Impfstopp für AstraZeneca
Gesundheitsminister Jens Spahn setzt die Verwendung wegen möglicher Thrombosegefahr aus. Das ist ein heftiger Dämpfer für die Impfstrategie der Regierung. Und ein überraschender: Letzte Woche war noch alles in Ordnung
Berlin Die Nachricht hat das politische Berlin im Kampf gegen die Corona-Pandemie komplett durcheinandergewirbelt: Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca sind in Deutschland bis auf Weiteres verboten. Als Grund nannte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine möglicherweise erhöhte Thrombosegefahr, also die Bildung eines gefährlichen Blutgerinnsels. Der CDU-Politiker betonte mehrfach, dass es sich um eine vorsorgliche Maßnahme handele. Es gehe „um ein sehr geringes Risiko“, sagte Spahn. Bereits mit AstraZeneca Geimpften riet er, sich im Zweifel ärztlichen Rat einzuholen.
Am Montagvormittag hatte das Paul-Ehrlich-Institut die Bundesregierung darüber in Kenntnis gesetzt, dass es in einem „engen zeitlichen Zusammenhang“Thrombosebildungen nach Corona-Impfungen mit AstraZeneca gegeben habe. Das Institut ist in Deutschland für die Genehmigung von Impfstoffen zuständig. Konkret ging es dabei um Meldungen über Thrombosen der Hirnvenen, wie Spahn erklärte. Die Europäische Arzneimittelbehörde
EMA werde jetzt entscheiden, ob und wie sich die neuen Erkenntnisse auf die europaweite Zulassung des Impfstoffes auswirken. Betroffen von dem vorläufigen AstraZenecaVerbot sind demnach alle bereits terminierten Erst- und Zweitimpfungen. Neben Deutschland setzten am Montag auch Frankreich und Italien die Impfungen aus. Dänemark, Norwegen und Island hatten dies bereits zuvor verfügt.
Am letzten Donnerstag hatte die EMA 30 Thrombose-Fälle bei knapp fünf Millionen geimpften
Personen im europäischen Wirtschaftsraum gemeldet. Dies stellte zu diesem Zeitpunkt den Angaben zufolge keine Häufung gegenüber dem Vorkommen in der Gesamtbevölkerung dar. Thrombose-Embolien treten in Deutschland circa einbis dreimal pro 1000 Personen und Jahr auf und sind daher relativ häufig. Das Paul-Ehrlich-Institut kam bis Donnerstag auf elf gemeldete „thromboembolische Ereignisse“in diesem Jahr. Vier Menschen starben demnach. „In Übereinstimmung mit der EMA überwiegt aus Sicht des Paul-Ehrlich-Instituts der Nutzen der Impfung die bekannten Risiken“, hieß es da noch.
„Die Entscheidung heute ist eine reine Vorsichtsmaßnahme“, betonte Spahn denn auch und ergänzte: „Uns allen ist die Tragweite dieser Entscheidung sehr bewusst.“Es handele sich, sagte Spahn, um eine „fachliche Entscheidung – und keine politische“. Um das Vertrauen in den Impfstoff zu erhalten, müsse man sich jetzt alle nötige Zeit für Untersuchungen nehmen. Wann die Impfungen wieder aufgenommen werden könnten, konnte der Minister nicht sagen. Bereits gelieferte AstraZeneca-Impfstoffe sollen vorerst zwischengelagert werden.
Das Verbot versetzt der Impfstrategie der Bundesregierung einen heftigen Schlag. Laut Robert-KochInstitut betrug der AstraZeneca-Lagerbestand am Sonntag 1,78 Millionen Impfdosen. Von Biontech/Pfizer waren 1,3 Millionen Dosen, von Moderna 365000 Dosen eingelagert. Bislang wurden demnach von AstraZeneca in Deutschland rund 2,6 Millionen Dosen verabreicht – ebenso viele wie von Biontech/Pfizer.
Die Aussetzung kommt auch deshalb überraschend, weil Experten noch am Freitag vor Aktionismus gewarnt hatten. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing verwies darauf, „dass sich venöse Thrombosen unabhängig von Covid-19 mit einer jährlichen Inzidenz von etwa 1 pro 1000 Erwachsenen ereignen“. Dieser Faktor sei um den Faktor 100 häufiger als Thrombosen infolge des Impfstoffs. „In Deutschland gibt es jährlich 100 000 Todesfälle aufgrund von thromboembolischen Ereignissen, diese stellen derzeit die dritthäufigste Todesursache dar“, erklärte der Mediziner.
Wendtner riet, den Blick ins Vereinigte Königreich zu richten: Bei mehr als 22 Millionen Geimpften, die größtenteils mit AstraZeneca geimpft worden seien, „sind auf der Basis eines sehr guten Berichtswesens bisher keine relevanten Sicherheitsbedenken geäußert worden“. Vielmehr wirke der Impfstoff, „sodass Großbritannien dank dieses Impfstoffes inzwischen weniger Neuinfektionen und hospitalisierte Patienten registriert und hoffentlich bald aus der pandemischen Welle herausfinden wird“.