Toter Dreijähriger: Nachbarn merkten nichts
Im Prozess gegen einen 24-Jährigen, der den Sohn seiner Freundin in einer Wohnung in Dillingen getötet haben soll, sagen Bewohner des Wohnhauses aus. Eine Frau berichtet von chaotischen Zuständen in der Familie
Dillingen/Augsburg Die Mutter ist den ganzen Tag außer Haus. Als sie wieder heim nach Dillingen kommt, findet sie ihren Lebensgefährten mit ihrem leblosen Sohn vor. Die Ärzte versuchen alles, aber wenige Stunden später ist der dreijährige Bub tot. Der Verdacht fällt auf den angeklagten, heute 24-jährigen Lebensgefährten der Frau, der das Kind so schwer verletzt haben soll, dass es daran starb. Ob es tatsächlich so war, wird derzeit vor dem Augsburger Landgericht aufgearbeitet, wo sich der 24-Jährige wegen Totschlags verantworten muss. Am fünften Verhandlungstag am Mittwoch sollten jetzt der Nachbar des Angeklagten, seine Lebensgefährtin und deren zwei kleine Kinder aussagen. Niemand von ihnen hatte etwas von dem, was zum Tode des Buben geführt hatte, mitbekommen.
Folgt man den Beobachtungen der Hausgemeinschaft, so hat sich so etwas wie der Tod des Kindes im Oktober 2019 nicht angekündigt. Ja, es seien immer wieder einmal Schreie oder das Weinen von Kindern aus der Wohnung der jungen
Familie zu hören gewesen, aber als außergewöhnlich hatte das niemand von den Nachbarn empfunden. Ob es Schreie des Schmerzes oder solche der Freude gewesen seien, sei so nicht auseinanderzuhalten gewesen. Schläge oder dass jemand auf den Boden gestoßen worden sei, das hat niemand bemerkt. Lediglich eine 43-jährige Zeugin, die eine der Wohnungen im selben Gebäude in der Dillinger Innenstadt bewohnt, berichtete dem Gericht, dass sie einmal von außen zu sehen gemeint habe, wie der Angeklagte den Dreijährigen an den Oberarmen hochgehoben und „verschüttelt“habe.
Als der Mann, der nicht der leibliche Vater der Kinder ist, bemerkt habe, dass sie ihn sehe, habe er sofort die Jalousie heruntergelassen. Sie sei über diese Beobachtung schockiert gewesen, so die Zeugin, die so einen Umgang für sich selbst und ihre eigenen Kinder ausschloss. Die Frau schilderte ihre Eindrücke von den Zuständen in der Familie als „chaotisch“. Während man die Mutter öfters mit der Zigarette und dem Handy vor dem Haus sitzend gesehen habe, seien die Erwachsenen mit den Kindern eher selten zusammen zu sehen gewesen. Auf ihre warum sie, die Kindsmutter, die Kinder nicht einfach mit nach draußen nehme, wenn sie ihre Hunde ausführe, habe die Antwort gelautet, das schaffe sie nicht alleine, zwei Hunde und zwei kleine Kinder. Am Tag, als der dreijährige Bub bewusstlos geworden war, dem 20. Oktober 2019, sei die Zeugin tagsüber nicht zu Hause gewesen. Als sie abends heimkam, seien bereits der Notarzt- und der Krankenwagen vor dem Haus gestanden. Es sei klar gewesen, dass etwas passiert sein müsse, sie habe aber erst am folgenden Tag erfahren, was vorgefallen sei. Sie selbst habe an jenem Sonntag nicht mit den Betroffenen gesprochen.
Ganz ähnlich war es an jenem Tag einem 22-jährigen Lagerarbeiter gegangen. Insgesamt habe er sehr wenig Kontakt mit der Nachbarsfamilie gehabt, man habe sich gegrüßt, nicht viel mehr. Er erinnerte sich, ab 14 Uhr zu Hause gewesen zu sein. Wie so oft habe er wohl auch an diesem Tag mit dem Headset auf dem Kopf vor dem Computer gesessen und gespielt. Aufmerksam geworden sei er erst, als er die Rettungswagen vor dem Haus wahrgenommen habe. Er sei auch hinunter vor die Haustüre gegangen, um zu schauen, was los sei, und er meinte, aufgeschnappt zu haben, dass bei dem Buben der Nachbarn etwas mit Magen-Darm gewesen sei. „Er atmet nicht mehr“, habe die Kindsmutter irgendwann vor dem Haus gegenüber Umstehenden über ihren Sohn geäußert.
Vermutlich verschlafen hatte die 23-jährige Lebensgefährtin des 22-jährigen Zeugen in der gemeinsamen Wohnung den besagten Sonntag. Wie sie sich auf Nachfrage erinnerte, sei sie erst gegen 5 Uhr früh von der Nachtschicht heimgekommen und habe um 23 Uhr wieder zur Arbeit gehen müssen. Auch sie habe aber abends die Unruhe draußen vor dem Haus und drinnen mitbekommen, als sich die Retter um den bewusstlosen Buben kümmerten. Sie gab an, nur sehr wenig Kontakt zu der Familie gehabt zu haben, die man kaum außerhalb der Wohnung gesehen habe.
Das bestätigte ein 50-jähriger Maschinenbediener, der ebenfalls in dem Haus wohnt. Man habe sich gegrüßt, weitere Gespräche habe es nicht gegeben, so der Mann im Zeugenstand. Auch er sei an jenem Tag die meiste Zeit nicht zu Hause geFrage, wesen. Als er zuletzt zum Haus zurückgekehrt sei, sei dort bereits das Aufgebot der Retter anwesend gewesen. Wie die anderen Hausbewohner hatte der 50-Jährige den Angeklagten an diesem Tag nicht gesehen. Was passiert sei, habe er größtenteils erst nachher erfahren.
Wie berichtet, war die 22-jährige Mutter des dreijährigen Buben und seiner zweijährigen Schwester am besagten Sonntag aus Dillingen mit Bekannten ins Allgäu gefahren, um Pferde zu kaufen, und hatte ihren damaligen Lebensgefährten mit den beiden Kindern allein zu Hause gelassen. Am Abend hatte der Mann die Mutter angerufen und ihr am Telefon gesagt, dass der Bub nicht mehr atme, woraufhin die Mutter von unterwegs den Notarzt rief und nach Hause eilte. Zwar gelang es den Medizinern nach mehr als einstündiger Bewusstlosigkeit wieder, den Kreislauf des Buben in Gang zu bekommen, das Kind starb aber in der folgenden Nacht in der Augsburger Kinderklinik. Dem Lebensgefährten wird vorgeworfen, das Kind so schwer verletzt zu haben, dass es starb, die Anklage lautet auf Totschlag. Der Angeklagte schweigt bislang zu den Vorwürfen.