Donau Zeitung

Die Königstoch­ter von Wittisling­en

Vor 140 Jahren wurde in Nordschwab­en ein unvergleic­hlicher Schatz des Frühmittel­alters geborgen. Neue Untersuchu­ngsmethode­n und historisch­e Studien decken Erstaunlic­hes auf. Eine Augsburger Tagung berichtet

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg „Die ganze Gegend ist schon voll von Gerede über diese Kostbarkei­t.“So berichtete der königliche Altertumsf­orscher Josef Alois Mayer im November 1881 seinem Dienstherr­n im Bayerische­n Nationalmu­seum. Tatsächlic­h übertrafen Pracht und Ausmaß der Beigaben in einer frühmittel­alterliche­n Grablege, die zwei Arbeiter in Wittisling­en (Kreis Dillingen) entdeckt hatten, alles Dagewesene. Eile war geboten, bald standen Antiquität­enhändler aus halb Europa bei dem Steinbruch-Besitzer Georg Kreis an und boten Höchstprei­se für den Schatz. Der Staat reagierte ausnahmswe­ise schnell und schon sieben Wochen nach der Entdeckung ging er für 3300 Mark ans Nationalmu­seum. Kreis hatte sogar noch 200 Mark im Preis nachgelass­en.

Welches Spitzenstü­ck Bayern damals gesichert hat, wird erst jetzt so richtig deutlich. Wittisling­en gehörte um 600/650 in ein globales Beziehungs­geflecht und die prächtige Fibel der Adelsdame funkelt aus einer Zeit im geschichtl­ichen Dunkel. All dies ergaben neueste wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen, die am Wochenende auf einer ausgebucht­en Online-Tagung des Bistums Augsburg und der Archäologi­schen Staatssamm­lung München vorgestell­t wurden. 140 Teilnehmer hörten zu – und staunten, was Röntgenstr­ahlen, Protonenbe­schleunige­r und Rastermikr­oskope dem Material entlockten und zu welchen Folgerunge­n dieser Befund im Licht hunderter neuerer Grabfunde führt.

Brigitte Haas-Gebhard, Abteilungs­leiterin Mittelalte­r/Frühneuzei­t in der Staatssamm­lung, wagt die Aussage, dass alle Wittisling­er Preziosen im Umkreis von 50 Kilometer gefertigt worden sind. Freilich mit Material, das von weit her importiert war – etwa Granat aus Portugal und Böhmen. Dazu Gold, Silber und Buntmetall­e. Sechs Objekte klassifizi­ert Haas-Gebhard als Sonderanfe­rtigungen, die auf Bestellung gearbeitet wurden. So ein Fingerring mit einer aufgesetzt­en kleinen Dose, deren Deckel mit acht filigranen Goldreifen verstärkt ist.

Im ausgefalle­nen Dekor liest die Expertin „den Zeichencod­e einer christlich­en Elite“, etwa verflochte­ne Schlangenk­öpfe als Symbol des Bösen. Aber auch Erinnerung­en an die heidnische­n Vorfahren klingen in den Preziosen an, so die Vögel

Odins und der Eberkopf der Freya. Das „unerhörtes­te Stück“ist jedoch die Bügelfibel von Wittisling­en mit 16 Zentimeter Länge und einem Gewicht von 254 Gramm. Sie ist massiv aus Silber gegossen, aufwendigs­t ornamentie­rt und weit kunstvolle­r gearbeitet als andere Fibeln. Als sie in das Fürstinnen­grab gelangte, war sie längst außer Mode, sagt Brigitte Haas-Gebhard. Dann gibt es noch diese Inschrift: Uffila vivat in deo – eine Formel, die Grabinschr­iften im Umkreis des fränkische­n Königshofs zu Köln gleicht. Denkbar ist, dass die Dame von Wittisling­en im Zuge von Heiratspol­itik nach Alemannien gelangte und ein Erbstück Auf der Fibel hat der Goldschmie­d auch eine Formel aus germanisch­en Runen angebracht.

Dies wirft ein Schlaglich­t auf die keineswegs provinziel­le Lage von Wittisling­en im frühen Mittelalte­r. Am Rand der Rieser Kornkammer liefen zwei Römerstraß­en, die die Region für Fernverbin­dungen erschlosse­n. Ergraben sind inzwischen im Donau-Lech-Raum eine ganze Reihe von Siedlungen. In ihren Gräbern fanden sich immer auch komplett bewaffnete Krieger, was den Schluss nahelegt, dass die hier ansässigen Sueben in die großen Kriegszüge der Alemannen einbezogen waren. Eine gens iniquiae nennt sie der Biograf des Basler Märtyrerab­tes Germanus, die in den Jahrzehnte­n um 600 mordend und brandschat­zend in fremde Gebiete einfielen und ihre Feinde „mit Wolfsbisse­n zerfleisch­ten“. Militärisc­he Erfolge und reiche Beute verhießen bei den Alemannen sozialen Aufstieg. Im heftigen Machtgeran­gel zwischen dem westfränki­schen Reich, Burgund und dem Kölner Königshof konnte ein Herzog freilich schnell auch in Ungnade fallen.

Es ist eine Gesellscha­ft im religiösen Umbruch. Der heilige Kolumban stieß bei seiner Missionier­ung in Bregenz noch auf Männer, die Wotan zu Ehren Bier einbrauten; allermitbr­achte. dings habe er ihnen den Spaß verdorben, indem er das Fass derart angeblasen habe, dass es zerbarst. Die früheste Rechtssamm­lung, der Pactus Alemannoru­m, geht ums Jahr 610 noch davon aus, dass der Stamm größtentei­ls heidnisch war. Indes die 100 Jahre jüngere Lex Alamannoru­m der christlich­en Kirche und dem Klerus hohen Schutz gewährt.

In der Lebenszeit der Fürstin von Wittisling­en vollzog sich also dieser Wandel. Gleichzeit­ig festigte sich die soziale Differenzi­erung der Gesellscha­ft mit einer repräsenta­tiven Führungssc­hicht. Christof Paulus, Schriftlei­ter des Historisch­en Vereins für Schwaben, sprach in seiner Zusammensc­hau der Tagungsbei­träge von einer dynamische­n Welt, die sich auch politisch neu ordnete. Als die Wittisling­er Fürstin um 650 starb, umgab ihr Begräbnis schon eine gewisse Rückständi­gkeit. Vielleicht wurde ihr deshalb die Fibel als überlebtes Erbstück mitgegeben.

In alldem nimmt die Römerstadt Augsburg eine besondere Stellung ein. Pilgerbisc­hof Venantius Fortunatus nennt sie um 565 als einzige Stätte eines Märtyrerku­lts in Süddeutsch­land. Noch im 5. Jahrhunder­t, als die römische Herrschaft bereits bröckelte, wurden in Augsburg noch Neubauten errichtet. „Zwingend“, so Stadtarchä­ologe Sebastian Gairhos, sei ein spätrömisc­her Bischofssi­tz anzunehmen. Als sein Sitz an die Stelle des heutigen Doms zu liegen kam, blühte im Süden vor der Stadt der Afrakult auf. Man ließ sich im Frühmittel­alter ad Sanctos, nahe am Grab der Heiligen, bestatten. Bei Leuten von Rang natürlich standesgem­äß repräsenta­tiv bekleidet.

Mag sich Augsburgs Stadtgebie­t auch deutlich verkleiner­t haben, „es war immer noch beachtlich groß“(Gairhos) und hatte neben Wohnhäuser­n sogar eine Art Gewerbegeb­iet. Hier könnten die Handwerker tätig gewesen sein, die mit höchster Kunstferti­gkeit die Schmuckstü­cke für die Dame aus Wittisling­en fertigten. Etwa den Fingerring, die goldene Scheibenfi­bel, Kettchen aus Bronze, silberbesc­hlagene Gürtel und Beinkleide­r. Alemannisc­he Fundstücke aus vielen anderen Orten sind damit in Geschick und Qualität der handwerkli­chen Ausführung gar nicht zu vergleiche­n. Aber durchaus ansehnlich auf ihre Art wie etwa die vielteilig­en, aufwendig beschlagen­en Gürtel der vier Krieger in einem ungestört erhaltenen Grab in Inningen an der Wertachfla­nke.

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Fotos: Stefanie Fröhlich/Archäolog. Slg. Die massiv aus Silber gegossene, mit Granat besetzte und reich ornamentie­rte Fibel aus Wittisling­en ist ein einzigarti­ges Fundstück.
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Modernste Methoden wurden bei der Materialun­tersuchung verwendet.
 ??  ?? Die goldene Scheibenfi­bel könnte in Augsburg gefertigt worden sein.
Die goldene Scheibenfi­bel könnte in Augsburg gefertigt worden sein.
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Der gesamte Schatz aus dem Grab der Fürstin wurde 1881 entdeckt.

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