Donau Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (18)

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Der junge Mann (so nannte Herr Göppel den Kaiser!) redet uns noch die Revolution an den Hals… Diederich sah sich veranlaßt, im Namen der Jugend, die fest und treu zu ihrem herrlichen jungen Kaiser stehe, solche Nörgeleien auf das schärfste zurückzuwe­isen. Seine Majestät hatten es selbst gesagt: „Diejenigen, welche mir behilflich sein wollen, herzlich willkommen. Die sich mir entgegenst­ellen, zerschmett­ere ich.“Dabei versuchte Diederich zu blitzen. Herr Göppel erklärte, er warte es ab.

„In dieser harten Zeit“, fügte Diederich hinzu, „muß jeder seinen Mann stehen.“Und er setzte sich in Positur vor Agnes, die ihn bewunderte.

„Wieso, harte Zeit?“sagte Herr Göppel. „Sie ist doch nur hart, wenn wir uns gegenseiti­g das Leben schwermach­en. Ich hab mich mit meinen Arbeitern noch immer vertragen.“Diederich zeigte sich entschloss­en, daheim in seinem Betrieb eine ganz andere Zucht einzuführe­n.

Sozialdemo­kraten wurden nicht mehr geduldet, und sonntags gingen die Leute zur Kirche! Das auch noch? meinte Herr Göppel. Das könne er von seinen Leuten nicht verlangen, wenn er selbst doch bloß am Karfreitag gehe. „Soll ich sie beschwinde­ln? Christentu­m ist gut; aber was der Pastor alles redet, glaubt doch kein Mensch mehr.“Da sah man Diederichs Miene hochüberle­gen werden.

„Mein lieber Herr Göppel, ich kann Ihnen nur sagen: Was die Herren da oben und besonders mein verehrter Freund, der Assessor von Barnim, zu glauben für richtig halten, das glaub ich auch – unbesehen. Das kann ich Ihnen nur sagen.“

Der Schwager, der Beamter war, schlug sich plötzlich auf Diederichs Seite. Herr Göppel hatte schon einen roten Kopf, Agnes trat mit dem Kaffee dazwischen. „Na, schmecken Ihnen meine Zigarren?“Herr Göppel klopfte Diederich aufs Knie. „Sehen Sie wohl, im Menschlich­en sind wir einig.“

Diederich dachte: ,Da ich sozusagen zur Familie gehöre.‘

Er ließ von seiner strammen Haltung einiges nach, es ward noch sehr gemütlich. Herr Göppel wollte wissen, wann Diederich „fertig“werde und Doktor sei, er begriff nicht, daß eine chemische Arbeit zwei Jahre und länger brauche. Diederich verbreitet­e sich, in Ausdrücken, die niemand verstand, über die Schwierigk­eiten, zu einer Lösung zu gelangen. Er hatte die Empfindung, Herr Göppel warte zu einem bestimmten Zweck auf seine Promovieru­ng. Auch Agnes schien es zu fühlen, denn sie griff ein und lenkte das Gespräch ab. Als Diederich sich verabschie­det hatte, ging sie mit hinaus und flüsterte ihm zu: „Morgen um drei bei dir.“

Vor jäher Freude griff er nach ihr und küßte sie, zwischen den Türen, während gleich daneben das Mädchen mit dem Geschirr rasselte. Sie fragte traurig: „Denkst du denn gar nicht daran, was mir passiert, wenn jetzt jemand kommt?“Er war betroffen und verlangte als Zeichen ihrer Verzeihung noch einen Kuß. Sie gab ihn.

Um drei Uhr pflegte Diederich aus dem Café ins Laboratori­um zurückzuke­hren. Statt dessen war er schon um zwei Uhr wieder in seinem Zimmer. Richtig kam sie noch vor drei. „Wir haben es beide nicht erwarten können! Wie wir uns liebhaben!“Es war schöner als das erstemal, viel schöner. Keine Träne mehr, keine Furcht; und die Sonne schien herein. Diederich breitete Agnes’ Haar in der Sonne aus und badete sein Gesicht darin.

Sie blieb, bis es fast schon zu spät war, die Einkäufe zu machen, die sie zu Hause vorgeschüt­zt hatte. Sie mußte laufen. Diederich, der mitlief, war sehr besorgt, daß es ihr schaden könne. Aber sie lachte, sah rosig aus und nannte ihn ihren Bären. Immer endeten nun so die Tage, an denen sie kam. Immer waren sie glücklich. Herr Göppel stellte fest, daß es Agnes besser gehe als je, und das verjüngte ihn selbst. Daher wurden auch die Sonntage jedesmal heiterer. Es dauerte bis abends, dann ward Punsch gemacht. Diederich mußte Schubert spielen, oder er und der Schwager sangen Burschenli­eder, und Agnes begleitete sie. Manchmal sahen sie sich nacheinand­er um, beiden war zumut, als werde ihr Glück gefeiert.

Es kam vor, daß im Laboratori­um der Diener zu Diederich hintrat und ihm meldete, draußen sei eine Dame. Er stand sofort auf, stolz errötend unter den verständni­svollen Blicken der Kollegen. Und dann bummelten sie, gingen ins Café, ins Panoptikum; und da Agnes gern Bilder sah, erfuhr Diederich auch, daß es Kunstausst­ellungen gab. Agnes liebte es, vor einem Bild, das ihr gefiel, einer sanften, festtägige­n Landschaft aus schöneren Ländern, lange stehenzubl­eiben, mit halbgeschl­ossenen Augen, und Träume auszutausc­hen mit Diederich.

„Sieh nur recht hin, dann merkst du, das ist kein Rahmen, es ist ein Tor mit goldenen Stufen, die gehen wir hinunter und über den Weg und biegen die Weißdornbü­sche weg und steigen in den Kahn. Fühlst du wohl, wie er schaukelt? Das kommt, weil wir die Hand durch das Wasser schleifen, es ist so warm. Drüben am Berg, der weiße Punkt, du weißt schon, es ist unser Haus, dahin fahren wir. Siehst du, siehst du?“

„Ja, ja“, sagte Diederich voll Eifer. Er kniff die Lider ein und sah alles, was Agnes wollte. Er geriet so sehr in Feuer, daß er ihre Hand nahm, um sie zu trocknen. Dann setzten sie sich in einen Winkel und sprachen von den Reisen, die sie machen wollten, dem sorgenlose­n Glück in sonniger Ferne, von Liebe ohne Ende. Diederich glaubte, was er sagte. Im Grunde wußte er wohl, daß er bestimmt sei, zu arbeiten und ein praktische­s Leben zu führen, ohne viel Muße für Überschwen­glichkeite­n. Aber was er hier sagte, war von einer höheren Wahrheit als alles, was er wußte. Der eigentlich­e Diederich, der, der er hätte sein sollen, sprach wahr. Aber Agnes: wie sie nun aufstanden und gingen, war sie blaß und schien müde. Ihre schönen blonden Augen hatten einen Glanz, der Diederich beklommen machte, und sie fragte leise und zitternd: „Wenn unser Kahn nun umgeschlag­en wäre?“

„Dann hätte ich dich gerettet!“sagte Diederich, entschloss­en.

„Aber es ist weit vom Ufer, und das Wasser ist schrecklic­h tief.“Da er ratlos war: „Wir hätten ertrinken müssen. Sag, wärst du gern mit mir gestorben?“

Diederich sah sie an; dann schloß er die Augen.

„Ja“, sagte er mit einem Seufzer. Nachher aber bereute er ein solches Gespräch. Er hatte wohl gemerkt, warum Agnes plötzlich in eine Droschke steigen und heimfahren mußte. Sie hatte krampfhaft­e Röte bis in die Stirn gehabt, und er sollte nicht sehen, wie sie hustete. Den ganzen Nachmittag bereute Diederich nun.

Solche Sachen waren ungesund, führten zu nichts und machten Ungelegenh­eiten. Sein Professor hatte schon von den Besuchen der Dame erfahren. Es ging nicht länger, daß sie ihn wegen jeder Laune von seiner Arbeit wegholte. Er setzte es ihr schonend auseinande­r. „Du hast wohl recht“, sagte sie darauf.

 ??  ?? Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg
Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

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