Was sind eigentlich Spazierwanderwege?
Weil sich seine Gäste immer wieder im Wald zu verlaufen drohten, wurde ein Gastwirt aktiv. Es entstand ein Projekt, das mit dem Chiemgau konkurriert, aber die Nase bislang vorn hat
Autenried Die Entstehungsgeschichte der Premium-Spazierwanderwege in den Landkreisen Neu-Ulm und Günzburg – möglicherweise bald gar die ersten ihrer Art im Freistaat – ist durchaus zum Schmunzeln. Sie kam dadurch auf, dass sich ein rühriger Gastwirt ständig Sorgen machen musste, dass sich seine Gäste im Wald verlaufen. Genauer gesagt, im Roggenburger Forst. Also gab er den Anstoß für eine spannende Initiative. Mit dem Ergebnis, dass nun im Donautal neun Premium-Spazierwanderwege entstehen – die mit einem ähnlich gelagerten Projekt im Chiemgau darum konkurrieren, die ersten in Bayern sein zu können.
Rudolf Feuchtmayr betreibt zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn den Autenrieder Brauereigasthof, einer Gaststätte samt Brauerei und Hotel mit 80 bis 90 Betten und rund 25 Angestellten. Und wenn nicht gerade die Coronaschutzmaßnahmen den Gastwirten das Geschäft kaputt machen, machen sich von Autenried – ein Dorf, das zur Stadt Ichenhausen gehört – viele Gäste der Schlossbrauerei auf in den Wald, der sich etliche Kilometer von Norden nach Süden, von Autenried bis Babenhausen hinzieht. „Das Problem ist, dass man gut in den Wald hineinfindet. Man läuft dann bequem auf Langholzwegen, die dann aber plötzlich im Nichts enden.“Diese Wege sind freilich reinweg aus forstwirtschaftlichen Gründen entstanden und folgen darum nicht unbedingt den Bedürfnissen eines Naherholungssuchenden etwa nach Rundwandererlebnissen. Feuchtmayr erinnert sich zum Beispiel an eine Frau, die bei ihm zu Gast war, und die nach langem Marsch auf einer anderen Seite des Waldes bei Stoffenried stand und nicht mehr wusste, wo sie ist.
„Ich habe immer wieder Anläufe bei den Staatsforsten genommen, damit Wege ausgewiesen werden.“Lange vergebens. Doch dann kam die Sache irgendwann doch ins Rollen. Auch, weil es seltene Vogelarten im Forst gibt. Und das Argument im Raum stand, dass man die Wanderer auf den Wegen halten müsse. Was bei markierten Trassen natürlich leichter funktioniert. Schließlich kam dann noch der Verein „Donautal-aktiv“(er hat die Regionalentwicklung zwischen Iller und Lech im Schwäbischen zum Ziel) dazu – und die Sache gewann zusehends an Kontur. Die Landkreise Dillingen, Günzburg und Neu-Ulm errichte
ein Leader-Kooperationsprojekt (Leader ist ein Programm der Europäischen Union zur Förderung des ländlichen Raums), mit dem Ziel, EU-Mittel für ein Wanderwegenetz zu gewinnen.
Doch vorher musste noch die Frage geklärt werden: Wo sollen denn in der betreffenden Region Spazierwanderwege ausgewiesen werden? Zur Beantwortung dieser Frage wurde Kontakt zum Deut
schen Wanderinstitut im nordhessischen Marburg aufgenommen. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Wanderexperten, die laufend an der Weiterentwicklung von Qualitätsstandards für alles, was mit dem Thema Wandern zu tun hat, arbeiten. Grundlage für diese Arbeit ist wissenschaftliche Forschung. Für das Institut sind beispielsweise Diplom-Geografen, Natursoziologen, Biologen oder stuten dierte Touristiker aktiv. Das Institut entsandte seinen Zweiten Vorsitzenden Jochen Becker, der letztlich im größeren Umgriff der Region neun Premium-Spazierwanderwege auf den Gemarkungen der Kommunen Ellzee/Waldstetten, Ichenhausen, Roggenburg/Buch und Weißenhorn ausmachte, von denen die ersten – wenn alles klappt – ab dem Wanderherbst eröffnen sollen, wie Andrea Zangl vom Projektträger, dem Verein Donautal-aktiv, bestätigt.
Nachdem es aber ja überall ausgewiesene Wanderwege gibt (prominentes Beispiel ist etwa die Wandertrilogie im Allgäu), stellt sich nun natürlich die Frage: Was bitte ist überhaupt ein Premium-Spazierwanderweg? Und wozu braucht man dafür Experten aus Marburg? Jochen Becker verweist auf die Wanderforschung. Premium–Spazierwanderwege tragen demnach der Erkenntnis Rechnung, dass sich viele Menschen, im Gegensatz zu versierten Wanderern, nicht allzulange Strecken wünschen – etwa zwischen drei und sieben Kilometern. Premium-Spazierwanderwege müssen jeden Kilometer eine irgendwie geartete Rastmöglichkeit beinhalten. Sie dürfen außerdem nicht eintönig geradeaus führen, sondern müssen in relativ kurzen Abständen Formationswechsel und Attraktionen – etwa Ausblicke, Sitzgelegenheiten, Naturschönheiten – aufweisen und für Kinder erlebnishaft sein. Bislang gibt es in Bayern noch keine vom Wanderinstitut ausgewiesenen Premium-Spazierwanderwege. „Und so, wie es aussieht, wird Schwaben gegenüber dem ebenfalls laufenden Projekt im Chiemgau wohl die Nase vorn haben“, sagt Becker. Sprich: Nummer eins in Bayern sein.
Nicht zu verwechseln mit den Premium-Spazierwanderwegen sind die Premium-Wanderwege, die ebenfalls vom Deutschen Wanderinstitut zertifiziert werden und die es schon in Bayern gibt. Ihre Strecken sind länger – sechs bis 20 Kilometer. Ihre Formationswechsel dürfen im Gegensatz zu den Spazierwanderwegen weiter auseinanderliegen, müssen aber dennoch circa alle zwei Kilometer erfolgen.
Das Wanderinstitut in Marburg ist in seiner Form einzigartig in Deutschland, wie Becker betont. Als Mitbewerber beim Zertifizieren nennt er den Deutschen Wanderverband, der Dachverband aller deutschen Wandervereine. Auch er weist – unter anderem – Wanderwege aus.