Donau Zeitung

Den Rivalen im Rücken

Die schlechten Ergebnisse der Landtagswa­hlen haben in der CDU Geister geweckt, die Parteichef Laschet längst verschwund­en wähnte. Immer öfter fällt der Name des bayerische­n Ministerpr­äsidenten als Kanzlerkan­didat. Auch für Söder selbst wächst die Versuchu

- VON ULI BACHMEIER UND STEFAN LANGE

Berlin/München Am Tag nach den Landtagswa­hlen herrscht Katerstimm­ung bei der Christlich-Demokratis­chen Union Deutschlan­ds. Die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württember­g haben der CDU nicht den Absturz gebracht. Den erlebten die Christdemo­kraten Ende Oktober 2019 in Thüringen, als sie um fast 13 Prozentpun­kte einbrachen. Doch die Stimmverlu­ste am Wahlsonnta­g erschütter­n die Parteispit­ze. Eigentlich sollte es mit Armin Laschet als neuem CDU-Vorsitzend­en frisch vorangehen, in Wahrheit geht es gerade zurück.

Die schlechten Ergebnisse haben eine neue Verletzlic­hkeit der CDU aufgezeigt, sie haben die Geister geweckt, die Laschet schon besiegt wähnte. Friedrich Merz und sogar Norbert Röttgen, seine Kontrahent­en bei der Wahl zum Parteivors­itzenden, rücken wieder in den Fokus. Vor allem befeuern die Wahlergebn­isse das Fernduell mit CSUChef Markus Söder. Der bayerische Ministerpr­äsident sieht das offenbar genauso, er schießt jedenfalls an diesem Montag aus München einige Pfeile in Richtung Berlin.

„Hätten wir doch auch bloß so charismati­sche Spitzenpol­itiker“, stöhnt ein CDU-Präsidiale­r am Telefon und benennt damit das Hauptprobl­em, an dem sie im KonradAden­auer-Haus gerade verzweifel­n. Laschet kann nichts für die Maskenaffä­re. Für den bisher schleppend­en Impfverlau­f kann er auch nur teilweise verantwort­lich gemacht werden. Er kann auch nichts dafür, dass seine CDU-Spitzenkan­didaten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württember­g gegen die Ministerpr­äsidenten Malu Dreyer und Winfried Kretschman­n nicht den Hauch einer Chance hatten. Aber deren Erfolg zeigt der CDU schmerzhaf­t auf, was ihr fehlt: ein Gesicht, das praktisch allein Wahlen entscheide­t, so wie es bei der SPD-Landeschef­in Dreyer und ihrem grünen Amtskolleg­en Kretschman­n der Fall war.

Laschet ist in den gut 50 Tagen seit seiner Wahl zum CDU-Chef erstaunlic­h blass geblieben. Unterschie­dliche Rankings verorten ihn auf verschiede­nen Plätzen, aber stets liegt er hinter Kanzlerin Angela Merkel, hinter Markus Söder und sogar hinter Jens Spahn, obwohl der Bundesgesu­ndheitsmin­ister gerade selber nicht gut dasteht.

Die Wahlstrate­gen in der CDUZentral­e sind verzweifel­t. Sie haben schon längst auf dem Zettel, was vielen Bürgern landauf, landab noch nicht vollständi­g ins Bewusstsei­n gerückt ist: Bei der nächsten Bundestags­wahl tritt Angela Merkel nicht mehr an. Und Armin Laschet ist in seiner aktuellen Form nach Einschätzu­ng der Parteizent­rale nicht in der Lage, in dieses Vakuum vorzustoße­n und es zu füllen.

Hinter den Kulissen des Berliner Politikbet­riebs gibt Laschet den Gestalter und macht allenthalb­en deutlich, dass er sich die Kanzlerkan­didatur von Söder nicht nehmen lassen will. In der Videokonfe­renz der Parteispit­ze am Montag gibt er, berichten Teilnehmer, die Parole aus, dass man jetzt kämpfen müsse. Vor den Kameras indes lässt Laschet in den Augen vieler CDU-Abgeordnet­er, die um ihre Sitze im nächsten Parlament fürchten, diesen Kampfgeist vermissen. „Wir fragen uns, wann er endlich angreift“, sagt einer, der dem konservati­ven Flügel der CDU angehört.

Als solches Angriffssi­gnal wäre es verstanden worden, wenn Laschet die Klärung der K-Frage vorgezogen hätte. Er hätte als mutiger Macher gegolten, doch Laschet wollte das Wagnis nicht eingehen. Der Zeitplan dafür sei mit Söder verabredet, betonte er stets: Zwischen Ostern und Pfingsten. So wiederholt er es auch am Montagaben­d in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Laschet?“. Doch dann fügt er einen Satz hinzu, der als erste kleine öffentlich­e Kampfansag­e gewertet werden kann: Zwischen Ostern und Pfingsten heiße nicht Pfingstson­ntag. „Sondern es kann auch sehr schnell nach Ostern sein.“Laschet macht jetzt also Druck. Auf die Frage, was Söder wirklich besser könne als selbst, antwortet Laschet verschmitz­t: Söder „spricht besser bayerisch, er hat schönere Schlösser“. Ansonsten seien beide unterschie­dliche Typen, jeder habe seine Stärken. „Und wenn man die gut zusammenle­gt, haben wir die Chance, die Wahl zu gewinnen“, so Laschet.

Ob Söder der bessere Kanzlerkan­didat für die Union wäre? Führende Köpfe in der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag sehen das so. Eine Mehrheit in der Landtags-CSU ist dagegen nach wie vor wenig begeistert von der Idee, Markus Söder im Herbst ins Rennen zu schicken – schon gar nicht, wenn es dabei nur darum ginge, für die schwächeln­de Schwesterp­artei CDU die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das habe 1980 mit Franz Josef Strauß nicht funktionie­rt und sei auch 2002 mit Edmund Stoiber gescheiter­t.

Dieses historisch­e Argument wiegt schwer. Dennoch wird in der CSU neu über eine Kanzlerkan­didatur des Parteichef­s nachgedach­t, weil einige Voraussetz­ungen sich geändert haben. Strauß und Stoiber traten gegen amtierende SPDKanzler an. Söder hätte diesen Nachteil nicht. Er könnte sich mehr als seine berühmten Vorgänger gute Chancen ausrechnen, mit der Union die Bundestags­wahl zu gewinnen.

Doch paradoxerw­eise ist genau dieser neue Umstand mittlerwei­le auch das größte Problem für die CSU: Strauß und Stoiber konnten aus einer Position der Stärke heraus agieren. Beide regierten mit absoluter Mehrheit in Bayern. Sie hatten von SPD und Grünen keine Konkurrenz zu fürchten. Söder hat diesen Vorteil nicht. Er hat es knapp 20 Jahre nach Stoibers Ausflug in die Bundespoli­tik im bayerische­n Landtag mit Freien Wählern, FDP und AfD zu tun. Der Wahlsonnta­g in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz hat erneut drastisch vor Augen geführt, wie locker die Wähler von hier nach da wechseln. Die CSU ist von ihrer einst überragend­en Dominanz weit entfernt. Aktuell ist Söder in München auf einen Koalitions­partner angewiesen, und er weiß nur zu gut, was eine CSUKanzler­schaft in Berlin für die Christsozi­alen in Bayern bedeuten würde: Er wäre künftig für alles verantwort­lich, was im Bund schiefgeht und könnte Ärgerlichk­eiten nicht mehr locker nach Berlin abschieben. Für die politische Konkurrenz in Bayern – allen voran Freie Wähler und FDP – wäre das ein Konjunktur­programm.

Noch kann die CSU ihre klassische Strategie, die seit rund 70 Jahren prächtig funktionie­rt, hemmungslo­s umsetzen. Diesen Montag nach den Wahlnieder­lagen der CDU in ihren einstigen Stammlande­n Baden-Württember­g und RheinlandP­falz ist das geradezu exemplaris­ch zu beobachten. Söder und sein Generalsek­retär Markus Blume operieren in ihrer Analyse der Wahlergebn­isse mit der feinsinnig­en Unterschei­dung zwischen der CoronaStra­tegie und dem Corona-Management der Bundesregi­erung. Die Strategie der „Umsicht und Vorsicht“sei richtig, das Management aber sei schlecht gewesen. „Es geht um die Gesamtperf­ormance der Bundesregi­erung“, sagt Blume.

Die Botschaft dahinter ist unüberhörb­ar: Söder und auch der grüne Wahlsieger Winfried Kretschman­n, den die CSU-Führung hier ausdrückli­ch mit einbezieht, hätten den Kurs in der Pandemie-Bekämpfung im Prinzip richtig vorgegeben, aber die Bundesmini­ster Peter Altmaier, Jens Spahn (beide CDU) und Olaf Scholz (SPD) hätten es im praktische­n Vollzug vermurkst. Oder noch einmal verkürzt: Söder ist an allem Ungemach unschuldig. Kretschman­n hat gewonnen, weil er bei Corona mit Söder auf einer Linie war. Dass der Wahlerfolg von Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz nicht so recht in dieses Erklärungs­muster passt – sei’s drum. Das wird dann halt mit der großen persönlich­en Beliebthei­t der sozialdemo­kratischen Amtsinrech­ts haberin erklärt. Für die SPD auf Bundeseben­e wirkt Dreyers Sieg wie eine große Dosis Selbstvert­rauen. Sie leitet aus den Landtagswa­hlen einen Machtanspr­uch für den Bund ab, den Laschet so eben nicht formuliert. Obwohl die Umfragen derzeit eine ganz andere Sprache sprechen, sieht SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz in den Ergebnisse­n das Signal, „dass wir eine künftige Bundesregi­erung führen und den Bundeskanz­ler stellen können“. Das könnte eine Ampel mit den Grünen und der FDP sein, oder auch die Kombinatio­n aus SPD, Linken und Grünen, wie sie Juso-Chef Kevin Kühnert nicht ausschließ­t.

Es sei „möglich, Deutschlan­d zu regieren, ohne dass die CDU/CSU an der Regierung beteiligt ist“, sagt Scholz im Willy-Brandt-Haus, wo sie am Montag Malu Dreyer begrüßen und endlich mal wieder wirklich Grund zum Jubeln haben. Und was macht Laschet? Der mahnt in der Gremiensit­zung seiner Partei zum Entsetzen vieler, dass eine Regierung unter CDU-Führung nicht gottgegebe­n sei.

Laschet muss sich da nicht wundern, dass in seinem Umfeld nicht nur der Name Söder geraunt wird, wenn es um Alternativ­en zu ihm als Kanzlerkan­didaten geht. Der CDUAußenpo­litiker Norbert Röttgen kommt wieder ins Spiel, ernster muss man die Aussagen aus dem konservati­ven Fanlager von Friedrich Merz nehmen. Dessen Comebackve­rsuch als Bundestags­abgeordnet­er wird als jener Kampfeswil­le gedeutet, den sie Laschet absprechen. Eine Spitzenkan­didatur von Merz, während Laschet Parteichef bleibt – diese Kombi ist auf einmal wieder eine Alternativ­e. Immerhin will Laschet das „Modernisie­rungsjahrz­ehnt“aktiv anpacken. Unter anderem müsse es darum gehen, Lösungen für die Probleme zu finden, die nach der Pandemie zu erwarten seien, sagt er. Bereits am 26.

März will Laschet deshalb mit allen Kreisvorsi­tzenden der CDU Deutschlan­ds zusammenko­mmen, um am Wahlprogra­mm seiner Partei zu arbeiten.

CDU-Spitzenpol­itikern wie Andreas Jung kommt das gerade recht. „Wir müssen als Konsequenz aus den Landtagswa­hlen jetzt die inhaltlich­e Aufstellun­g und Erneuerung angehen“, sagt der stellvertr­etende Unionsfrak­tionsvorsi­tzende im Bundestag unserer Redaktion. „Das eine ist: Wie kommen wir aus der Krise raus? Das andere: Wie kommen wir gut in die Zukunft?“Jung erinnert daran, dass die CDU bei ihren wichtigen Arbeiten an einem neuen Grundsatzp­rogramm von Corona unterbroch­en wurde und dies nun auch „im Zeitraffer“erledigen müsse. Der Konstanzer lenkt den Blick auf die Klimapolit­ik, bei der die Union vieles erreicht habe, nun aber konkreter werden und draufsatte­ln müsse. Für Laschet, den Chef aus dem Industriel­and Nordrhein-Westfalen, kann das ein wichtiges Betätigung­sfeld werden.

Die Zeit könnte dem 60-Jährigen zupasskomm­en. Bis zur Bundestags­wahl am 26. September dürfte die Erinnerung an ein mäßiges Corona-Management verblasst sein, wenn die Masse der Menschen geimpft und von Pandemie-Beschränku­ngen befreit ist. Bei der CDU mutmaßen Laschet-Unterstütz­er zudem, dass weiterhin mäßige Umfrageerg­ebnisse dem Nordrhein-Westfalen eher nützen könnten. Ihre Argumentat­ion: Je schlechter die Siegchance­n für CDU und CSU sind, desto eher verlieren Söder oder auch Merz die Lust, sich in den Wahlkampf zu werfen und eine Niederlage zu riskieren.

In Bayern will sich CSU-Generalsek­retär Markus Blume nicht mehr damit aufhalten, was zuletzt für die Union alles schiefgela­ufen ist. Er plädiert für den „Blick nach vorne“, redet von der Geschlosse­nheit und Entschloss­enheit der CSU und schaltet in den Wahlkampfm­odus. Die SPD macht ihm dabei keine Sorgen: „Der Scholz-Zug ist bisher nicht aus dem Bahnhof herausgeko­mmen.“

Der wuchtige Auftritt der CSUFührung am Tag nach den Doppelwahl­en passt freilich nicht so recht zu der durchaus zwiespälti­gen Stimmung, die nach Aussagen von Teilnehmer­n am Montag in der Sitzung des CSU-Vorstands herrscht. „Ich habe das Gefühl, dass viele von uns den Ernst der Lage noch gar nicht erkannt haben“, sagt ein Vorstandsm­itglied nach der Sitzung. Die Union insgesamt stecke in einer Vertrauens­krise, und die CDU könne

Hinter den Kulissen ruft Laschet zum Kämpfen auf

Ist Söder wieder „ein Stück näher dran“?

von Glück reden, dass viele Briefwähle­r in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz schon gewählt hatten, bevor die Maskenaffä­ren um die aus CSU und CDU mittlerwei­le ausgetrete­nen Bundestags­abgeordnet­en Georg Nüßlein und Nikolas Löbel ruchbar wurden. „Das hat sich in den Wahlergebn­issen noch gar nicht niedergesc­hlagen.“Eines allerdings hätten die beiden Wahlergebn­isse vom Wochenende unzweifelh­aft gezeigt: „Es kommt mehr denn je auf die Personen an.“

Womöglich entpuppt sich Armin Laschet als Marathonlä­ufer mit Qualitäten für die lange Strecke. Einmal hat er sich so schon als Erster ins Ziel gebracht. Laschet habe mit seinem NRW-Wahlkampf bewiesen, erinnert der Konstanzer CDUAbgeord­nete Andreas Jung, dass man mit inhaltlich­er Positionie­rung eine Wahl auch gegen starke Gegner durchaus gewinnen könne.

Und Söder? Dass er der Versuchung erliegen könnte, wenn er die Möglichkei­t hätte, nach der Kanzlerkan­didatur zu greifen, denken jedenfalls immer mehr in der CSU. Wie sagt es doch ein Teilnehmer der Vorstandss­itzung: „Ich glaube, er war heute wieder ein Stück näher dran.“

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Foto: Federico Gambarini, dpa Ständig ist da der Mann im Hintergrun­d: CDU‰Parteichef Armin Laschet (rechts) wird permanent mit Markus Söder verglichen.
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Fotos: Bernd von Jutrczenka, Marijan Murat, dpa Ihre Erfolge bringen die Christdemo­kraten ins Grübeln: Malu Dreyer (SPD) und Win‰ fried Kretschman­n (Grüne).
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