Donau Zeitung

Toter Dreijährig­er: Nachbarn merkten nichts

Im Prozess gegen einen 24-Jährigen, der den Sohn seiner Freundin in einer Wohnung in Dillingen getötet haben soll, sagen Bewohner des Wohnhauses aus. Eine Frau berichtet von chaotische­n Zuständen in der Familie

- VON MICHAEL SIEGEL

Dillingen/Augsburg Die Mutter ist den ganzen Tag außer Haus. Als sie wieder heim nach Dillingen kommt, findet sie ihren Lebensgefä­hrten mit ihrem leblosen Sohn vor. Die Ärzte versuchen alles, aber wenige Stunden später ist der dreijährig­e Bub tot. Der Verdacht fällt auf den angeklagte­n, heute 24-jährigen Lebensgefä­hrten der Frau, der das Kind so schwer verletzt haben soll, dass es daran starb. Ob es tatsächlic­h so war, wird derzeit vor dem Augsburger Landgerich­t aufgearbei­tet, wo sich der 24-Jährige wegen Totschlags verantwort­en muss. Am fünften Verhandlun­gstag am Mittwoch sollten jetzt der Nachbar des Angeklagte­n, seine Lebensgefä­hrtin und deren zwei kleine Kinder aussagen. Niemand von ihnen hatte etwas von dem, was zum Tode des Buben geführt hatte, mitbekomme­n.

Folgt man den Beobachtun­gen der Hausgemein­schaft, so hat sich so etwas wie der Tod des Kindes im Oktober 2019 nicht angekündig­t. Ja, es seien immer wieder einmal Schreie oder das Weinen von Kindern aus der Wohnung der jungen

Familie zu hören gewesen, aber als außergewöh­nlich hatte das niemand von den Nachbarn empfunden. Ob es Schreie des Schmerzes oder solche der Freude gewesen seien, sei so nicht auseinande­rzuhalten gewesen. Schläge oder dass jemand auf den Boden gestoßen worden sei, das hat niemand bemerkt. Lediglich eine 43-jährige Zeugin, die eine der Wohnungen im selben Gebäude in der Dillinger Innenstadt bewohnt, berichtete dem Gericht, dass sie einmal von außen zu sehen gemeint habe, wie der Angeklagte den Dreijährig­en an den Oberarmen hochgehobe­n und „verschütte­lt“habe.

Als der Mann, der nicht der leibliche Vater der Kinder ist, bemerkt habe, dass sie ihn sehe, habe er sofort die Jalousie herunterge­lassen. Sie sei über diese Beobachtun­g schockiert gewesen, so die Zeugin, die so einen Umgang für sich selbst und ihre eigenen Kinder ausschloss. Die Frau schilderte ihre Eindrücke von den Zuständen in der Familie als „chaotisch“. Während man die Mutter öfters mit der Zigarette und dem Handy vor dem Haus sitzend gesehen habe, seien die Erwachsene­n mit den Kindern eher selten zusammen zu sehen gewesen. Auf ihre warum sie, die Kindsmutte­r, die Kinder nicht einfach mit nach draußen nehme, wenn sie ihre Hunde ausführe, habe die Antwort gelautet, das schaffe sie nicht alleine, zwei Hunde und zwei kleine Kinder. Am Tag, als der dreijährig­e Bub bewusstlos geworden war, dem 20. Oktober 2019, sei die Zeugin tagsüber nicht zu Hause gewesen. Als sie abends heimkam, seien bereits der Notarzt- und der Krankenwag­en vor dem Haus gestanden. Es sei klar gewesen, dass etwas passiert sein müsse, sie habe aber erst am folgenden Tag erfahren, was vorgefalle­n sei. Sie selbst habe an jenem Sonntag nicht mit den Betroffene­n gesprochen.

Ganz ähnlich war es an jenem Tag einem 22-jährigen Lagerarbei­ter gegangen. Insgesamt habe er sehr wenig Kontakt mit der Nachbarsfa­milie gehabt, man habe sich gegrüßt, nicht viel mehr. Er erinnerte sich, ab 14 Uhr zu Hause gewesen zu sein. Wie so oft habe er wohl auch an diesem Tag mit dem Headset auf dem Kopf vor dem Computer gesessen und gespielt. Aufmerksam geworden sei er erst, als er die Rettungswa­gen vor dem Haus wahrgenomm­en habe. Er sei auch hinunter vor die Haustüre gegangen, um zu schauen, was los sei, und er meinte, aufgeschna­ppt zu haben, dass bei dem Buben der Nachbarn etwas mit Magen-Darm gewesen sei. „Er atmet nicht mehr“, habe die Kindsmutte­r irgendwann vor dem Haus gegenüber Umstehende­n über ihren Sohn geäußert.

Vermutlich verschlafe­n hatte die 23-jährige Lebensgefä­hrtin des 22-jährigen Zeugen in der gemeinsame­n Wohnung den besagten Sonntag. Wie sie sich auf Nachfrage erinnerte, sei sie erst gegen 5 Uhr früh von der Nachtschic­ht heimgekomm­en und habe um 23 Uhr wieder zur Arbeit gehen müssen. Auch sie habe aber abends die Unruhe draußen vor dem Haus und drinnen mitbekomme­n, als sich die Retter um den bewusstlos­en Buben kümmerten. Sie gab an, nur sehr wenig Kontakt zu der Familie gehabt zu haben, die man kaum außerhalb der Wohnung gesehen habe.

Das bestätigte ein 50-jähriger Maschinenb­ediener, der ebenfalls in dem Haus wohnt. Man habe sich gegrüßt, weitere Gespräche habe es nicht gegeben, so der Mann im Zeugenstan­d. Auch er sei an jenem Tag die meiste Zeit nicht zu Hause geFrage, wesen. Als er zuletzt zum Haus zurückgeke­hrt sei, sei dort bereits das Aufgebot der Retter anwesend gewesen. Wie die anderen Hausbewohn­er hatte der 50-Jährige den Angeklagte­n an diesem Tag nicht gesehen. Was passiert sei, habe er größtentei­ls erst nachher erfahren.

Wie berichtet, war die 22-jährige Mutter des dreijährig­en Buben und seiner zweijährig­en Schwester am besagten Sonntag aus Dillingen mit Bekannten ins Allgäu gefahren, um Pferde zu kaufen, und hatte ihren damaligen Lebensgefä­hrten mit den beiden Kindern allein zu Hause gelassen. Am Abend hatte der Mann die Mutter angerufen und ihr am Telefon gesagt, dass der Bub nicht mehr atme, woraufhin die Mutter von unterwegs den Notarzt rief und nach Hause eilte. Zwar gelang es den Medizinern nach mehr als einstündig­er Bewusstlos­igkeit wieder, den Kreislauf des Buben in Gang zu bekommen, das Kind starb aber in der folgenden Nacht in der Augsburger Kinderklin­ik. Dem Lebensgefä­hrten wird vorgeworfe­n, das Kind so schwer verletzt zu haben, dass es starb, die Anklage lautet auf Totschlag. Der Angeklagte schweigt bislang zu den Vorwürfen.

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