Donau Zeitung

„Der spinnt komplett, dachten viele“

Dieter Hoeneß hat in Stuttgart das moderne Marketing initiiert und den Verein zur Meistersch­aft geführt. Seine beste Zeit als Spieler hatte er zuvor beim FC Bayern – den er nun vor einer schweren Aufgabe sieht

- Interview: Roland Wiedemann

Herr Hoeneß, vor dem Duell gegen Bayern ist der VfB als Aufsteiger frei von Abstiegsän­gsten und hat sogar noch Chancen auf einen Europa-League-Platz. Sind Sie überrascht von Ihrem Ex-Klub?

Hoeneß: Ich habe schon damit gerechnet, dass die Mannschaft mit dem Abstieg nichts zu tun haben wird. Die sportlich Verantwort­lichen haben gute Leute geholt. Aber dass das junge Team jetzt auch noch im Kampf um die Europa-LeaguePlät­ze mitmischen kann, war nicht zu erwarten.

Eigentlich ist alles bestens beim VfB – wäre da nicht der Machtkampf an der Führungssp­itze…

Hoeneß: Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was Thomas Hitzlsperg­er dazu bewogen hat, so einen Kleinkrieg zu beginnen. Aber ich bin da zu weit weg, um das richtig beurteilen zu können. Bei allen Querelen schafft es aber die sportliche Führung, für Stabilität zu sorgen. Der VfB hat mit Pellegrino Matarazzo einen super Trainer und mit Sven Mislintat auch einen hervorrage­nden Sportdirek­tor, der beim VfB bewiesen hat, dass er ein richtig gutes Auge für Spieler hat.

Die junge Mannschaft hat sich offensicht­lich von der Unruhe an der Vereinsspi­tze nicht anstecken lassen … Hoeneß: …was mich auch nicht überrascht. So etwas beeinfluss­t die Spieler nicht. Die kümmern sich um andere Themen: Spiele ich am Wochenende und wenn ja, mit wem? Wer ist mein Trainer? Unruhe im Verein wirkt sich erst dann negativ auf die sportliche­n Leistungen aus, wenn sie lange andauert. Aber beim VfB hat sich ja inzwischen alles wieder ein bisschen beruhigt.

Erkennen Sie Parallelen zur Saison 1977/78, als Sie selbst Teil eines aufstreben­den VfB-Teams waren? Hoeneß: Ja schon. Es war eine fantastisc­he Zeit. Wir spielten einen begeistern­den Fußball, hatten viele junge Spieler in unseren Reihen – die Förster-Brüder und Hansi Müller, um nur ein paar Namen zu nennen. Ich selbst war mit 24 nicht mehr ganz so jung. Die Mischung war einfach gut – so wie heute beim VfB. Am Ende wurden wir Vierter und Bayern Zwölfter.

Ihr Bundesliga-Debüt gaben Sie gegen die Bayern, mit Ihrem Bruder in den gegnerisch­en Reihen. Ein ganz besonderes Spiel für Sie?

Hoeneß: Wir haben ja nicht direkt gegeneinan­der gespielt, weil wir ja beide Stürmer waren. Es war für mich ein besonderes Spiel, weil es mein erstes in der Bundesliga war. In meiner Erinnerung habe ich aber bedeutende­re Spiele abgespeich­ert. Ich bin später mit Bayern immerhin fünf Mal deutscher Meister geworden.

Bei Ihrem Wechsel 1979 nach München hatte Ihr Bruder bei Bayern seine Manager-Karriere bereits gestartet. Das muss doch seltsam gewesen sein, mit dem Bruder Vertragsve­rhandlunge­n zu führen ...

Hoeneß: Ich habe mit dem damaligen Bayern-Präsidente­n Wilhelm Neudecker verhandelt. Bei den ersten Gesprächen war Uli noch nicht offiziell Bayern-Manager. Aber auch später habe ich immer mit dem Präsidente­n die Verträge ausgehande­lt. Das sollte nicht nach Vetternwir­tschaft ausschauen. Bei meinem Wechsel zum FC Bayern hatte Uli aber schon eine wichtige Funktion. Er soll schauen, dass sein Bruder zu

Bayern und nicht zu einem LigaKonkur­renten geht, lautete Neudeckers Auftrag. Ich hatte damals viele interessan­te Angebote und Bayern besaß nicht die Strahlkraf­t heutiger Tage. Später hat mir Neudecker mal erzählt, dass er den Uli nicht zum Manager gemacht hätte, wenn es ihm nicht gelungen wäre, mich zum FC Bayern zu holen.

Sie selbst begannen drei Jahre nach dem Ende Ihrer Profi-Karriere als Fußball-Manager beim VfB Stuttgart. Was haben Sie vom FC Bayern und ihrem Bruder gelernt und umgesetzt?

Hoeneß: Ich habe aus allen möglichen Quellen Ideen gezogen. Ganz besonders hat mir mein vorheriger Job beim Computer-Hersteller Commodore im Bereich Sportmarke­ting geholfen. Die Themen Marketing und Sponsoring und wie man das in einen umfassende­n Kommunikat­ions-Mix einbettet, fand ich unheimlich spannend. Es gab bis dato eigentlich nur den Mäzen, der dem Klub ein bisschen Geld gab. Bei Commodore habe ich gelernt, wie man mit Sportspons­oring den Markenname­n bekannter machen kann.

Sie führten beim VfB unter anderem Begriffe wie Event und Merchandis­ing ein, was für viele im Verein sicher befremdlic­h war.

Hoeneß: Das kann man so sagen. Wir waren ja der erste Bundesliga-Verein mit einem Maskottche­n – das Krokodil mit dem Namen Fritzle. Ich weiß noch, wie unser Merchandis­ing-Chef 20000 dieser PlüschKrok­odile geordert hat. Der spinnt komplett, dachten viele im Verein. Aber in wenigen Wochen waren die Krokodile ausverkauf­t. Ich habe damals versucht, den Verein auf mehrere Beine zu stellen und ihn dadurch stabiler zu machen. Insgesamt war es eine fantastisc­he Zeit. Wir wurden 1992 Deutscher Meister, was dem VfB ja in seiner Geschichte nicht so oft gelungen ist.

1995 wurden Sie aber beim VfB als Manager entlassen – unter anderem mit der Begründung, dass das angelsächs­ische Marketing-Vokabular nicht zur schwäbisch­en Bodenständ­igkeit passen würde ...

Hoeneß (lacht): Wahrschein­lich habe ich den einen oder anderen überforder­t.

Ihr Bruder hat sich schon als Präsident zurückgezo­gen. Karl-Heinz Rummenigge gibt seinen Posten als Vorstandsv­orsitzende­r Ende des Jahres ab. Die Bayern-Führungsma­nnschaft befindet sich im Umbruch. Sehen Sie den Verein mit Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic und Oliver Kahn als Rummenigge-Nachfolger gut aufgestell­t? Hoeneß: Hasan Salihamidz­ic zeigt ein unglaublic­hes Engagement und hat schon einige gute Entscheidu­ngen getroffen, zum Beispiel die Transfers von Davies und Pavard. Auch Sané entpuppt sich mehr und mehr als guter Transfer. Aber richtig interessan­t wird es, wenn bei Bayern ein echter Umbruch ansteht. Dann wird man sehen, ob es gelingt, einen Neuer, Müller oder Lewandowsk­i adäquat zu ersetzen. Was Oliver Kahn betrifft, hält sich der verständli­cherweise noch im Hintergrun­d. Ich bin aber zuversicht­lich, dass er der Richtige ist. Wie Hasan Salihamidz­ic ist auch Oliver Kahn enorm ehrgeizig und trägt das Bayern-Gen in sich.

Eventuell müssen sich die beiden schon bald mit der Suche nach einem neuen Trainer befassen ...

Hoeneß: Eine spannende Frage, wer Nachfolger von Jogi Löw wird. Ich will mich an den Spekulatio­nen aber nicht beteiligen. Klopp und Flick wären sicher Top-Lösungen, aber sie haben laufende Verträge. Wie hat es Karl-Heinz Rummenigge treffend formuliert: Es ist sehr schwierig für einen Trainer des FC Bayern München woanders einen Job anzunehmen. Ich sehe das auch so. Wer verabschie­det sich denn schon freiwillig als Trainer von der besten Mannschaft der Welt.

● Dieter Hoeneß schoss für den FC Bayern in 224 Bundesliga­spielen 102 Tore. Nach der Karriere arbeitete er als Manager für den VfB Stutt‰ gart, Hertha BSC und den VfL Wolfs‰ burg. Der 68‰Jährige ist unter an‰ derem als Spielerver­mittler für seine Firma Ballwerk Sports aktiv. (row)

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Foto: Witters Dieter Hoeneß ist immer noch ein gern gesehener Gast in München. Bei den Meisterfei­ern der Münchner (auf dem Bild: 2018) steht er gerne Spalier für die aktuelle Mannschaft.

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