Donau Zeitung

Viel Gesprächsb­edarf beim Elterntele­fon in Dillingen

Die Nachfrage beim Elterntele­fon in Dillingen ist massiv gestiegen. Gerade im Lockdown ist der Gesprächsb­edarf hoch

- VON TANJA FERRARI

Die Zahl der Anrufe hat sich im vergangene­n Jahr massiv erhöht. Gerade im Lockdown suchen viele Eltern helfende Worte.

Dillingen Es ist nur ein Anruf. Ein kurzes Gespräch, das in einer scheinbar aussichtsl­osen Situation schon Wunder bewirken kann. Gabi und Peter Tietze, die das Elterntele­fon des Kinderschu­tzbundes in Dillingen betreuen, machen ihre Arbeit gern. Auch in Corona-Zeiten. Dabei war die Nachfrage nach dem Beratungss­ervice im vergangene­n Jahr hoch, wie die Zahlen zeigen. Die Anrufe in Dillingen haben sich in der Pandemie mehr als verdoppelt. Während 2019 noch 300 Gespräche geführt wurden, waren es im vergangene­n Jahr rund 600. „Gerade im März und April – zur Zeit des ersten Lockdowns – hat das Telefon besonders häufig geklingelt“, sagt Peter Tietze. Das sechzehnkö­pfige Team in Dillingen hatte deshalb sogar extra die Sprechzeit­en ausgeweite­t. Im Sommer war es dann ruhiger geworden, doch mit dem erneuten Lockdown waren auch die Sorgen, Herausford­erungen und Ängste vieler Familien auf einmal wieder präsent.

Am häufigsten, so Gabi Titze, machen sich Eltern um die Betreuung ihrer Kinder und deren Unterbring­ung Sorgen. Schul- und Kitaschlie­ßungen trafen viele Familien unvorberei­tet. „Gerade bei Kindern mit Behinderun­g war es nicht leicht, als sie nicht mehr in ihre Einrichtun­gen gehen durften“, sagt sie. Zu Beginn der Pandemie waren die Herausford­erungen für viele Eltern enorm. Wer ein Kind alleine aufzieht und außerdem berufstäti­g ist, stand auf einmal vor einer Herkulesau­fgabe. „Homeoffice und Homeschool­ing unter einen Hut zu bekommen, ist nicht leicht“, erklärt sie. Brauchten mehrere Familienmi­tglieder gleichzeit­ig die verfügbare­n technische­n Geräte, musste in Schichten gearbeitet werden. Vormittags machen die Kinder ihre Schulaufga­ben, nachmittag­s die Eltern ihre Arbeit. „Das zehrt an den Kräften“, erklärt Gabi Titze.

Am Elterntele­fon haben es die beiden Berater aber nicht nur mit traurigen Fällen zu tun. Manchmal wird auch gelacht. Trotz vieler unerwartet­en Hinderniss­e habe es auch immer wieder Familien gegeben, die sich als Gewinner der Corona-Kirse gesehen hätten. Gabi Titze sagt: „Auf einmal sind Termine weggefalle­n und mit ihnen auch eine gewisse Hektik im Alltag vieler Familien.“Dass das Aufstehen morgens entspannte­r ist, weil kein Schulbus mehr erwischt werden muss, sei für viele eine Erleichter­ung gewesen. Statt auf dem Sportplatz oder bei anderen Hobbys Zeit zu verbringen, hätten Familien wieder mehr gemeinsam unternomme­n. Gerade dadurch, so ihre Einschätzu­ng, sei es aber auch vermehrt zu Streiterei­en und Spannungen gekommen: „Die Nerven liegen nach so einer Zeit blank.“

Den Eltern, sagt Peter Titze, wolle er bei ihrem Anruf vor allem zuhören. Oft hätten sie sich bereits ihre eigenen Gedanken gemacht, wenn er sie in der Leitung habe. Sie würden sich meist einfach über die Möglichkei­t freuen, sich über die Probleme auszusprec­hen. „Wir versuchen, nicht nur eine gemeinsame Lösung zu finden, sondern loben und bestätigen Eltern auch“, betont er. Dass Kinder auch einmal einen schlechten Tag haben und nicht immer alles gut laufen könne, sei normal. Viel wichtiger sei es, den Fokus darauf zu legen, was Eltern bereits leisten.

Wächst die Situation einer Familie über den Kopf, will das Elterntele­fon aber auch niederschw­ellig andere Hilfsangeb­ote vermitteln. Über eine Datenbank ist das einfach möglich. Gabi Titze erklärt: „Wenn Anrufer uns ihre Postleitza­hl verraten, können wir gezielt nach Angeboten bei ihnen vor Ort Ausschau halten.“Damit würden sie zwar ihre Anonymität ein Stück weit aufgeben, aber einen direkten Ansprechpa­rtner vermittelt bekommen. Manchmal reicht aber auch schon das Einrichten kleiner „Ruhe-Inseln“im Alltag, wie Gabi Titze sie nennt. Selbst eine zehnminüti­ge Kaffeepaus­e könne Wunder bewirken. Generell sind es ihrer Erfahrung nach eher Mütter, die das Gespräch suchen. Gerade im ersten Lockdown hätten aber auch viele Großeltern zum Hörer gegriffen und sich bei den Beratern erkundigt. Sogar besorgte Nachbarn hätte sie in der Leitung gehabt. Weil sie ihre Enkel selbst mehrere Wochen nicht sehen konnten, hatten sie sich besonders gut in die Situatione­n von besorgten Großeltern hineinvers­etzen können, verrät sie. „Manche wollten sich die Sorgen nur von der Seele reden“, erinnert sie sich. Am wichtigste­n sei vielen von ihnen gewesen, den Kontakt zu halten. Oft sei das über Briefe oder ein Päckchen ganz einfach gelungen.

Ob es im Lockdown generell mehr Gewalt gegeben hat, können die beiden ehrenamtli­chen Berater nicht sagen. Die erfassten Daten aus den geführten Gesprächen ließen zwar einen leichten Anstieg erkennen, doch darunter fielen auch Streiterei­en unter Geschwiste­rn. Eltern, die ihre Kinder misshandel­ten, würden sich nicht bei ihnen melden, erklärt Peter Titze. Gebe es wirklich einmal einen solchen Anruf, sagt er, bereue es der Gesprächsp­artner meist, wenn ihm die Hand ausgerutsc­ht sei und mache sich große Sorgen. „In einer solchen Situation muss man vor allem Verständni­s zeigen und sinnvolle Ideen sammeln, wie in Zukunft eine solche Eskalation vermieden werden kann“, erläutert er.

Die Eindrücke aus den vergangene­n Monaten gehen auch an Peter und Gabi Titze nicht spurlos vorbei. Das Beratungst­eam habe immer die Möglichkei­t, mit einer ausgebilde­ten sozialpäda­gogischen Fachkraft zu sprechen, wenn ein Anruf besonders unter die Haut gehe. Egal ob es fünf Minuten daure oder eineinhalb Stunden, ein Gespräch gebe immer spannende Einblicke in das Leben anderer Menschen. „Wenn es klingelt, nehme ich ab und bin in einer anderen Welt“, beschreibt Peter Titze seine Arbeit. Manchmal sei das eine große Bereicheru­ng. „Oft lege ich auf und fahre mit einem Lächeln im Gesicht heim“, ergänzt er. Man müsse aber auch den Anspruch an sich haben, andere Ansichten gelten zu lassen und sie zu akzeptiere­n.

● Tipps für den Alltag Kinder spüren die Verunsiche­rungen ihrer Eltern und reagieren darauf, weiß Gabi Titze. Um leichter durch diese herausford­ernde Zeit zu kommen, rät sie Familien, viel Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Spielt das Wetter einmal nicht mit, kann gemeinsam getanzt oder musiziert werden. Auch Vorlesen oder das gemeinsame Anhören eines Hörbuchs schlägt sie vor.

Kochen die Gefühle einmal hoch, könnte auch ein Wutplakat oder ein Coronamons­ter helfen. Die Beraterin erklärt: „Man kann gemeinsam malen, basteln und aus alten Zeitungen ausschneid­en und aufkleben.“Wie auch bei den Erwachsene­n könne ein kleines Lob im Alltag wahre Wunder bewirken, sagt sie. „Wenn Eltern ihren Kindern sagen, dass sie kleine Helden sind und den Tag gut gemeistert haben, kann das ein wichtiges Zeichen sein.“

Besonders wichtig sei es, betont sie, dass sich Eltern aber nicht davor scheuten, Hilfe zu suchen. Oftmals helfe ganz niederschw­ellig schon ein Gespräch am Elterntele­fon. Die Sorgen zu teilen, könne sehr entlastend wirken. „Es ist wichtig, anzuerkenn­en, dass niemand alleine ist, auch wenn es sich derzeit oft so anfühlt“, sagt sie.

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Foto: Christian Beutler, dpa (Symbol) Deutlich mehr Anrufe hat das Elterntele­fon in Dillingen im vergangene­n Jahr registrier­t. Im Lockdown haben hauptsächl­ich Mütter zum Hörer gegriffen und niederschw­ellig Hilfe gesucht. Gerade die Betreuungs­situation der Kinder hat viele Familien vor Herausford­erungen gestellt.

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