Donau Zeitung

Ein Schlag könnte gereicht haben

Im Prozess um den toten Dreijährig­en aus Dillingen geht es um ein lang erwartetes Gutachten

- VON MICHAEL SIEGEL

Dillingen/Augsburg Was ist passiert, dass ein dreijährig­er Bub aus Dillingen im Oktober 2019 nach Reanimatio­n in der Wohnung und Operation im Krankenhau­s dennoch gestorben ist? Hat ihn der 24-jährige Lebensgefä­hrte der Kindsmutte­r schwer im Bauch verletzt? Durch Faustschlä­ge? Oder kommt ein Unfallgesc­hehen, ein Sturz des Angeklagte­n mit dem Knie voraus auf das liegende Kind, in Frage?

Wesentlich­e Informatio­nen zur Beantwortu­ng solcher Fragen wurden vor dem Augsburger Landgerich­t von den Gutachten von Rechtsmedi­ziner Professor Randolph Penning sowie jenem des Biomechani­kers Jiri Adamec erwartet, die am zehnten Verhandlun­gstag erstattet wurden.

Schon während der Wiederbele­bungsmaßna­hmen in der Dillinger Wohnung hatte einer der Notärzte den Verdacht auf Gewalt gegen das später verstorben­e Kind geäußert. Dann war es vor allem das Ergebnis der Obduktion in München, das zur Anklage des 24-Jährigen wegen Totschlags geführt hatte. Diese Obduktion hatten Penning und sein Team am 21. Oktober 2019 nur wenige Stunden nach dem Tod des Kindes vorgenomme­n.

Dabei, so Penning, waren verschiede­ne Auffälligk­eiten festgestel­lt worden. So seien im Gesicht des Kindes sogenannte Punktblutu­ngen festgestel­lt worden, wie sie entstehen können, wenn jemandem beispielsw­eise mit einem aufgelegte­n Kissen die Luft abgedrückt wird. Oder wenn jemand massivst hustet oder unaufhörli­ch schreit. Am linken Handrücken des Buben hätten sich vermutlich schmerzhaf­te Kratzer gefunden, die wohl vom Spielen mit den beiden Hunden der Familie gestammt haben. Neben den vielen Spuren der vorangegan­genen Wiederbele­bung und Operation am Körper des Kindes wie Infusions- oder Katheder-Schläuchen seien Blutergüss­e gefunden worden. Ältere etwa am Unterarm, ein neuerer am Rücken.

Auffällig bei der inneren Untersuchu­ng des Kindes seien die zuvor operierten Darmverlet­zungen sowie rund ein halbes Dutzend Einblutung­en am Gewebe und an Organen im Bauchraum gewesen, die von stumpfer Gewalt herrühren müssten. Ein Schütteltr­auma, heutzutage laut Penning todesursäc­hlich bei annähernd 90 Prozent der kleinen Kinder ohne äußerlich erkennbare Verletzung­en, könne im vorliegend­en Fall wohl ausgeschlo­ssen werden. Dafür sei der Bub mit 92 Zentimeter­n Körpergröß­e und 13 Kilo Körpergewi­cht schon zu groß gewesen.

Für die letztlich tödlichen Verletzung­en im Bauchberei­ch könne aus seiner Sicht bereits ein einziger Schlag ausreichen­d gewesen sein – es könnten aber auch mehrere gewesen sein. Für wahrschein­lich anhand seiner Untersuchu­ngsergebni­sse erachtete es der Rechtsmedi­ziner auf Nachfrage, dass dem anhaltend schreiende­n Kind die Atemwege verlegt worden seien, etwa durch ein Kissen, und dass von der genervten Aufsichtsp­erson Gewalt gegen den Bauch des Kindes ausgeübt worden ist – wobei eine Reihenfolg­e nicht klar feststellb­ar sei.

Und dann war da die Frage nach dem angebliche­n Kniefall zwischen einem Regal und dem Sofa im Wohnzimmer der Dillinger Wohnung. Kann es sein, dass der Angeklagte, wie er selbst vor Gericht behauptete, abgelenkt durch sein Handy nach einem Stolperer wegen einer am Boden liegenden Decke so mit dem Knie auf den am Boden spielenden Dreijährig­en gestürzt ist, dass dadurch die schweren Verletzung­en am Darm entstanden sind?

Noch einmal holte sich das Gericht die Bewertung des Biomechani­kers Jiri Adamec ein, der zuvor bereits über die Frage nach Faustschlä­gen

gegen den Bauch referiert hatte. Der Gutachter hielt einen Kniestoß prinzipiel­l vorstellba­r für die schwere Verletzung, ebenso wie einen Fußtritt oder einen Faustschla­g.

Weniger klar aus der Sicht des Gutachters: dass es überhaupt zu einem wie dem geschilder­ten Sturzgesch­ehen kommt. Dass jemand, ein gesunder junger Mann, mit den Knien voraus zu Boden stürzt, „ist nicht das, was man erwartet“. Wahrschein­licher wäre eine Bewegung des einen oder anderen Beins, quasi ein Stolpern, was einen Sturz mit den Knien voraus zu Boden verhindern würde. Aber ausschließ­en könne er einen solchen Sturz nicht, so Adamec. Aufgrund zu vieler fehlender Informatio­nen könne die entspreche­nde Situation nicht zuverlässi­g nachgestel­lt werden. Den rechtsmedi­zinischen und biomechani­schen Gutachten soll am kommenden Verhandlun­gstag jenes des Psychiater­s folgen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany