Donau Zeitung

Wann wird’s mal wieder richtig Fußball?

Derby, Flutlicht, ausverkauf­tes Haus – nach einem Jahr darf unser Autor endlich wieder in „sein“Stadion. Doch schon am Tor zum Wienerwald fühlt sich alles falsch an

- VON MICHAEL STIFTER

München Das S-Bahn–Derby ist ausverkauf­t. Für das Duell mit der SpVgg Unterhachi­ng hatten die Münchner Löwen sogenannte Geistertic­kets angeboten. 15000 Menschen zahlen Eintritt, obwohl sie nicht eintreten dürfen. Trotzdem gehen alle Karten weg. Mehr Herz als Verstand. Ins Stadion dürfen nur die Mannschaft­en, Funktionär­e und ein paar Medienvert­reter. Wie ich. Ein Jahr lang war ich nicht mehr in „meinem“Grünwalder Stadion. Nun also das prestigetr­ächtige Derby gegen Unterhachi­ng. Mein großes Comeback. Bei Flutlicht. Wie damals 1985, als ich zum ersten Mal hier war. „Als kleiner Bub an Vaters Hand“, wie es einem der nicht ganz so kitschigen Fanlieder aus diesen Jahren heißt. Wie sich meine Rückkehr anfühlt? Irgendwie gar nicht.

Ich wusste all die Jahre gar nicht, dass der Wienerwald-Biergarten ein Tor hat. Nun ist es geschlosse­n.

Hier an der Kreuzung im Schatten des Stadions treffen sich normalerwe­ise hunderte Menschen vor dem Anpfiff auf ein paar Bier und Leberkässe­mmeln. Natürlich musste mir klar sein, dass dieser Laden heute zu hat, wie alle anderen Restaurant­s und Kneipen eben auch. Und doch erwischt mich der Anblick kalt. Fußball ist ja auch immer die Erinnerung an Fußball. Und zu diesen Erinnerung­en gehört das Gegröle von Fans in weiß-blauen Kutten in diesem Wienerwald-Biergarten nun mal genauso wie der Geruch von Zigarillos und dieser Typ, der auf einem um die Hüfte geschnallt­en Tablett überschwap­pende Bierbecher durch die Sitzreihen trägt. Für die meisten Fans zählt nicht nur das, was auf dem Platz passiert, sondern auch das Drumherum.

Das Sechzger, wie die Münchner die legendäre Spielstätt­e im Stadtteil Giesing nennen, ist eines der aussterben­den Stadien, die nicht irgendwo verkehrsgü­nstig an einer

Autobahnau­sfahrt hochgezoge­n wurden. Hier gibt es Kneipen, die Trepperlwi­rt oder Blue Adria heißen. Einen McDonalds. Einen Waschsalon. Immerhin der hat geöffnet. Im Stadion selbst durften Fanklubs diesmal ihre Fahnen in der Westkurve aufhängen. Als die Löwen in Führung gehen, rennt Torschütze Dennis Erdmann instinktiv dorthin. Doch sein Jubel verhallt wie die Pfeife des Sportlehre­rs damals in der miefigen Schulturnh­alle.

Mitten im Spiel steigen unvermitte­lt Silvesterr­aketen hinter der Tribüne in den dunklen Himmel, es folgen das Knallen von ein paar Böllern und Polizeisir­enen – das Feuerwerk war dann wohl eher nicht angemeldet. Ich habe Zeit, mir solche Gedanken zu machen. Stadion ohne Fans ist wie Fußballsch­auen auf dem Sofa, nur in kalt und ohne Chips – möglich also, aber doch sinnlos.

Eigentlich würde Giesing beben, als Sascha Mölders 1860 nach dem zwischenze­itlichen Ausgleich wieder in Führung bringt. Per Fallrückzi­eher! Zu hören sind aber nur die paar Zuschauer, die das Spiel aus dem Dachfenste­r im fünften Stock eines alten, grünen Hauses an der Grünwalder Straße verfolgen. Die Löwen gewinnen das S-Bahn-Derby verdient mit 3:1. Mit dem Schlusspfi­ff verlasse ich das Stadion. Ich komme wohl erst wieder, wenn ich hier nicht mehr alleine bin.

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Michael Stifter schreibt normalerwe­ise für uns über Politik und Wirtschaft.

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