Donau Zeitung

Unter den Wolken

Mitarbeite­r am leeren Münchner Flughafen vermissen den Trubel und die Menschen aus aller Welt. Die wenigen Passagiere haben ganz eigene Gründe, um hier zu sein. Zum Beispiel Urlaub, Liebe und Käsemaschi­nen

- VON MARLENE WEYERER

München Trotz Corona hat sich die österreich­ische Familie entschloss­en, in den Urlaub zu fahren. Aber dann sind sie schon am Münchner Flughafen gestrandet. Wegen Corona. Ihren Namen will die Familie nicht in der Zeitung lesen. Auch andere Reisende in dieser Geschichte werden lieber nur mit Vornamen genannt. „Dann sind wir wieder die Bösen, die das Virus verbreiten“, sagt die Mutter. „Aber man will sich die Freiheit eben nicht nehmen lassen“, sagt der Vater. Die beiden kleinen Kinder sagen nichts zu dem Thema, sie laufen und kraxeln aufgeregt um die Eltern herum.

Von München geht es für die Familie über Amsterdam ins isländisch­e Reykjavík. Aber die Niederland­e verlangen einen anderen Corona-Test, als die Familie dabeihat. Deswegen konnten sie früh morgens nicht in ihren Flug einsteigen. Inzwischen ist alles geklärt, sie fliegen zehn Stunden später als geplant los. Nach fünf bis sechs Tagen Quarantäne und zwei weiteren PCR-Tests feiert die Mutter dann ihren 40. Geburtstag in Island. Angst habe sie keine, die Infektions­zahlen seien dort niedriger als zu Hause. Für die Kinder sei es gut, mal wieder rauszukomm­en. „Man kann ohne Reisen leben“, sagt die Mutter. Dann ergänzt sie scherzhaft: „Aber es geht auch gut mit.“

Die wenigen Passagiere, die am Terminal 2 des Franz-Josef-StraußFlug­hafens warten, sehen in der großen Halle verloren aus. Es ist wie ein Sonntag an einem Ort, der eigentlich keinen Sonntag kennt. Ein Bäcker verkauft Semmeln und Kaffee zum Mitnehmen, alle anderen Geschäfte sind geschlosse­n. Das gesamte Terminal 1 ebenso. Dabei ist nicht einmal Sonntag, sondern Dienstag. Um kurz vor elf stehen nur noch 14 Flüge für den Tag an.

Etwa 5000 Passagiere zählt der Flughafen aktuell jeden Tag. 2019 hasteten im Schnitt 130000 Menschen pro Tag die Rollbänder auf und ab. Allein dieser Unterschie­d macht deutlich, wie stark die Flugbranch­e von der Corona-Pandemie betroffen ist. Die Fluggastza­hlen in München und Nürnberg sind 2020 um jeweils mehr als 75 Prozent eingebroch­en. München durchliefe­n von Januar bis Dezember vergangene­n Jahres 11,1 Millionen Fluggäste, der niedrigste Wert seit der Eröffnung im Jahr 1992. Der Freistaat rechnet mit einem dreistelli­gen Millionenv­erlust. In Nürnberg wurde mit 917000 Passagiere­n die Grenze von einer Million unterschri­tten. Am Allgäu-Airport bei Memmingen sind die Zahlen ebenfalls eingebroch­en. Wenn auch nicht so stark wie bei den anderen. 691 000 Passagiere zählten die Allgäuer 2020 nach 1,7 Millionen im Vorjahr, ein Minus von etwa 60 Prozent.

„Es ist traurig“, sagt David Toth. Der 36-Jährige arbeitet seit 2012 am Münchner Flughafen, aktuell als Springer zwischen Telefonzen­trale, Infoschalt­er und Terminaldi­enst, bei dem die Mitarbeite­r beispielsw­eise nach herrenlose­n Gepäckstüc­ken suchen. „Wir versuchen, alles für unsere Passagiere zu tun, aber wir haben keine“, beschwert sich Toth. Er vermisst den Trubel, der den Flughafen ausmacht. Normalerwe­ise suchen Leute wegen allen möglichen Themen den Infoschalt­er auf: Gepäckscha­den, Flugumtaus­ch, sie fragen nach Museumsöff­nungszeite­n und Ausflugsmö­glichkeite­n. „Jetzt hat sich alles geändert“, sagt Toth. Es gebe Schichten, in denen kaum etwas zu tun sei. Und wenn Menschen kommen, seien es immer Fragen zu Corona. Trotzdem ist Toth froh, für den Flughafen zu arbeiten. Momentan ist er zwar wie drei Viertel der rund 10000 Beschäftig­ten in Kurzarbeit, aber bis Ende 2023 besteht für die Mitarbeite­r Kündigungs­schutz.

Bei Problemen mit Corona-Tests schickt Toth Passagiere an das Test & Flight, das sich ebenfalls im Terminal 2 befindet. Früher verkaufte hier ein Laden namens Discover Bavaria Schokolade­n und Souvenirs. Jetzt gibt es stattdesse­n Wattestäbc­hen und Rachenabst­riche. Vor dem formt sich die einzige Schlange im gesamten Terminal. Dort steht die 22-jährige Amanda. Sie braucht für ihren Flug einen Antigen-Test, der höchstens vier Stunden alt ist. Die Schwedin war zehn Tage in Deutschlan­d, um ihren Freund zu besuchen. Sie hatten sich seit November nicht mehr gesehen. Prinzipiel­l rät sie davon ab, aktuell zu verreisen. „Aber ich bin einfach ein blödes Mädchen, das sich verliebt hat.“

Auch Rick muss sich für seine Reise noch testen lassen. Der 18-Jährige fliegt über Amsterdam nach Togo – mit einem recht ungewöhnli­chen Grund. Die Botschaft der Republik Togo in Berlin verlängert aktuell wegen der Corona-Krise keine Reisepässe und ohne einen Pass wäre der gebürtige Münchner illegal in Deutschlan­d. „Also muss ich bis nach Afrika, um meinen Pass zu erneuern“, sagt er genervt. Damit sei ein riesiger Kosten- und Zeitaufwan­d verbunden. Immerhin: Er kann Familienmi­tglieder besuchen und gleichzeit­ig online an seiner Berufsschu­le teilnehmen.

Zwar werden klassische Urlaubszie­le wie die Kanaren weiterhin angeflogen, aber Geschäftsr­eisen und Familienbe­suche machen aktuell wohl den größeren Anteil des Luftverkeh­rs aus. Von den 2097 Flugzeugen, die vom 11. Januar bis 28. Februar in München starten, landen mehr als 40 Prozent wieder in einer deutschen Stadt. Im gleichen Zeitraum im Vorjahr, kurz vor der Corona-Pandemie, blieben nur 25 Prozent der Flüge im Inland, Ferienziel­e im europäisch­en Ausland machten einen größeren Anteil aus. Je weiter die Reise geht, desto komplizier­ter ist sie in Corona-Zeiten. Trotzdem verlassen prozentual gleich viele Flüge den EU- und Schengenra­um wie vor einem Jahr.

Die Lufthansa, die mit Abstand am meisten Flüge in München anbietet, will auf Nachfrage nicht verraten, wie ausgelaste­t ihre MaschiTest­zentrum nen sind. Nimmt man allerdings die Gesamtzahl­en des Flughafens in der zweiten Februarwoc­he, 33600 Passagiere bei 800 Starts und Landungen, sitzen in einem Flugzeug im Schnitt 42 Passagiere.

Der Allgäu-Airport bei Memmingen ist wahrschein­lich deswegen etwas besser durch die Krise gekommen, weil dort viele Flüge von und nach Osteuropa angeboten werden. Von 82 Flugzeugen, die vom 11. Januar bis 18. Februar in Memmingerb­erg abhoben, landeten 73 in Osteuropa. Viele Menschen, die in Deutschlan­d arbeiten, besuchen dort ihre Familien.

Auch der 20-jährige Fin will seine Familie besuchen. Der Amerikaner ist in Hohenfels (Oberpfalz) stationier­t und fliegt vom Münchner Flughafen in die USA. Reisen sei er gewohnt, erzählt er. Auch wenn gerade vieles anders sei. Muhammad Argawanapa­ti unterdesse­n ist auf dem Weg zu seiner neuen Arbeit in Bremen. Eine Agentur hat den Indonesier gebucht, um dort auf einem Kreuzfahrt­schiff zu kellnern.

Ebenfalls für die Arbeit unterwegs sind Roland Merk und sein Kollege. Die beiden Männer aus dem Kreis Lindau (Bodensee) arbeiten für Hochland, einen der größten Käseherste­ller Europas. Sie fliegen nach El Salvador in Zentralame­rika, um dort eine Käsemaschi­ne in Betrieb zu nehmen. „Wir sind wahrschein­lich vier Wochen dort, bauen die Maschine auf und kümmern uns darum, dass sie läuft“, sagt Merk. Außer den Corona-Tests habe sich für ihn nicht viel am Reisen verändert. Je nach Land ist das allerdings unterschie­dlich. Merk erzählt, ein Kollege müsse in Kanada für zwei Wochen in Quarantäne, um dann innerhalb weniger Tage eine Maschine zu reparieren.

Die Luftsicher­heitsbeauf­tragte Stephanie Müller hat das Gefühl, dass Geschäftsr­eisende durch die wenigen Menschen am Flughafen entspannte­r unterwegs sind. Auch bei der Sicherheit­skontrolle, an der die 38-Jährige arbeitet, entstehen keine Schlangen. Wartezeite­n haben eher die Mitarbeite­r als die Fluggäste. „Nichtsdest­otrotz muss volle Konzentrat­ion sein“, sagt Müller. Sie macht ihre Arbeit gerne. Vor Corona sei ihr bei der Mischung unterschie­dlicher Menschen nie langweilig geworden. Im Moment ist es viel ruhiger. Früher hat Müller den Flughafen schon an der S-Bahn-Station gehört, jetzt sei es unheimlich still. Aber sie erwartet, dass es wieder bergauf geht.

Die Durchsagen scheppern ungewohnt laut durch die leere Halle, kein Geräuschpe­gel, den sie übertönen müssen. Die Stimme ruft nicht verspätete Passagiere ans Gate, stattdesse­n weist sie auf die Maskenpfli­cht hin. An Sonntagen, also wenn nicht nur gefühlt, sondern wirklich Sonntag ist, schlendern Menschen auf einem Spaziergan­g durch den Flughafen. David Toth erzählt, die Leute fragen ihn dann am Infoschalt­er, wie es aktuell mit den Flügen funktionie­rt, wann sich die Regelungen ändern. Er ist sich sicher, der Flughafen hat Zukunft. „Die Leute möchten wieder Urlaub haben. Sie möchten fliegen.“

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Foto: Marlene Weyerer Die Check‰in‰Halle im Terminal 2 des Münchner Franz‰Josef‰Strau߉Flughafens ist aktuell immer sehr leer. Auf dem Bild ist es kurz vor elf an einem Wochentag. Nur noch 14 Abflüge stehen an.
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