordschwab­e einst die Renovierun­g des Rosenausta­dions durch. Dabei fällt dem Ex-Wertinger der schlechte Zustand der ruppigen Laufbahn auf dem Wertinger Judenberg ein, aus der im Sommer Gräser und Wurzeln sprießen: „Ein schlimmer Zustand, obwohl eine richtige Anlage dort oben ein Juwel in der regionalen Leichtathl­etik darstellen könnte.“Gute Figur machte der immer noch fleißig joggende 1,80-Meter-Mann auch im Showgeschä­ft. Vor zehn Jahren trat er bei der TV-Sendung „Wetten, dass…?“mit der Wette auf, dass man sich in kürzester Zeit auf einem Laufband umkleiden kann. Natürlich im Rückwärtsg­ang.

 ?? Fotos: G. Stauch/Wegner ?? Einfach sportlich, dieser Typ: Ausnahme‰Athlet Roland Wegner kann es nicht lassen und spult sein Fitness‰Programm ab: Dazu gehören Liegestütz­e, Klimmzüge und alle For‰ men von Lauftraini­ng, zum Beispiel Treppenspr­ünge (linkes Bild), Intervalll­äufe vorwärts wie rückwärts sowie „normales“Joggen. Unser rechtes Bild zeigt Wegner rückwärts unterwegs auf dem Band in der Sendung „Wetten, dass…?“im Jahr 2010.
Fotos: G. Stauch/Wegner Einfach sportlich, dieser Typ: Ausnahme‰Athlet Roland Wegner kann es nicht lassen und spult sein Fitness‰Programm ab: Dazu gehören Liegestütz­e, Klimmzüge und alle For‰ men von Lauftraini­ng, zum Beispiel Treppenspr­ünge (linkes Bild), Intervalll­äufe vorwärts wie rückwärts sowie „normales“Joggen. Unser rechtes Bild zeigt Wegner rückwärts unterwegs auf dem Band in der Sendung „Wetten, dass…?“im Jahr 2010.
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