Mehr Wohnraum, aber wie?
Die Bilanz der Regierungs-Offensive ist umstritten. Bauminister Seehofer (CSU) deutet an, wie sich die Städte verändern könnten. Und Olaf Scholz (SPD) setzt auf soziales Bauen
Berlin Der Kampf gegen die Corona-Seuche könnte die deutschen Innenstädte drastisch verändern. Es droht die Verödung, wenn Händler und Gastronomen aufgeben müssen und Büros halb leer bleiben, weil die Beschäftigten von zu Hause arbeiten. Sei es, weil sie zu lange schließen mussten, sei es, weil die OnlineKonkurrenz zu stark geworden ist. Bundesbauminister Horst Seehofer hat jetzt nach einem Spitzentreffen der Bundesregierung zur Wohnungsfrage eine Idee anklingen lassen, was nach der Krise aus den Corona-Brachen werden könnte. Er kann sich vorstellen, dass wieder mehr Leute in die Innenstädte ziehen, wenn dort weniger Menschen einkaufen und arbeiten. „Wir haben ein dickes Problem. Das ist die Verödung der Innenstädte“, sagte der CSU-Politiker am Dienstag in Berlin nach der Spitzenrunde.
Er schlug deshalb vor, seitens des Staates massiv in Umbauprogramme zu investieren, die vor allem private Bauherren unterstützen. In seinem Ministerium, so Seehofer, gelte das Prinzip „innen statt außen“. Die Innenstädte und Dorfkerne sollen aufpoliert und neu zugeschnitten werden, damit Menschen dort wohnen wollen. Im Gegensatz dazu brauche es dann weniger Baugebiete an den Stadträndern. In Bayern hat es ein solches Programm unter der Ägide
Seehofers gegeben. Ohne sie zu erwähnen, hat der Bauminister damit den Grünen ein Stück weit recht gegeben, die neuen Eigenheime kritisch zu sehen, über die zuletzt ein Sturm der Entrüstung gezogen war.
Das Thema Wohnen bleibt auch in Zeiten der Pandemie ein Aufreger. Vor zweieinhalb Jahren hatte die Bundesregierung eine Offensive gestartet, um den überdrehten Immobilienmarkt zu zügeln. Gelungen ist ihr das nicht: Die Preise für Bauland, Häuser und Wohnungen klettern weiter. Dem Betongold-Bonanza folgen die Mieten. Die Ausnahme unter den großen Städten ist Berlin, weil die Hauptstadt einen Mietendeckel eingezogen hat. Nach wie vor fallen mehr Sozialwohnungen aus der Mietbindung, als neue entstehen. Von den angepeilten 1,5 Millionen Wohnungen sind nur 1,2 Millionen fertig.
Dennoch verteilt die Bundesregierung viel Lob für ihren Vorstoß an sich selbst. Seehofer spricht von einer „stolzen Bilanz“und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt freudig, „doch einiges zustande gebracht“zu haben.
Der Städtebund allerdings mochte das so allein nicht stehen lassen und kippte sozusagen Wasser in den Wein. Vizepräsident Markus Lewe ist im Hauptberuf Bürgermeister von Münster. In der Universitätsstadt sind bezahlbare Buden für Studenten und Wohnungen für junge Familien rar. „Bund und Länder müssen noch mehr unternehmen, um mehr sozialen und preisgünstigen Wohnraum zu schaffen“, forderte Lewe.
Er zählt auf, was aus seiner Sicht dafür nötig wäre, um die Preisspirale zu bremsen. Die Städte brauchen ein potentes Vorkaufsrecht für Grundstücke, damit nicht die Investoren gewinnen, die den höchsten Preis bieten können. Bebauungspläne müssen Vorrang für günstiges Wohnen definieren dürfen. Baurecht sollen private Investoren nur bekommen, wenn die Kommune einen Mindestanteil an der Fläche hält und mitbestimmen kann. Und viertens sollen Sozialwohnungen länger in der Mietpreisbindung bleiben als die üblichen 15 bis 25 Jahre.
Anders als Seehofer und Merkel will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nach der Wahl im Herbst nicht in Rente gehen, sondern als Kanzler die Regierung anführen. Er versprach, dass unter seiner Führung der Bund noch mehr für bezahlbares Wohnen tun werde. „Wir müssen das Tempo noch anziehen“sagte Scholz. Als Maßzahl gab er 700000 neue Wohnungen an. Das sind mehr als doppelt so viele wie die 300 000 im alten Jahr.
Ein Schreck der Immobilienkonzerne will Scholz dabei nicht werden. Für ihn ist es keine Option, den Mietendeckel seines Parteifreundes Michael Müller, seines Zeichens Regierender Bürgermeister von Berlin, auf ganz Deutschland auszuweiten. Scholz setzt weiter auf die Mietpreisbremse, die sich als eher zahnloses Instrument entpuppt hat. Der Kanzlerkandidat kündigte an, pro Jahr 100000 Sozialwohnungen zu bauen. Derzeit ist es nur ein Viertel davon. Allerdings kann der Bund qua Verfassung nur das Geld zur Verfügung stellen, während die Länder für die Projekte zuständig sind. Die tun das mit unterschiedlichem Ehrgeiz: Laut Seehofer engagieren sich nur sechs der 16 Bundesländer beim sozialen Wohnungsbau.
Im Köcher hat die Große Koalition noch einen Pfeil. Das sogenannte Baulandmobilisierungsgesetz sieht vor, in angespannten Wohnungsmärkten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu erschweren. Außerdem sollen die Kommunen einen besseren Zugriff auf Grundstücke erhalten. Noch allerdings sind die Details im Bundestag umstritten. Auch in der Immobilienbranche gibt es Vorbehalte gegen eine erschwerte Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Besitzer von Mietshäusern können Kasse machen, wenn sie ihre Wohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln und einzeln verkaufen.
Viele Wohnungen fallen aus der Sozialbindung