Donau Zeitung

„Die Wirtschaft hält das nicht länger durch“

Der Lockdown trifft nun auch das Handwerk massiv, sagt Schwabens Kammerchef Hans-Peter Rauch. Welche Öffnungspe­rspektive er sieht und weshalb aus seiner Sicht ein Friseurbes­uch sicher ist

- Interview: Michael Kerler

Herr Rauch, wie ist die Lage im Handwerk nach einem Jahr CoronaKris­e? Lange Zeit standen Sie im Vergleich zu anderen Branchen sehr stabil da.

Hans‰Peter Rauch: Ich muss klar sagen, dass sich die Stimmung und die Lage komplett gedreht haben. Im ersten Lockdown vergangene­s Frühjahr waren vor allem die Friseure betroffen, während sich andere Handwerksb­etriebe stabil halten konnten. Heute aber sagt jedes vierte Handwerksu­nternehmen in Schwaben, dass es ihm schlecht geht. Bei einem Drittel der Betriebe sind die Umsätze rückläufig, jeder zweite Betrieb meldet Auftragsrü­ckgänge. Da läuten die Alarmglock­en.

Welche Branchen sind besonders betroffen?

Rauch: Hart hat es im Handwerk unsere Friseure und Kosmetiker getroffen, deshalb ist es gut, dass sie jetzt ab 1. März öffnen können. Den Friseuren wurde verboten, ihr Geschäft aufzumache­n, und das trotz aller starker Hygienekon­zepte. Die finanziell­en Folgen sind das eine. Das Schlimmste für einen Unternehme­r ist aber, wenn er nichts unternehme­n darf und zusehen muss, wie seine Mitarbeite­r keine Arbeit haben. Da kann ich verstehen, wenn Menschen aggressiv werden.

Aggressiv? Was ist passiert?

Rauch: In der Handwerksk­ammer führen wir jeden Tag dutzende Telefonate. Häufig verstehen die Menschen angesichts der Corona-Maßnahmen es nicht mehr, warum sie eine Tätigkeit nicht ausüben dürfen. Warum darf zum Beispiel ein Supermarkt alle Waren verkaufen, während ein Fachgeschä­ft den Laden nicht öffnen darf? Wenn aber die Menschen die Maßnahmen nicht mehr verstehen, wird es für die Politik schwierig.

Die Friseure dürfen ja nun wieder öffnen. Ist damit alles gelöst?

Rauch: Es leiden Handwerksu­nternehmen, bei denen man es auf den ersten Blick nicht vermutet. Bäckereien mussten ihre Café-Bereiche schließen, dort fehlt massiv Umsatz. Ein anderes Beispiel aus eigener Erfahrung: Ich betreibe mit meiner Metzgerei ein Caterer-Geschäft, dieses liegt brach. Brauereien können kein Bier an die Gastronomi­e liefern, den Fotografen ist das Geschäft weggebroch­en, weil kaum größere Events oder Hochzeiten stattfinde­n. Kritisch kann es mittelfris­tig auch für Installate­ure oder Schreiner werden. Wenn Unternehme­n sparen und Hotels oder Gasthäuser weniger Aufträge vergeben, trifft es diese Betriebe. Wir werden die Krise noch lange in der Zukunft merken!

Wie sind Sie im eigenen Betrieb damit umgegangen, dass Umsätze fehlen? Rauch: Aus dem Catering-Geschäft fehlen mir 500 000 Euro Umsatz aus dem Jahr 2020. Zum Teil konnte das die Metzgerei kompensier­en, weil die Menschen mehr Lebensmitt­el eingekauft haben, um zu Hause zu kochen. Hilfen habe ich nicht beantragt. Wenn ich keine Hilfe brauche, nehme ich sie auch nicht in Anspruch.

Kamen die staatliche­n Hilfen im Handwerk denn an?

Rauch: Unsere Friseure mussten zum Beispiel die Soforthilf­e im ersten Lockdown nutzen. Dies hat gut funktionie­rt. Schwierig ist die Lage bei den aktuellen Programmen wie dem Überbrücku­ngsgeld III. Es ist nicht verantwort­bar, dass man in unserem hochmodern­en Land einen Antrag lange Zeit nicht abschicken konnte, weil die Software nicht arbeitet! Ein Ausgleich für eine Zwangsschl­ießung muss zeitnah kommen. Das Geld muss rasch auf dem Konto sein, nicht viele Wochen später. Es ist eine Fehlleistu­ng der Politik, etwas anzukündig­en, das dann nicht funktionie­rt.

Immer wieder ist vor der Insolvenzw­elle gewarnt worden, befürchten Sie auch im Handwerk, dass Betriebe verloren gehen?

Rauch: Lange war ich überzeugt, dass wir mit einem blauen Auge davonkomme­n. Inzwischen befürchte ich, dass auch Handwerksb­etriebe in die ein oder andere Insolvenz laufen könnten oder dass sie zum Teil Mitarbeite­r nicht mehr beschäftig­en können, auch wenn das Kurzarbeit­ergeld uns bisher hilft.

Welche Öffnungspe­rspektive könnten Sie sich vorstellen? Diese Woche sprechen ja die Ministerpr­äsidenten der Länder mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel darüber.

Rauch: Die Aufgabe der Politik ist es jetzt, einen Weg aufzuzeige­n, den sie gehen will und der schnell schrittwei­se Öffnungen vorsieht. Die Wirtschaft hält das nicht länger durch. Mit Verboten kommen wir nicht mehr weiter.

Wie könnte ein Fahrplan für die Wirtschaft aussehen?

Rauch: Ich halte es für sinnvoll, dass Öffnungen an das Infektions­geschehen geknüpft werden. Ein solcher Stufenplan muss alle Branchen berücksich­tigen – auch den Handel und die Gastronome­n. Das Handwerk hängt indirekt an vielen anderen Unternehme­n. Abhängig von den Infektions­zahlen müssen Öffnungssc­hritte möglich sein. Ab ersten März ist bei den Friseuren ein Kunde pro 10 Quadratmet­er erlaubt. Wenn die Infektions­zahlen sinken, könnte die Quadratmet­erzahl gesenkt werden. Wir brauchen solche pragmatisc­he Lösungen! Leider sind heute viele politische Entscheidu­ngsträger weit entfernt von der Praxis.

Jetzt steigen aber eher die Infektions­zahlen als dass sie sinken. Es kann sein, dass der Inzidenzwe­rt von 35, der als Voraussetz­ung für Öffnungen im Handel gilt, so schnell nicht erreicht wird ... Rauch: Jeder versteht, dass Öffnungen nicht machbar sind, wenn die Infektions­zahlen explosions­artig steigen. Bleibt die Lage aber im Griff, halte ich nichts davon, sich steif an Zahlen zu klammern. Gegebenenf­alls kann man Hygienemaß­nahmen verschärfe­n. Vor allem brauchen wir eine Lösung, die für eine ganze Region gilt. Es hat keinen Sinn, zum Beispiel in Augsburg die Läden geschlosse­n zu halten, weil ein bestimmter Inzidenzwe­rt überschrit­ten wird, in den umgebenden Landkreise­n aber alles zu öffnen, weil der Wert schon unterschri­tten ist. Dann beginnt ein Einkaufsto­urismus, wie er zwischen Bayern und Baden-Württember­g droht, wenn hier die Baumärkte öffnen, im anderen Bundesland aber nicht.

Wie bereiten sich die Friseurbet­riebe auf die Öffnung vor?

Rauch: Die Erleichter­ung bei den Friseuren ist groß, dass sie öffnen können. Die Betriebe führen nun zum Teil Sonderschi­chten ein. Was nicht mehr passieren darf, ist, dass wir wieder komplett schließen müssen. Ein dritter Lockdown wäre der Super-GAU. Das halten die Betriebe nicht mehr durch.

Bekommen die Friseure das CoronaAnst­eckungsris­iko in den Griff? Rauch: Die Hygiene bei den Friseuren hat funktionie­rt und wird wieder funktionie­ren. Jeder Friseur hat ein Hygienekon­zept erstellt. Bei 80000 Betrieben in Deutschlan­d sind nur wenige Fälle bekannt, in denen es zu einer Ansteckung gekommen ist.

Nach der Corona-Krise wird die Wirtschaft Schub brauchen. Was bräuchte das Handwerk?

Rauch: Ich warne davor, dass am Ende die Unternehme­n den Preis der Krise allein zahlen müssen. Teilweise wird in der Politik ja über höhere Sozialbeit­räge oder höhere Steuern nachgedach­t. Viele Unternehme­r im Handwerk – gerade in kleinen Betrieben – haben ihr privates Kapital genommen, um die Krise zu überstehen. Neue Belastunge­n wären der Genickbruc­h für viele Firmen. Die Corona-Krise unterzieht auch die Kommunalfi­nanzen einem Stresstest. Ich hoffe, dass die Kommunen aber weiter in Schulen und die Infrastruk­tur investiere­n können. Von diesen Aufträgen lebt das Handwerk.

Wie kann man sich das Ausbildung­sjahr 2021 vorstellen? Kommen die jungen Leute und die Betriebe zusammen? Rauch: Das ist eine meiner ganz großen Sorgen, wir müssen alles dafür tun, um keine Generation an Bildungsve­rlierern im Handwerk zu produziere­n. Fallen Ausbildung­smessen aus, ist der Kontakt zwischen Betrieben und Schülern nicht mehr vorhanden. Der persönlich­e Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Im Moment haben wir einen deutlichen Rückgang der Ausbildung­sverträge gegenüber dem Vorjahr, aber ich bin zuversicht­lich, dass wir das aufholen. Wir brauchen die jungen Menschen, die ein Handwerk lernen und später vielleicht den Meister machen und einen Betrieb gründen!

Herr Rauch, wir sprechen ja über Video, Sie sind im Homeoffice. Nutzen Sie diesen Weg häufig?

Rauch: Viele Besprechun­gen finden heute im Homeoffice per Videokonfe­renz statt. Damit lassen sich Kontakte vermeiden. Aber, um ehrlich zu sein, das Gespräch von Mensch zu Mensch ist mir auf lange Sicht doch lieber.

Wann erwarten Sie wieder Normalität?

Rauch: Falls die Menschen sich impfen lassen – das ist wichtig –, hoffe ich, dass wir nach dem dritten Quartal wieder Tritt fassen können. Wir müssen 2021 darum kämpfen, 2022 wieder Normalität zu haben. Dafür müssen wir positiv nach vorne schauen und lernen, mit der Pandemie zu leben, um sie zu besiegen.

Hans‰Peter Rauch, 58, ist seit 2014 Präsident der Handwerksk­ammer für Schwaben. Er ist Inhaber und Ge‰ schäftsfüh­rer der Metzgerei Rauch in Waltenhofe­n‰Hegge, Oberallgäu.

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Foto: Ulrich Wagner „Die Hygiene bei den Friseuren hat funktionie­rt und wird wieder funktionie­ren“, sagt Schwabens Handwerksp­räsident Hans‰Peter Rauch. Er fordert einen Weg aus dem Lockdown auch für andere Branchen.

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