Donau Zeitung

Reise in den „Heiligen Krieg“

Ein Mann aus Augsburg soll in Syrien eine Terrorgrup­pe angeführt haben und erschossen worden sein. Eine Suche nach Erklärunge­n für seinen Werdegang, der kein Einzelfall ist

- VON STEFANIE SCHOENE

Augsburg Die Kondolenza­nzeige erschien in der Nacht zum 8. Februar auf Facebook. Die Augsburger Kammgarn-Moschee trauerte. „Mehmet Ö. erreichte die Gnade Gottes“, hieß es auf der Seite. Die Anzeige sei für die Familie des Toten, dieser habe seine Taten selbst zu verantwort­en, sagt der Vorsitzend­e des Moscheever­eins. „Mehmet war goldig früher. Ich habe ein bisschen geschwärmt für ihn“, erzählt eine ehemalige Mitschüler­in, die mit ihm eine Augsburger Mittelschu­le besuchte. Sein Tod, aber vor allem die Umstände entsetzen sie. „Ein Terrorist? Ich hatte keine Ahnung.“

Einige Stunden vor dieser Facebook-Meldung wurde in Syrien ein Deutscher erschossen. In der nordwestli­chen Provinz Idlib, nahe der Grenze zur Türkei, griffen zwei Männer auf einem Motorrad den Mann an, als er gerade vom Abendgebet aus einer Moschee kam. Sein Totenbild ging durch die TwitterWel­t, beschäftig­te internatio­nale Analysten und syrische Nachrichte­n. Genannt wurde er Abu Yunus al-Almani – in seinem Augsburger Leben hieß er Mehmet Ö. In Idlib hatte er offenbar eine eigene Terrorgrup­pe aus Deutschen und Türken angeführt. Das bestätigt der dänische Islamismus-Experte Tore Hamming auf Anfrage unserer Redaktion. Demnach verdingen sich in der Provinz derzeit dutzende Deutsche als Kämpfer der Miliz Hayat Tahrir al-Sham. Auch Ö. gehörte dieser eine Zeit lang an.

Eine Bestätigun­g, dass es sich bei Mehmet Ö. um Abu Yunus handelt, geben Verfassung­sschutz und Polizei nicht. Doch Zeitpunkt, Bilderverg­leiche und auch die Ex-Mitschüler­in bestätigen die Übereinsti­mmung. Wie kam es, dass sich ein Mann aus einer nach ihren Angaben säkularen muslimisch­en Familie so radikalisi­erte, dass er in den „Heiligen Krieg“zog?

Seine Schwester möchte nicht mit unserer Redaktion sprechen. Ö. war Teil des salafistis­chen Milieus in Augsburg, das zwischen 2014 und 2016 an den „Lies!“-Tischen Korane verschenkt­e. Ein Sticker auf seiner längst gelöschten Facebook-Seite zeigte bereits 2013 das Zeichen der Salafisten, den erhobenen Zeigefinge­r. Dazu ein Text auf gelbem Grund: „Ein einziger Gott, eine Gemeinde, ein Kampf, ein Staat, ein Kalif“. Ein Reiter mit der schwarzen Fahne des IS und ein gedichtete­s Bekenntnis auf Türkisch deuten schon damals an, wohin diese fundamenta­listische Reise gehen könnte: „Ich bete keine Götzen an, kann ohne Koran nicht leben. Ich breche keine Ehe, hasse die Ungläubige­n. Ich werde brausen wie die Flut, dem Märtyrerto­d entgegen. Weil ich Muslim bin. Meine Verfassung ist der Koran, mein Job die Zerstörung, Gottes ist das Gesetz. Weil ich Muslim bin.“

„Das ist ein Kampflied, ein klarer Aufruf: Erhebt euch!“, interpreti­ert Thomas Mücke. Der erfahrene Sozialarbe­iter ist Gründer und Geschäftsf­ührer des „Violence Prevention Networks“(VPN), das seit 2004 mit inzwischen 106 Mitarbeite­rn und Mitarbeite­rinnen bundesweit Prävention­s- und Aussteiger­programme für rechte und islamistis­che Extremiste­n anbietet. In Bayern ist VPN seit Ende 2015 als Dienstleis­ter des Landeskrim­inalamtes (LKA) aktiv und betreut eine mittlere zweistelli­ge Zahl bayerische­r Islamisten, darunter auch Gefährder. „Bei Radikalisi­erung sehen wir klare Entfremdun­gsprozesse und das Gefühl ‚Ich bin Muslim und das ist nicht mein Land‘. Mit Kritik am ‚unislamisc­hen‘ Leben von Eltern und Umfeld trennen sie sich langsam von allen unseren Lebensbere­ichen. Am Ende stehen die Echokammer und die psychische Abhängigke­it von der islamistis­chen Szene“, erklärt er. Hätten Moschee, Familie und Freunde die Radikalisi­erung von Ö. verhindern können? „Es gab in Bayern noch keine Beratungss­trukturen im islamistis­chen Bereich. Ich kann mir vorstellen, dass die Moschee der Sache nicht gewachsen war und auch gar nicht gewusst hätte, wohin mit ihren Fragen“, antwortet Mücke.

Laut dem aktuellen Verfassung­sschutzber­icht von 2019 gibt es in Bayern derzeit 770 Salafisten, zehn Prozent von ihnen sind Konvertite­n. 150 Personen werden als gewaltbere­it eingestuft. Laut Landeskrim­inalamt Bayern fuhren seit 2012 insgesamt 77 Muslime nach

Syrien, um sich dem Islamische­n Staat oder anderen als terroristi­sch anzusehend­en Gruppen anzuschlie­ßen. 21 sind zurück, von diesen sitzen derzeit drei in Haft.

Viele der Rückkehrer haben Bekanntsch­aft mit VPN gemacht. „Die Chancen auf Einsicht und Deradikali­sierung stehen gut, wenn sie selbst innegehalt­en, sich Dinge bewusst gemacht und schließlic­h vor Ort von sich aus die Waffen abgelegt hatten“, resümiert Mücke. Sorgen machen ihm die, die von der kurdischen Selbstverw­altung gefangen genommen wurden und deren Rückholung derzeit politisch diskutiert wird. Aus Bayern befinden sich laut LKA aktuell sieben Menschen in kurdischer Gefangensc­haft. „Diese Personen werden ideologisc­h sehr gefestigt und radikalisi­ert sein, da muss man sich nichts vormachen. Ich habe Zweifel, ob Sozialarbe­it da noch was ausrichten kann und nicht doch konzentrie­rtere Programme gefordert sind.“

 ?? Foto: Moawia Atrash, dpa ?? Von Bomben zerstörte Häuser gehören im syrischen Idlib zum Stadtbild. In der Region soll Anfang des Monats der Augsburger Mehmet Ö. gestorben sein.
Foto: Moawia Atrash, dpa Von Bomben zerstörte Häuser gehören im syrischen Idlib zum Stadtbild. In der Region soll Anfang des Monats der Augsburger Mehmet Ö. gestorben sein.

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