Donau Zeitung

„Der Rückenwind für Söder ist beachtlich“

CSU-Generalsek­retär Markus Blume schlägt in der Debatte um den möglichen Kanzlerkan­didaten der Union unerwartet neue Töne an. In der Corona-Politik warnt er vor Verspreche­n, die am Ende nicht zu halten sind

- Interview: Uli Bachmeier

Herr Blume, eine Frage kann ich Ihnen nicht ersparen, bevor wir über die Corona-Politik, über CSU und CDU und über die Frage der Kanzlerkan­didatur reden: Wie steht die CSU zum Fall Nüßlein? Es wäre doch eine Ungeheuerl­ichkeit, sollten sich die Vorwürfe gegen Ihren schwäbisch­en Parteifreu­nd bewahrheit­en?

Markus Blume: Es handelt sich um ein laufendes Ermittlung­sverfahren. Hier werden schwere Vorwürfe erhoben, die lückenlos aufgeklärt werden müssen.

Also gut, andere Frage: Ihr Chef Markus Söder irritiert das Publikum. Beim Politische­n Aschermitt­woch hat er noch gesagt, Merkel-Stimmen gebe es nur für Merkel-Politik. Jetzt sieht es so aus, als wäre Söder derjenige, der vom strengen Corona-Kurs der Kanzlerin abweicht. Bayern lockert einige Regeln mehr und schneller als andere Bundesländ­er. Was ist da los? Blume: Ihr Eindruck täuscht. Der Kurs von Vorsicht und Umsicht gilt unveränder­t. Aber mit Blick auf die inzwischen gesunkenen Infektions­zahlen ist es selbstvers­tändlich, dass man den Menschen auch wieder mehr Perspektiv­e geben muss. Das ist geschehen – und zwar regional differenzi­ert. Wir haben in Bayern die besten Landkreise in Deutschlan­d mit einer Inzidenz von 10. Wir haben aber auch in einigen Grenzregio­nen die Landkreise mit höchster Inzidenz. Deswegen ist es sinnvoll, in einzelnen Bereichen – Kitas, Schulen, Gärtnereie­n, Handel – Perspektiv­en einzulösen. Anderswo ist Vorsicht nach wie vor der alleinige Maßstab.

Es gibt also keine Kehrtwende? Blume: Nein. Die Menschen vertrauen seit einem Jahr dem Kurs von Vorsicht und Umsicht, der immer aktualisie­rt und den Gegebenhei­ten angepasst wurde. Damit ist Bayern gut gefahren, und dabei bleibt es auch.

Jetzt ist es aber so, dass die Infektions­zahlen aktuell wieder steigen. Virologen warnen schon vor einer dritten Welle. Was erwarten Sie von der Ministerpr­äsidentenk­onferenz kommende Woche?

Blume: Kollektive Klugheit! Wir sind noch nicht über den Berg. In manchen Teilen Deutschlan­ds baut sich schon eine dritte Welle auf. Die Gefahren durch die Mutationen nehmen dramatisch zu. Jede Erleichter­ung kann nur auf Bewährung stattfinde­n. Es bleibt dabei: Den Takt gibt nicht die Politik vor, sondern das Virus. Im Zweifelsfa­ll für Sicherheit und Gesundheit­sschutz zu entscheide­n, war immer richtig. Insofern erwarte ich von der Ministerpr­äsidentenk­onferenz zwar mehr Perspektiv­e für Öffnungen. Aber für eine generelle Kursänderu­ng gibt es keine Grundlage – ganz im Gegenteil.

Was passiert, wenn die Infektions­zahlen weiter steigen. Friert man den Status quo dann ein oder ist sogar wieder mit strengeren Regeln zu rechnen? Blume: Wir müssen alles tun, damit wir keine Wiederaufl­age des vergangene­n Jahres bekommen. Zum Glück haben wir heute ganz andere Möglichkei­ten zur Verfügung: bessere Hygienekon­zepte, wirksame FFP2-Masken und was noch viel entscheide­nder ist: Wir können umfänglich testen und impfen. Die Kombinatio­n, mehr zu testen und schneller zu impfen, ist unser Ticket auf dem Weg zur Normalität. Wir sollten dieses Ticket so schnell wie möglich lösen, das heißt: die Testkapazi­täten in Deutschlan­d weiter hochfahren und gleichzeit­ig alles tun, dass mehr und zügiger geimpft wird. Es ist doch völlig absurd, dass der Impfstoff von AstraZenec­a jetzt quasi wie ein Ladenhüter behandelt wird. Da muss man auch mit manch einer Desinforma­tion aufräumen, die möglicherw­eise sogar aus dem Ausland gesteuert ist. AstraZenec­a ist kein Impfstoff zweiter Klasse. Im Gegenteil, wir haben hochwirksa­me Impfstoffe, und jeder Impfstoff schützt gleicherma­ßen vor schweren und schwersten Krankheits­verläufen und rettet Leben.

Herr Söder hat angedeutet, dass man eine Änderung der Prioritäte­n beim Impfen ins Auge fassen sollte. Welche Überlegung­en gibt es da?

Blume: Es war richtig, die vulnerable­n Gruppen als Erste zu impfen, also die Bewohner von Alten- und Pflegeheim­en und die über 80-JähriWas die weiteren Schritte angeht, hat Markus Söder recht: Jetzt muss das Augenmerk auch auf anderen Bereichen liegen, um zum Beispiel Kitas und Schulen wieder in die Normalität zu bringen. Deshalb sollten wir Lehrer und Erzieher vorrangig behandeln.

Herr Söder hat gesagt, Lehrer und Erzieher reicht möglicherw­eise nicht. Muss man vielleicht auch an der Organisati­on etwas ändern, wenn Impftermin­e nicht wahrgenomm­en werden? Blume: Alles, was an Impfstoff da ist, muss verimpft werden. Das Impfen muss noch niederschw­elliger möglich werden. Die Impfzentre­n funktionie­ren hervorrage­nd. Da müssen die Kapazitäte­n jetzt deutlich hochgefahr­en werden. Und für eine echte Massenimpf­ung in der Fläche brauchen wir dann auch die Hausärzte. Das muss der nächste Schritt sein.

Sie bekommen viel Post, aus der Partei und von Bürgern. Wie nehmen Sie die Stimmung wahr?

Blume: Die Ungeduld nach einem Jahr Corona ist überall spürbar. Familien empfinden die Kombinatio­n von Homeoffice und Homeschool­ing verständli­cherweise als Belastung. Unternehme­r, die seit Monaten ihren Betrieb zuhaben, sehen sich in existenzie­llen Nöten. Das müssen wir ernst nehmen, Perspektiv­en geben und unterstütz­en. Leider hat es bei der Unterstütz­ung in den letzten Wochen gehakt. Ich kenne Betriebe, die im Februar immer noch auf die Novemberhi­lfe warten. Das ist ein unhaltbare­r Zustand. Deutschlan­d muss aus dem Bürokratie­schlaf erwachen.

Wie stellt sich denn in der CSU die Stimmungsl­age dar? Es gab einige wenige kritische Wortmeldun­gen. Ist das noch ein Unbehagen über die Gesamtsitu­ation oder schon Unmut über die Corona-Politik?

Blume: Die Stimmung in der CSU bildet ab, was in der Bevölkerun­g insgesamt diskutiert wird. So muss es auch sein: Jeden Tag gibt es ein Ringen um den richtigen Kurs und die richtige Balance. Für die Bewältigun­g der Corona-Krise gibt es keine Blaupause. Es muss alles täglich neu erarbeitet werden. Unter diesen schwierige­n Umständen konnten wir mit dem Kurs von Angela Merkel und Markus Söder viele Leben retten und das Land trotzdem am Laufen halten.

Die CSU betont sehr den Schultersc­hluss mit der CDU – zuletzt am Aschermitt­woch. Sogar CDU-Chef Armin Laschet war Gast, als erster CDU-Chef überhaupt …

Blume: …ja, und er hat sich auch sehr darüber gefreut.

Eines kann Ihnen aber doch an der CDU nicht gefallen: die Verspreche­n, die Gesundheit­sminister Jens Spahn macht und die er hinterher nicht halten kann – zum Beispiel Selbsttest­s für alle ab 1. März.

Blume: Wir kommen jetzt in eine ganz entscheide­nde Phase bei der Corona-Bewältigun­g. Die Akzeptanz der Maßnahmen bröckelt. Gleichzeit­ig ist die Gesamtlage wegen. gen der Virus-Mutationen noch nicht entspannt. In dieser Phase ist das Erwartungs­management fundamenta­l. Die Kombinatio­n von mehr verspreche­n und weniger liefern ist in der Politik immer toxisch, weil das zu großer Enttäuschu­ng führt. Jetzt ist wichtig: gemeinsam verabreden, was man dann auch halten kann, und dann die Erwartunge­n vielleicht sogar übertreffe­n. Ich sage das auch in Richtung der Europäisch­en Kommission. Es gab leider eine ganze Kaskade von Ankündigun­gen auf europäisch­er Ebene, was wann stattfinde­n wird. Aber wenn es dann ums Einlösen ging, hat leider in der Vergangenh­eit die Enttäuschu­ng dominiert.

Damit ist die Frage nach der Beziehung der CSU zur Schwesterp­artei CDU aber noch nicht beantworte­t. Blume: Die Beziehung ist gut wie lange nicht.

Dann hat man sich bestimmt schon darüber verständig­t, wann der gemeinsame Kanzlerkan­didat gekürt wird? Blume: Gemeinscha­ftlich zwischen Ostern und Pfingsten. Klar ist dabei: Ohne die CSU geht es nicht. Und klar ist auch: In der Frage gibt es definitiv keine Vorentsche­idung und auch keinen Automatism­us. Uns sollten die besten Erfolgsaus­sichten leiten. Der Rückenwind für Markus Söder in bundesweit­en Umfragen ist schon beachtlich.

Worauf kommt es denn an? Warum wollen Sie so lange warten?

Blume: Das Land ist noch nicht bereit für Wahlkampf. Wir stecken mitten in der Pandemie. Jeder, der wie zum Beispiel die SPD zu früh in den Wahlkampfm­odus umschaltet, der wird feststelle­n, dass er im Leerlauf ist und in der Bevölkerun­g Unverständ­nis erntet. Die Personalen­tscheidung und der ganze Wahlkampf werden sich auf die letzten drei bis vier Monate vor der Wahl konzentrie­ren.

Wie ist denn die Mitglieder­entwicklun­g in der CSU? Es hieß jetzt öfter mal, dass es wegen Corona besonders viele Austritte gebe.

Blume: Die Ein- und Austritte halten sich trotz Corona in etwa die Waage. Das Austrittsg­eschehen bewegt sich seit Monaten auf dem Niveau der vergangene­n Jahre. Da wir seit einem Jahr praktisch keine Präsenzver­anstaltung­en mehr haben, können wir vor Ort aber weniger neue Mitglieder gewinnen als unter normalen Umständen. Trotzdem freuen wir uns über durchschni­ttlich 77 Neumitglie­der pro Woche.

Markus Blume, 46, ist seit März 2018 CSU‰Generalsek­retär. Dem Bayerische­n Landtag gehört er seit dem Jahr 2008 an.

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Foto: Peter Kneffel, dpa CSU‰Generalsek­retär Markus Blume – hier beim Politische­n Aschermitt­woch in Passau – rät der Politik, in der Corona‰Strategie keine nicht erfüllbare­n Erwartunge­n zu wecken.

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