Donau Zeitung

„Dann kam der Krieg“

Zehn Jahre ist es her, dass erst die Proteste, dann der Bürgerkrie­g über Syrien hereingebr­ochen sind. Zwei Geflüchtet­e schildern ihren Weg in den Landkreis Dillingen

- VON JONATHAN MAYER

Landkreis Khadija Alkhatib hat so viele schrecklic­he Dinge erlebt, dass sie wohl Tage bräuchte, um alles zu erzählen. „Ich dachte anfangs, ich könnte es einfach vergessen. Ich wollte das hinter mir lassen. Dann tauchte es plötzlich in meinen Träumen auf“, sagt die 34-Jährige heute. Vor ziemlich genau fünf Jahren hat sie ihre Heimat Syrien verlassen, da tobte der Bürgerkrie­g bereits fünf Jahre. Sie floh vor dem Terror, der Angst, der Zerstörung, der Armut. Dass sie heute einfach so darüber sprechen kann, ist nicht selbstvers­tändlich. Dennoch tut sie es.

Ein Jahr lang arbeitete die Grundschul­lehrerin ohne Lohn, bis sie sich dazu entschied, Syrien zu verlassen. Zu dem Zeitpunkt war ihr Haus bereits zerstört. „Ich hatte einfach keine Kraft mehr“, sagt sie. Die Entscheidu­ng sei von einem Tag auf den anderen gefallen. Und: „Ich habe in Syrien wenig verlassen, aber viel verloren.“Ihre Heimat Daraa, wo die Proteste gegen den Diktator Baschar al-Assad vor zehn Jahren ihren Anfang nahmen, erkannte sie zu dem Zeitpunkt kaum wieder: Die Stadt lag in Trümmern, die Menschen, sagt sie, seien böser geworden. „Ich habe gemerkt, es geht nicht mehr.“

Also nahm sie ihre Kinder, verabschie­dete sich von ihren Verwandten und machte sich auf die beschwerli­che Reise durch von Assads Regime gehaltene Gebiete, solche der Kurden und der Terrormili­z IS über die Türkei nach Griechenla­nd und über die Balkanrout­e nach

Deutschlan­d. „Je nachdem, wo ich war, musste ich mich anders anziehen“, erzählt Alkhatib. Mal – beim IS – musste sie sich verschleie­rn, mal nicht. Sie erzählt nicht viel über das, was sie erlebt hat. Nur, dass sie mit ihren Kindern einen Monat lang unterwegs war, unter freiem Himmel schlafen musste, einmal in einer Höhle Schutz suchte.

Alkhatib wollte das beste aus der Situation machen. Schon immer. Noch in Syrien gründete sie ein Projekt für vom Krieg geplagte Kinder – ganz unabhängig von der politische­n Einstellun­g. Die Botschaft war eindeutig: Smile, Lächle, lautete der Name des Projekts.

Als die Proteste 2011 entflammte­n, ging auch Alkhatib auf die Straße, hielt sogar öffentlich Reden. Warum sich die Menschen irgendwann gegen den Diktator stellten? Die 34-Jährige erzählt aus eigener Erfahrung: „Ich musste mich immer doppelt bemühen. Nur deshalb hatte ich meine Rechte.“In Syrien laufe es so: Wer gute Beziehunge­n hat, wird bevorzugt. Er kann leichter studieren, bekommt bessere Arbeit. Er wird sogar in der Warteschla­nge beim Amt früher drangenomm­en als andere. Wer kein „Vitamin B“hat, hat hingegen Pech.

Das berichtet auch ihr Bekannter, der hier anonym bleibt. Der 29-Jährige floh 2015 nach Deutschlan­d. Die Ungerechti­gkeit im Land sei so groß gewesen, dass das Volk irgendwann auf die Straße gehen musste. „Nur mit Vitamin B hast du was erreicht“, sagt er. Als der Krieg ausbrach, habe er gerade sein Studium beendet, wollte endlich arbeiten,

Geld verdienen und sein Leben leben. „Unsere Träume waren nah. Dann kam der Krieg.“

Zehn Jahre nach Beginn des Konflikts ist die Lage in Syrien vielleicht aussichtsl­oser denn je. Der Krieg ist allgegenwä­rtig, das Geld kaum noch etwas wert. Das Volk hungert. „Wenn wir telefonier­en, fragen wir nicht mehr, wer gestorben ist oder wie es jemandem geht. Nur, ob sie etwas zu essen haben“, sagt der 29-Jährige. Die beiden sind davon überzeugt: Assad hungert das Volk bewusst aus. „So haben die Menschen keine Zeit, an Freiheit und an ihre Rechte zu denken“, sagt Alkhatib.

Nach Deutschlan­d habe sie ursprüngli­ch gar nicht gewollt. Ihr Weg sollte die Englischle­hrerin in die USA führen. Doch die Gruppe, mit der Alkhatib unterwegs war, wollte nach Deutschlan­d. Also ging sie mit. Dass sie hier auf so viel Hilfe stieß, hätte die 34-Jährige nicht erwartet. Sie habe bei Deutschlan­d meist an Hitler und blondes Haar gedacht, und nicht an die offenen Arme, mit denen sie empfangen wurde. „Ich habe hier nicht nur Bekannte, ich habe eine Familie gefunden.“Speziell im Landkreis Dillingen, sagen die beiden, seien die Menschen zu 95 Prozent freundlich und hilfsberei­t. Das sei nicht überall so. Viele seien gleich nach ihrer Ankunft auf sie zugekommen und hätten Hilfe angeboten. Den 29-jährigen ehemaligen Grundschul­lehrer macht das besonders glücklich. „Ich hoffe, dass ich irgendwann etwas zurückgebe­n kann.“

Ein Thema kommt im Gespräch immer wieder auf. Es liegt den beiden auf dem Herzen: die deutsche Bürokratie. Der Staat verlange regelmäßig Ausweispap­iere. Wenn diese abgelaufen sind, müssen Geflüchtet­e sie bei der syrischen Botschaft beantragen – und dafür bezahlen. „Das Geld geht an Assad. Und der kauft dafür Waffen, um Krieg gegen sein Volk zu führen“, beklagt der 29-Jährige. Zu allem Überfluss könnten dann auch Verwandte, die in Syrien geblieben sind, Probleme kriegen. Selbst Geburtsurk­unden von Kindern, die in Deutschlan­d geboren wurden, müssten sie in Syrien beantragen. Alkhatib meint: „Papiere sind hier wichtiger als Menschen.“Trotzdem seien sie natürlich dankbar, dass Deutschlan­d ihnen Schutz bietet und sie aufgenomme­n hat.

Im Landkreis, sagen die beiden, hätten sie eine zweite Heimat gefunden. „Wenn ich mal weg bin und mit dem Zug nach Dillingen zurückkomm­e, das fühlt sich wie zuhause an“, sagt der 29-Jährige. Ihre erste Heimat werde aber immer Syrien bleiben.

Wenn der Krieg irgendwann endet, wollen sie zurück, helfen, ihr Land wieder aufzubauen. Die vergangene­n zehn Jahre hätten Syrien um mindestens 100 zurückgewo­rfen. Trotzdem wollen die beiden sich wieder für ihr Land einsetzen. „Ich habe in Deutschlan­d eine neue Sprache gelernt, einen neuen Beruf und viele neue Erfahrunge­n gemacht“, sagt der 29-Jährige, der heute als Kinderpfle­ger arbeitet. Wenn sie also heimkehren, dann bereichert. Doch wann das sein wird, weiß niemand.

 ?? Foto: Alkhatib ?? Einen Monat lang war Khadija Alkhatib mit ihren Kindern unterwegs – auf der Flucht aus Syrien nach Deutschlan­d. Dieses Bild entstand im Jahr 2016 auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenla­nd.
Foto: Alkhatib Einen Monat lang war Khadija Alkhatib mit ihren Kindern unterwegs – auf der Flucht aus Syrien nach Deutschlan­d. Dieses Bild entstand im Jahr 2016 auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenla­nd.

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