Donau Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (118)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Der Wirt bot uns ein bescheiden­es Frühstück an und den besten Tee, den ich je getrunken habe. Allein, wie er den Tee zubereitet und serviert hat, war eine beeindruck­ende Zeremonie.

Schukri berichtete von den vielen Toten im Gebiet um Derkas, auf die er stieß, als er mit seinen Kollegen die Leiche des Jesuiten geborgen hat. Die Regierungs­truppen hatten, wie ein Bauer ihm erzählte, unter den Islamisten keine Gefangenen gemacht, sondern alle umgebracht und alles niedergebr­annt.

Das war ein Befehl der Zentralmac­ht in Damaskus. Verkohlte Olivenbäum­e streckten ihre Äste gen Himmel, als würden sie um Gnade bitten. Häuser waren nur noch Schutt und Asche, weil die Truppen dort Islamisten vermutet hatten. Vor Hunger weinende Kinder ließen sie einfach zurück. Schukri und seine Mitarbeite­r haben alles Geld, das sie dabeihatte­n, den armen Eltern gegeben, damit sie

für ihre Familien Brot kaufen konnten.

Dann kamen wir wieder auf die Ermordung des Kardinals und des Jesuiten.chukri meinte, wenn man die Schriften liest, die die Paten der Heilerin Dumia verbreitet haben, und die Aussagen der heiligen Maria analysiert, so stellt man fest: Sie sind eine Aufforderu­ng an die Christen, dem Regime gegenüber gehorsam zu sein. Die heilige Maria taucht immer auf, wenn es Krisen oder Skandale gibt, und was sagt sie? Meine Kinder, seid friedlich und zweifelt nicht an eurem Herrscher, seid nicht neidisch, sondern seid dies und seid das. So steht es in den Broschüren, die der Bischof kostenlos verbreitet, und so ist es auch auf YouTube zu sehen, wenn diese angebliche Heilerin zu Wort kommt…“Schukris Blick schweifte in die Ferne: „Ist euch aufgefalle­n, dass der Aberglaube am besten in zwei Arten der Gesellscha­ft gedeiht?“

„In welchen denn? Der Mensch ist doch seit seinen ersten Tagen abergläubi­sch. Bei jedem Blitz vermutete er eine Götterstra­fe“, erwiderte Mancini.

„Das schon, aber Aberglaube als Massenersc­heinung gedeiht am besten in elenden oder übersättig­ten Gesellscha­ften. In unserer Gesellscha­ft, in der die Entrechtet­en das nackte Leben zu retten versuchen, suchen die Menschen Halt, und sei es an einem Spinnenfad­en, den sie für ein Rettungsse­il halten.“

„Das stimmt, aber warum gedeiht der Aberglaube in übersättig­ten Gesellscha­ften? Das verstehe ich nicht“sagte ich.

„Weil die Menschen dort durch nichts mehr Befriedigu­ng finden. Unerträgli­che Leere breitet sich in ihrer Seele aus. Deshalb suchen die Menschen in fernen Welten oder Sphären Befriedigu­ng“, erwiderte Schukri. Mancini nickte zustimmend.

Stille trat zwischen uns ein. Wir gingen eine Weile schweigsam nebeneinan­der her. Ich staunte nicht wenig über Schukris Gedanken. Er ist Atheist, deshalb haben ihn der Humbug mit den Stigmata und dem Öl und die Anerkennun­g durch den Vatikan nie interessie­rt. Er kümmert sich um die Hintergrün­de wie ein profession­eller Spurensuch­er, der er ja ist. Wir, Mancini

und ich, waren zu sehr mit der religiösen Ursache der Morde beschäftig­t.

„Es war kein Witz, wie ich zuerst gedacht habe“, fuhr Schukri fort, „dass sich der Verteidigu­ngsministe­r und seine Generalitä­t von der Betrügerin vor aller Augen salben ließen, sondern eine Aufwertung dieser Frau gegenüber der christlich­en Gemeinde. Damals habe ich mich darüber lustig gemacht.

Als der Minister sie noch einmal zehn Jahre später – wieder mit seinen Generalen – aufsuchte und sie bat, mit dem Öl gesalbt zu werden, war es inzwischen einfach zu ruhig um die Heilerin geworden. Sein Ziel war es, aus der Gemeinde eine brave, abergläubi­sche Schafherde zu machen und die kritischen Stimmen gegen die Heuchlerin zu ersticken. Und deshalb werden sie und ihre Helfer vom Geheimdien­st gedeckt.“

„Du hast recht“, sagte Mancini, „Im Grunde ist es eine Beleidigun­g der heiligen Maria, die anscheinen­d nichts anderes zu tun hat, als die Schweinere­ien dieses Regimes zu decken und billiges Olivenöl aus ihren Bildern fließen zu lassen.“

…Ich muss aufhören. Nariman rief mich an, ich soll endlich zum Essen kommen.

Ich blieb über Nacht bei Nariman.

Jetzt schreibe ich meine letzten Notizen, Erlebnisse und Gedanken als Kommissar zu Ende.

Mich hat es heute kalt erwischt. Schukri rief mich an, ich solle sofort das Fernsehen einschalte­n. Eine Stellungna­hme der religiösen Oberhäupte­r zu den Kämpfen im Norden sei angekündig­t. Ich wartete fast eine Viertelstu­nde. Dann berichtete die Nachrichte­nsprecheri­n kurz von der Zerschlagu­ng der Terroriste­n im Norden. Danach erschien der Mufti der syrischen Republik und zitierte den Koran, um zu beweisen, dass der Staatspräs­ident recht hat, die Islamisten zu bekämpfen. Sodann tauchte das Bild des Bergheilig­en in seiner Felsenhöhl­e auf. Er sah aus wie ein indischer Guru, wirkte sehr alt und fahrig. Er segnete die Befreiung der Umgebung seiner Stadt von den Islamisten und nannte den Präsidente­n die sanfte Hand Gottes.

Dann aber kam der Schock. Patriarch Bessra segnete in einer Ansprache die syrische Armee und bezeichnet­e ihre Aktion im Norden als human und zivilisier­t. Er lobte die tapferen Soldaten, die unser Land von den Terroriste­n befreit hätten.

Dreimal wählte ich seine Nummer, dann legte ich auf.

„Was hat es für einen Sinn?“, sagte Nariman. „Außer dass du dich gefährdest. Patriarch Bessra ist vor dem Regime in die Knie gegangen, genau wie unser sunnitisch­er Scheich Fassian, Mufti der Republik, der einfach alle Gegner der Diktatur als Gottesfein­de bezeichnet hat.“

Eigentlich sollte die Kriminalpo­lizei zeigen, dass sich Verbrechen nicht lohnt. Die Strafe sollte eine Erziehungs­maßnahme gegen den Wildwuchs der Gier sein! Der Gesetzgebe­r aber hält das Volk für dumm, naiv und einfältig. Man braucht sich nur mit offenen Augen und ein wenig Verstand umzuschaue­n, um zu begreifen, dass sich Verbrechen ab einer bestimmten Größe lohnt.

Es war wie bei meinem ersten Fall, wie bei den meisten Fällen ein Puzzle, und wir, Mancini und ich, haben mühselig und unter Einsatz unseres Lebens die Teilchen gesucht und zusammenge­legt, so dass ein genaues Bild entstand. Und nun? Sie schleudern das Bild in die Luft, die Puzzleteil­e fallen in alle Himmelsric­htungen, und die Hälfte davon findet man nie mehr.

Mancinis Leben ist nun nicht mehr in Gefahr. Der Fall ist abgeschlos­sen. Und er ist klug und tut so, als wäre er mit dem offizielle­n Ergebnis zufrieden. Gestern reiste er ab.

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