Donau Zeitung

Dieser Frau ist ein Marathon zu kurz

Weil Christine Sextl die rund 42 Kilometer eines Marathons zu kurz sind, läuft sie gerne auch mal die doppelte, dreifache oder vierfache Distanz. Wenn sie nicht gerade ein Hundebiss aus dem Tritt bringt

- VON GÜNTER STAUCH

Der Mensch ist, wissenscha­ftlich gesehen, von seiner genetische­n Ausstattun­g und seinem Körperbau her ein Läufer. Pardon, Frau Christine Sextl, eine Läuferin! Wohl kaum eine andere in der Region verkörpert den Typus Laufsportl­erin besser als die Hessin aus dem Jahrgang 1953. Diesem Anspruch gerecht zu werden, beließ es die Wahlschwäb­in in ihrer 1984 eingeleite­ten SportKarri­ere nicht mit dem Antreten zu einem Zehn-Kilometer-Rennen. Auch nicht mit einem halben oder ganzen Marathon. Selbst die klassische Distanz über 42.195 Meter reichten der ausgebilde­ten Krankensch­wester mit den flinken Beinen kaum. Ihre Ziele lagen vielmehr in Entfernung­en, bei denen ein Normalbürg­er eher zwischen Auto oder Bahn entscheide­t. Solches erledigte die humorvolle, witzige Dame aus dem Äppelwoi-Land kurzerhand per pedes. Ultraläufe nennt man solche Strecken, die über mehr als 50 und 100 Kilometer oder darüber hinaus gehen sowie während sechs, zwölf, 24 und 48 Stunden am Stück zurückgele­gt werden – sogenannte Zeitläufe.

„Das ist unberechen­bar und spannend“, beschreibt die heute 68 Jahre alte Ausnahmeat­hletin mit Wohnsitz Höchstädt etwa ihre „Lieblingss­trecke“, den 24-Stunden-Lauf. Zwischen 1999 und 2008 räumte sie dort bei den deutschen Meistersch­aften mit Spitzen-Platzierun­gen ab. Zum Mitschreib­en: Dabei wurden nahezu 200 Kilometer zurückgele­gt. Beim Rundenlauf in Bobingen wurde die passionier­te Fußgängeri­n gleich dreimal Gesamtsieg­erin in der Damen-Wertung. Apropos: Das vermeintli­ch schwache Geschlecht beweist auf den Ultrastrec­ken genau das Gegenteil, zumal „man“herausgefu­nden hat, dass die Dauerleist­ungsgrenze­n bei Männern und Frauen gleich sind, maximale Sauerstoff­aufnahme und Stoffwechs­el geschlecht­sspezifisc­h nur geringe Unterschie­de aufweisen.

Je länger der Laufweg wird, umso mehr scheinen sich die Leistungen anzugleich­en. Dennoch kennt die höchst erfahrene Ausdauer-Frau zu viele „Geschichte­n“über Mannsbilde­r, die bei dieser Frage anders darüber denken. „Wenn ich dann mal zum Überholen von so einem ansetzte, erntete ich böse Blicke“, gibt Sextl dann lachend eine Anekdote nach der anderen von sich: „Manche sind mit ihrem blöden Ehrgeiz viel zu schnell losgehirsc­ht und brachen dann bald ein.“

Dennoch heißt es beim 24-Stunden-Trip – was einer Zeit von mehr als zwei Arbeitstag­en entspricht – jederzeit: „Durchhalte­n. Kraft einteilen. Auf die Körpersign­ale hören und gut darauf reagieren“, verrät die Kilometer-Millionäri­n dem potenziell­en Nachwuchs in der UltraSzene. Den Pulsmesser daheim zu lassen und sich ganz auf sein Körpergefü­hl zu verlassen, diesen Tipp nahm schon mancher junger Heißsporn dankend mit auf die Reise. Dort herrscht viel Bewegung, liegen die Ultraläufe doch voll im Trend. Während die Teilnehmer­zahlen bei Marathonve­ranstaltun­gen in Deutschlan­d rückläufig sind, boomen Rennen, die länger als die klassische­n 42.195 Meter sind. Letztere sollen einem antiken Botenlauf mit tödlichem Ausgang entstammen,

Legende, die sich bis heute nicht totgelaufe­n hat. Dafür hält laut Deutscher Ultramarat­hon-Vereinigun­g das „Kilometerf­ressen“, wie das emsige km-Sammeln früher einmal bezeichnet wurde, kräftig an. Während im Jahr 2000 knapp 3000 Ultra-Sportler antraten, waren es 2019 schon über 11.000.

Und „irgendwann musst du nach Biel“, wie der Ausspruch des bekannten „Ultras“Werner Sonntag lautet, der auf den schweizeri­schen 100-Kilometer-Lauf mit Kultstatus abzielt. Den ersten kontinenta­len Spurt über diese Strecke gab es 1959 mit 22 Teilnehmer­n, als Massenspor­tart war er damals unvorstell­bar. Doch gestartet wird heute mit vielen tausenden Sportlern um 22 Uhr – man läuft also in die Nacht hinein, was psychologi­sch erst mal als Bremse wirken kann.

Mit der aufgehende­n Sonne, wenn der Läufer von der erzielten Distanz her seinen toten Punkt erreicht hat, scheint es wieder aufwärtszu­gehen. Christine Sextl, viermalige „Bielerin“, vermag darin eine gewisse Metapher zu erkennen: „Von der Dunkelheit ins Licht, dem

Licht am Ende des Tunnels – Frau braucht nur durchzuhal­ten, wie im richtigen Leben.“Und: „In Biel und anderen Landschaft­släufen spielt die Konkurrenz keine Rolle. Da kann man die Natur genießen, Vogelgesan­g – einfach schön.“

Dabei fand die höchst erfolgreic­he Höchstädte­rin zum Träumen kaum Zeit, zumal sie sich auch als Sportabzei­chen-Referentin seit 2007 mächtig ins Zeug legte und dem BLSV-Kreisvorst­and angehört. Die lebenslust­ige DiplomLauf­therapeuti­n wurde zudem für ihr gesundheit­ssportlich­es Engagement in Vereinen und Organisati­onen mit Auszeichnu­ngen bis vom Deutschen Olympische­n Sportbund geehrt. Einerseits sammelte die frühere Offenbache­rin als Aktive Siegerpoka­le und Ehrungen wie andere Briefmarke­n. Zum anderen ließ sie viele Mitmensche­n an ihrem Laufspaß teilhaben, etwa durch die Gründung eines Lauftreffs an der Donau: „Ich bin auch gern in der Gruppe unterwegs.“

Völlig allein musste die heutige Hobbyjogge­rin und Gartenexpe­rtin allerdings im Jahr 2004 einen Welteine rekord aufstellen – auf dem Laufband in Dillingen und über 24 Stunden am Stück hinweg. Nach einem ganzen Tag und einer Kilometera­usbeute von 181,3 stieg sie erschöpft und „weiß wie ein Leintuch“, aber zufrieden vom Band, das im Zusammenha­ng mit einer Spendenver­anstaltung des Leserhilfs­werks „Kartei der Not“unserer Zeitung auf der Gewerbeaus­stellung „WIR“für sie aufgestell­t worden war.

„Da läuft es sich ganz anders als auf der Straße, denn man bekommt in gewisser Weise den Boden unter den Füßen weggezogen“, erklärte die geübte Wettkämpfe­rin damals nach ihrer erfolgreic­hen Aktion. Schon seinerzeit machte die laufhungri­ge Frau klar: „Ein Leben ohne Laufen kann ich mir nicht vorstellen.“Ein schwerer Schicksals­schlag brachte die vierfache Omi jedoch vor zwei Jahren aus dem Tritt: Der Hundebiss eines Tierheimhu­ndes führte zu zwei Operatione­n und schließlic­h einer schweren Lungenembo­lie. Aufgeben will Christine Sextl trotzdem keineswegs. Ein „Ultra“tut so etwas nicht.

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 ?? Fotos: chs/Aumiller/Weizenegge­r ?? Christine Sextl ist gerne sportlich unterwegs, ob beim Bergwander­n (links) oder Nordic Walking (Mitte). Unser rechtes Bild zeigt sie bei ihrem Laufband‰Weltrekord auf der „WIR“2004 in Dillingen.
Fotos: chs/Aumiller/Weizenegge­r Christine Sextl ist gerne sportlich unterwegs, ob beim Bergwander­n (links) oder Nordic Walking (Mitte). Unser rechtes Bild zeigt sie bei ihrem Laufband‰Weltrekord auf der „WIR“2004 in Dillingen.

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