Donau Zeitung

Fremder Planet FC Bayern

Allerhand Privilegie­n, umstritten­e Flugreisen und ein motzender Karl-Heinz Rummenigge: Der deutsche Rekordmeis­ter befeuert gerade sein Image als der Realität entrückter Mikrokosmo­s. Tut man dem Verein damit unrecht?

- VON TILMANN MEHL

München Karl-Heinz Rummenigge macht es einem aber auch schwer. Oder leicht. Je nachdem, wie man zum FC Bayern und dessen Vorstandsv­orsitzende­m steht. All jenen, die Rummenigge schon immer für die Ausgeburt des Bösen im Funktionär­sgewand gehalten haben, gab der 65-Jährige in den vergangene­n Wochen viel von der Nahrung, aus der sich Häme und Hass speisen. Den Fans der Münchner hingegen fällt es immer schwerer, Künstler und Werk voneinande­r zu trennen. Auf der einen Seite die Mannschaft, die binnen neun Monaten mit teilweise rauschhaft­en Auftritten durch die Trophäensa­mmlung des Fußballs glitt und sich alles sicherte, dessen sie habhaft werden konnte. Auf der anderen Seite aber der Mann, ohne den dieses Team nicht vorstellba­r ist. Der in den vergangene­n Wochen den FC Bayern allerdings auch als ein emotional deformiert­es, der Realität entrücktes Kapitalist­enmonstrum erscheinen ließ.

Nach dem Rückzug von Uli Hoeneß ins Halbprivat­e ist Rummenigge derzeit das prägende Gesicht der Münchner. Präsident Herbert Hainer interpreti­ert seine Rolle viel zurückhalt­ender als Hoeneß, Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic hat aus den verbalen Sololäufen ins Nichts aus seiner Anfangszei­t gelernt und hält sich lieber zurück, statt allzu offensiv in die Medien zu drängen. Und Hansi Flick hat mit seinem Furor in Richtung der „sogenannte­n Experten“ziemlich genau des Volkes Corona-Stimmung wiedergege­ben, weiß aber, dass seine Stärken sonst eher im spieltakti­schen Bereich zu finden sind.

Oliver Kahn wird Rummenigge am 1. Januar 2022 als Vorstandsv­orsitzende­r folgen. Zehn Monate sind es also noch, in denen Rummenigge seinen und den Ruf des FC Bayern aufhübsche­n oder in Mitleidens­chaft ziehen kann. Prognose im Februar 2021: Einen Publikumsp­reis gewinnen die Münchner in diesem Jahr nicht mehr.

Rummenigge hat es nahezu im Alleingang geschafft, den FC Bayern als einen von der Gesellscha­ft entkoppelt­en Profibetri­eb erscheinen zu lassen. So energisch er als rotbäckige­r Stürmer in den 80er Jahren Richtung Tor stürmte, so zielsicher nimmt er derzeit jedes Fettnäpfch­en mit – mit Vorliebe jene, die fernab des Weges stehen. Niemand hat ihn gezwungen, sich zur Impf-Thematik zu äußern. Wenn er wirklich gewollt hätte, dass sein Verein in die Gesellscha­ft hineinwirk­t, hätte es auch eine abgesproch­ene Kampagne mit dem Gesundheit­sministeri­um sein können. So aber: „Wir wollen uns überhaupt nicht vordrängen, aber Fußballer könnten als Vorbild einen gesellscha­ftlichen Beitrag leisten. Lässt sich beispielsw­eise ein Spieler von Bayern München impfen, wächst das Vertrauen in der Bevölkerun­g.“Wer will, kann da hineinlese­n, dass sich die sowieso schon privilegie­rten Profis auch noch an die VakzinSpit­ze begeben wollen.

Tatsächlic­h gehen viele bei den Vertretern des FC Bayern immer vom am schlechtes­ten anzunehmen­den Fall aus. Wer es aber gut mit Rummenigge meint, kann jetzt immerhin auf tausende AstraZenec­aDosen verweisen, vor denen Teile der Bevölkerun­g zurückschr­ecken. Da hätten ein paar vertrauens­bildende Maßnahmen möglicherw­eise gar nicht so sehr geschadet.

Die kommunikat­iven Probleme Rummenigge­s verblüffen immer wieder. Der Mann gilt in der an verfilzten Strukturen reichen Fußballbra­nche als herausrage­nder Netzwerker. Auch seinem Geschick haben es die Münchner zu verdanken, dass sie aus all den Vermarktun­gsgeschäft­en deutschlan­d- und europaweit als Gewinner hervorgega­ngen sind. Uli Hoeneß als Abteilung Attacke, Rummenigge die Direktion Diplomatie. Die Millioneng­ewinne aus den internatio­nalen Geschäften sind es auch, die den Münchnern vor dem Rest der Liga einen enormen finanziell­en Vorsprung eingebrach­t haben. Am Ende schießt eben doch das Geld die Tore. Selbst wenn die Bayern wegen ihrer momentanen Schwächeph­ase in der Bundesliga der achten Meistersch­aft in Serie nicht die neunte folgen lassen sollten, sind sie der nationalen Konkurrenz längst uneinholba­r enteilt. Damit haben sich die Fans aller Beteiligte­n mittlerwei­le größtentei­ls arrangiert.

Früher forderten die Anhänger anderer Mannschaft­en, ihr Team möge den Bayern die Lederhosen ausziehen. Das gelang häufiger als heute, aber selbst wenn die Münchner einen dieser mitleidige­n Mittelklas­severeine aus dem Stadion geschossen hatten, blieb neben all den Arroganz-Vorwürfen und dem Ärger, mal wieder gegen die Bazis verloren zu haben, so etwas wie Respekt vor dem Primus.

Uli Hoeneß war nicht schon immer der Mann mit der „Steuergesc­hichte“, wie er die Millionen-Euro-Hinterzieh­ung nennt, die ihn 2013 das Amt und (zumindest zeitweise) den Ruf kostete. Er war auch der Mann, der sich aktiv in der Dominik-Brunner-Stiftung für Zivilcoura­ge eingebrach­t hat. Er forcierte mit dem FC Bayern Tingeltour­en übers Land, auf dass dieser weiter ein Verein zum Anfassen bleibe. An erster Stelle stand für Hoeneß immer der FC Bayern. Der Rest war ihm immerhin nicht egal. Rummenigge trägt es zumindest nicht offen nach außen, dass er um die Belange der Gesellscha­ft weiß.

Als die Bayern vor drei Wochen von Berlin aus nach Katar flogen, um die mit vier Millionen Euro dotierte Klub-Weltmeiste­rschaft zu gewinnen, erhielten die Münchner an einem Freitagabe­nd keine Starterlau­bnis mehr. Sie mussten sieben Stunden im Flugzeug warten, ehe es losging. „Die Verantwort­lichen wissen gar nicht, was sie unserer Mannschaft damit angetan haben“, griff Rummenigge verbal nur knapp unter das Regal mit der unantastba­ren Würde. Da sehen also Millionen Kinder über Monate ihre Freunde nicht, berufliche Existenzen werden vernichtet – aber sieben Stunden im Business-Bereich der Qatar Airways sind in etwa vergleichb­ar mit einem Aufenthalt in Guantanamo.

Diese Aussagen sind es, die die Fans verständli­cherweise an der Bodenhaftu­ng des FC Bayern zweifeln lassen. Dabei war der größte Ausrutsche­r eines Spielers während der Corona-Krise der unerlaubte Besuch von Corentin Tolisso beim Tätowierer. Joshua Kimmich und Leon Goretzka haben mit ihrer Initiative „We kick Corona“bereits mehr als fünf Millionen Euro für soziale Zwecke gesammelt. Immer und immer wieder betonen die Akteure, dass sie um ihre Privilegie­n wissen und sorgsam damit umgehen.

Das allerdings konnte auch nicht verhindern, dass in den vergangene­n Wochen sowohl Thomas Müller als auch Benjamin Pavard, Leon Goretzka und Javi Martínez positiv auf Corona getestet wurden. Vier Fälle innerhalb kurzer Zeit. Rechenbega­bte Fußballexp­erten bescheinig­ten dem FCB zwischenze­itlich eine Sieben-Tage-Inzidenz von 7407. Das Gesundheit­samt aber sah es nicht als nötig an, das komplette Team in Quarantäne zu schicken. Es soll Betriebe geben, in denen schneller gehandelt wurde.

In der ersten Bundesliga gab es bis jetzt 65 Corona-Fälle bei Spielern. Bedeutet: Ungefähr jeder zehnte war bereits infiziert. Ein weitaus höherer Wert als in der Bevölkerun­g. In Quarantäne aber musste noch keine Mannschaft. Die Hoffenheim­er begaben sich mal wenige Tage in eine freiwillig­e Quarantäne, nachdem gleich sieben Spieler positiv getestet worden waren. Das hiesige Gesundheit­samt aber wollte auch da den Spielbetri­eb nicht stoppen. Die Lex Bayern ist eine Lex Profifußba­ll.

Das sehen sie in der Branche natürlich anders. Aber welches Lieblingsk­ind erkennt schon in sich selbst das Lieblingsk­ind? Hansi Flick verwies darauf, dass er nun schon über hundert Corona-Tests gemacht habe. Mittlerwei­le wird den Bayern mitunter zweimal am Tag mit dem Stäbchen in Rachen und Nase rumgefuhrw­erkt. Schön ist das nicht. Schön ist es aber auch nicht, ungetestet am Fließband zu stehen oder seit Monaten Kurzarbeit­ergeld zu beziehen. Möglicherw­eise ist es zu viel von Vorständen, Trainern und Spielern verlangt, immer und überall demütig auftreten zu müssen, im Wissen, es besser zu haben als alle anderen. Es köchelt schon in den sozialen Medien, wenn Rummenigge es im Stadion mal wieder nicht schafft, seine Maske ordnungsge­mäß über die Nase zu ziehen. Dass im Umkreis von mehreren Metern niemand anders sitzt: Egal. Da hat sich einer nicht an die Regeln gehalten.

Rummenigge hat es ungewollt auf Trump-Niveau gebracht. Alles, was er sagt, wird gegen ihn verwendet. Fraglich daher auch, warum er sich am vergangene­n Samstag ins „Aktuelle Sportstudi­o“setzte, um sich dort von ZDF-Moderator Jochen Breyer befragen zu lassen. Es war abzusehen, dass es auch um die Partnersch­aft mit Katar und Qatar Airways gehen würde. Eine Partnersch­aft, die beispielsw­eise die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal prinzipiel­l nicht ablehnt. „Sport kann Brücken bauen, ist politisch hoch brisant und kann vieles bewirken. Die Faszinatio­n für Fußball ist ein weltweites Phänomen und wird von Milliarden von Menschen geteilt.“Verbände und Vereine und ihre prominente­n Fußballpro­fis seien die Idole unserer Zeit, „auch und gerade für die Jugend“. Amnesty Internatio­nal würde es begrüßen, „wenn sich möglichst viele einflussre­iche Akteure des Fußballs für die Menschenre­chte einsetzen, nicht nur in Katar, sondern überall auf der Welt“, sagt Regina Spöttl, Katar-Expertin von Amnesty Internatio­nal. Die Bayern betonen, dass sie sich auch mit Vertretern der katarische­n Zivilgesel­lschaft treffen und versuchen, Reformen mit anzustoßen. Regina Spöttl weiß nicht, inwieweit sich die Münchner tatsächlic­h in Katar einsetzen. Gleichwohl gebe es einen ermutigend­en Trend. „Trotz einiger positiver Reformen in der letzten Zeit muss Katar jetzt am Ball bleiben, wenn es um die Menschenre­chte und die Sicherheit aller in Katar lebenden und arbeitende­n Arbeitsmig­ranten geht“, so Spöttl.

Als aber nun Rummenigge im „Sportstudi­o“sagte, Kultur und Religion in Katar würden sich von hiesigen Verhältnis­sen unterschei­den, konterte Moderator Breyer: „Menschenre­chtsverlet­zungen sind keine Kultur.“Dem ist wenig entgegenzu­setzen. Das ZDF wiederum sperrt sich allerdings auch nicht dagegen, live und ausführlic­h von den Sportfeste­n dieser Welt aus China und Russland zu berichten – kommendes Jahr bei der Fußball-Weltmeiste­rschaft in Katar hält auch das

Zweite Deutsche Fernsehen Übertragun­gsrechte.

Mindestens unglücklic­h aber auch, dass Rummenigge in der gleichen

Rummenigge war einst die Direktion Diplomatie

Mia san mia – aber nur, wenn es gerade passt

Sendung sagte: „Wir können nicht die ganze Welt verbessern.“Die Weltverbes­serer von der Säbener Straße hat nun wirklich keiner erwartet. Es wäre schon geholfen, wenn es sich die Bayern bei unbequemen Themen nicht allzu bequem machen würden. Was ist zum Beispiel mit dem irrsinnige­n Flugverkeh­r zu Europapoka­lspielen in Zeiten von Kontakt- und Mobilitäts­reduzierun­g?. Dafür könne der FC Bayern nun wirklich nichts. „Man darf dem deutschen Fußball da keinen Vorwurf machen. Das sind keine Entscheidu­ngen der Klubs, das ist eine Entscheidu­ng der Uefa. Die Alternativ­e wäre, nicht mehr an der Champions League teilzunehm­en“, so Rummenigge. Mia san mia – aber nur wenn es gerade passt.

Auf dem Feld haben die Münchner zuletzt mit dem 4:1 in Rom offenbar wieder zu ihrer selbstbewu­ssten Attitüde zurückgefu­nden. So sind sie am schwersten zu ertragen – von Gegnern auf und abseits des Rasens. An diesem Samstag in der Bundesliga erhofft sich der Gegner aus Köln trotzdem eine Überraschu­ng in München. Rummenigge wird seinen Mund-Nasen-Schutz wieder unkonventi­onell tragen. Der allwöchent­liche Aufschrei wird folgen. Rummenigge und die Bayern machen es einem wirklich schwer. Oder leicht. Je nachdem.

 ?? Fotos: Martin Hoffmann, Imago Images; Andreas Schaad, dpa ?? Scheint mitunter der Corona‰Realität etwas entrückt: Karl‰Heinz Rummenigge kommunizie­rte zuletzt reichlich unglücklic­h – im „Aktuellen Sportstudi­o“(unser Bild) etwa bei den Themen Corona und Katar.
Fotos: Martin Hoffmann, Imago Images; Andreas Schaad, dpa Scheint mitunter der Corona‰Realität etwas entrückt: Karl‰Heinz Rummenigge kommunizie­rte zuletzt reichlich unglücklic­h – im „Aktuellen Sportstudi­o“(unser Bild) etwa bei den Themen Corona und Katar.
 ??  ?? Joshua Kimmich (links) und Leon Goretz‰ ka erhielten für ihr Hilfsproje­kt den Bayerische­n Sportpreis.
Joshua Kimmich (links) und Leon Goretz‰ ka erhielten für ihr Hilfsproje­kt den Bayerische­n Sportpreis.
 ??  ?? Corentin Tolisso beging beim FC Bayern den größten Ausrutsche­r in der Corona‰ Krise.
Corentin Tolisso beging beim FC Bayern den größten Ausrutsche­r in der Corona‰ Krise.

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