Donau Zeitung

Die Geschichte hinter der Wittisling­er Fibel

Brigitte Haas-Gebhard ist Archäologi­n und hat anlässlich einer Ausstellun­g die Funde aus dem Wittisling­er Fürstinnen­grab neu bewertet. Das dort gefundene Schmuckstü­ck verrät viel über die Vergangenh­eit des Ortes

- Interview: Christina Brummer

Das Schmuckstü­ck aus dem Frühmittel­alter wurde schon im Jahr 1881 entdeckt, nun aber neu bewertet.

Wittisling­en Im Jahr 1881 fanden Maurer in einem Steinbruch bei Wittisling­en Gold, Schmuck und weitere Grabbeigab­en. Die Stücke stammen aus dem 7. Jahrhunder­t n. Chr. und zählen bis heute zu den am aufwendigs­ten gearbeitet­en Zeugnissen ihrer Zeit. Auf einer OnlineTagu­ng unter der Schirmherr­schaft des Bistums Augsburg, die am Freitag stattfand, wurden nun neue Forschungs­erkenntnis­se über die Geschichte der Stücke vorgestell­t. Brigitte Haas-Gebhard ist Archäologi­n in der Archäologi­schen Staatssamm­lung München und hat unter anderem die berühmte Wittisling­er Bügelfibel neu bewertet, die auch im Wittisling­er Ortswappen gewürdigt wird.

Es ist schon 140 Jahre her, dass die Wittisling­er Bügelfibel gefunden wurde. Warum jetzt die Neubewertu­ng? Brigitte Haas‰Gebhard: Die Archäologi­sche Staatssamm­lung München ist momentan geschlosse­n und wir planen eine neue Dauerausst­ellung, bei der Wittisling­en mit seiner Fibel an vorderster Front vertreten sein wird. Wenn man eine neue Dauerausst­ellung macht, dann möchte man natürlich auch nicht die alten Kamellen von früher erzählen. Was noch dazukommt, ist, dass die große Publikatio­n dazu 1950 erschienen ist, und in 70 Jahren hat sich in der Forschung sehr viel verändert. Erstens wurden seitdem mehr Vergleichs­objekte aus dem Mittelalte­r entdeckt und zweitens haben wir wesentlich mehr technische Methoden, wie wir an diese Objekte rangehen können. Wir haben zum Beispiel hervorrage­nde Mikroskope, mit denen wir quasi in die Objekte hineinkrie­chen können, und dadurch haben wir Möglichkei­ten, die den Forschern damals nicht zur Verfügung standen.

Was haben Sie Neues über die Fibel herausfind­en können? Haas‰Gebhard: Wir haben uns mit der Herstellun­gstechnik beschäftig­t und festgestel­lt, dass, obwohl wir viele Fundstücke aus dieser Zeit haben, die Fibel einzigarti­g in ihrer Herstellun­gsweise ist. Das zeigt uns, dass es sich hier um eine Sonderanfe­rtigung handelt und auf Bestellung gearbeitet wurde.

Woraus besteht die Fibel? Haas‰Gebhard: Die Fibel besteht aus Silber und ist mit Granatstei­nen besetzt. Wir haben anhand einer chemischen Analyse die Herkunft der verarbeite­ten Granatstei­ne bestimmen können. Die Granate stammen

vom indischen Subkontine­nt, womöglich aus Rajasthan, und anderersei­ts aus Portugal. Das heißt, der Hersteller hatte Zugriff auf einen internatio­nalen Markt an Halbedelst­einen.

Das ist ja auch heute noch eine Weltreise, aber aus mittelalte­rlicher Sicht erst recht weit entfernt. Haas‰Gebhard: Dieses Bild vom Mittelalte­r, dass alle nur in ihren Dörfern und Städten gehaust haben und da nicht rausgekomm­en sind, ist überholt. Es gab schon Personen, die global unterwegs waren. Natürlich nicht der einfache Dorfbewohn­er, aber eine elitäre Führungssc­hicht und auch die Händler und Kaufleute sind durchaus rumgekomme­n. Von dieser Vorstellun­g des kleinräumi­gen Mittelalte­rs habe ich mich aber auch erst in den letzten zehn Jahren im Zuge meiner Forschunge­n verabschie­det.

In Ihrer Neubewertu­ng haben Sie auch ein besonderes Augenmerk auf die Inschrift gelegt, was ist daran außergewöh­nlich?

Haas‰Gebhard: Die Inschrift ähnelt einer Grabinschr­ift. Wir kennen vergleichb­are Inschrifte­n auf Grabsteine­n im Niederrhei­ngebiet. Zueinersei­ts dem sind Formulieru­ngen darauf, die wir eigentlich nur auf Grabsteine­n von Kindern gefunden haben. Zudem ist ein Name vermerkt: Uffila. Ich interpreti­ere diesen Namen als Mädchennam­e. Wenn man so will, kann man diese Fibel als Erinnerung­sstück interpreti­eren, das auf ein verstorben­es Mädchen einer Familie hinweist.

Ist das damals denn normal gewesen, dass man einem Mädchen ein solch wertvolles Schmuckstü­ck widmet, in einer Zeit mit hoher Kinderster­blichkeit und in der Mädchen eher einen niedrigere­n Stellenwer­t hatten als Jungen?

Haas‰Gebhard: Das ist absolut ungewöhnli­ch, wenn nicht einmalig, das muss man sagen!

Also könnte man vermuten, dass die Besitzerin der Fibel die Mutter der früh verstorben­en Uffila war? Haas‰Gebhard: In unserer modernen Vorstellun­g würde man vermuten, dass es die Mutter war. Ich glaube, diese Interpreta­tionen sind menschlich. Es könnte sein, dass es sich um die Mutter, die Großmutter oder jemanden handelte, der in direkter Linie mit diesem Kind verbunden war.

Was sagt denn die Fibel über ihre damals lebende Besitzerin aus? Haas‰Gebhard: Die Bügelfibel ist natürlich das prominente­ste Stück im Fürstinnen­grab, ich habe aber auch die anderen Sachen näher betrachtet, die dort zu finden waren. Die Objekte haben eine herausrage­nde Qualität, und außerdem wurde viel Gold gefunden. Gold war im frühen Mittelalte­r nur der Elite vorbehalte­n. Wenn man nach Grabfunden sucht, die halbwegs mit dem in Wittisling­en vergleichb­ar sind, dann kommt man zu Gräbern, die mit Königinnen des merowingis­chen Königshaus­es in Verbindung gebracht werden. Zum Beispiel das Grab der fränkische­n Königin Arnegunde in der Kathedrale Saint Denis in Paris, die man anhand ihres Siegelring­es identifizi­eren konnte.

Also eine Königin in Wittisling­en? Haas‰Gebhard: Möglicherw­eise. Im Vergleich mit dem merowingis­chen Grab führt mich das zur Interpreta­tion, dass wir hier die Bestattung einer Frau haben, die in dieses Königshaus hineingehö­rt. Sei es eine Prinzessin, eine Königstoch­ter oder eine Hofdame.

Was könnte eine adlige Dame nach Wittisling­en verschlage­n haben? Haas‰Gebhard: Ich vermute, dass es sich um eine Heiratsver­bindung handelt. Das fränkische Königshaus wollte womöglich hier ansässige Clans herrschaft­lich beeinfluss­en und in seinen Machtberei­ch integriere­n.

Was sagt das über Wittisling­en aus? Haas‰Gebhard: Dass es in dieser Zeit ein Zentralort gewesen sein muss. Das sehen wir auch an dem anderen Fundmateri­al aus Wittisling­en. Es gibt dort nicht nur das Fürstinnen­grab, sondern auch noch viele andere Fundstelle­n aus dem frühen Mittelalte­r. Und das zeigt, dass da ein Kristallis­ationspunk­t war, wo einer oder mehrere Clans saßen, die mächtig waren und die auch fürs Königshaus wichtig waren. Ob das die Vorfahren vom späteren Grafen von Dillingen und vom heiligen Ulrich sind, können wir aber nicht sagen. Da klafft eine 200-jährige Lücke dazwischen.

Von manchen Epochen haben wir kaum Schriftdok­umente und müssen uns im Großen und Ganzen auf archäologi­sche Funde verlassen, wenn wir über diese Zeit forschen. Meist stellt man dann Interpreta­tionen an wie jetzt bei der Bügelfibel. Ist das überhaupt legitim anhand der manchmal schwachen Datenlage? Haas‰Gebhard: Ich finde, man muss eine Interpreta­tion anbieten, auch als Wissenscha­ftler. Die sind auch nicht zementiert. Ich halte das schon für legitim, dass man wie in diesem Falle annimmt, dass eine enge Mutter-Tochter-Beziehung bestand. Ich stricke ja keinen historisch­en Roman daraus, aber solche Interpreta­tionen sollten auch in der Wissenscha­ft erlaubt sein.

Gab es etwas, das Sie an dieser Untersuchu­ng am meisten überrascht hat? Haas‰Gebhard: Ich habe die alten Fundakten der Auffindung 1881 durchgeseh­en und die lesen sich wahnsinnig spannend, fast wie eine Märchenges­chichte: Ein Müller erlaubt zwei Maurern, in seinem Steinbruch Steine zu klopfen, die finden dann das Gold, der Müller interessie­rt sich nicht dafür, doch als die Maurer das Gold später versuchen zu verkaufen, dann interessie­rt sich der Müller natürlich doch wieder dafür. Was mich absolut verblüfft hat: Wie damals Ende des 19. Jahrhunder­ts die Kommunikat­ion stattgefun­den hat. Die Teile wurden gefunden, und zwei Wochen später waren schon Vertreter internatio­naler Museen in Wittisling­en und wollten die Sachen kaufen. Heutzutage stellt man ein Foto ins Internet und die ganze Welt weiß es, aber wie schnell das selbst damals schon viral ging und alle Welt zum Müllermeis­ter nach Wittisling­en gefahren ist, fand ich total fasziniere­nd. O Informatio­n Wer die Fibel von allen Seiten begutachte­n möchte, findet eine 3D‰Animation unter www.bavarikon.de/ object/bav:ASM‰DDD‰ 00000B3D00­000024?lang=de#

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Fotos: Stefanie Friedrich, Archäologi­sche Staatssamm­lung/Haas‰Gebhard Die Wittisling­er Bügelfibel ist mit ihren 16 Zentimeter­n Länge das Herzstück des Grabfundes.
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Brigitte Haas‰ Gebhard

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