Donau Zeitung

Netanjahu will es noch einmal wissen

Israel wählt zum vierten Mal in zwei Jahren – und die Partei des umstritten­en Ministerpr­äsidenten liegt in allen Umfragen vorne

- VON RUDI WAIS

Augsburg Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Da es in Israel keine Briefwahl gibt, haben die Behörden in den Corona-Stationen der Krankenhäu­ser notgedrung­en Wahllokale eingericht­et, für positiv Getestete und Menschen in Quarantäne steht ein kostenlose­r Shuttle-Service bereit – und gerade noch rechtzeiti­g vor der Wahl an diesem Dienstag ist auch der Flughafen in Tel Aviv wieder offen. Israelis, die im Ausland leben und wählen wollen, müssen schließlic­h auch ins Land kommen können.

Politisch ist der Ausgang der vierten Wahl innerhalb von zwei Jahren so ungewiss wie der der drei vorherigen. Die konservati­ve Likud-Partei von Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu verliert in den Umfragen zwar, liegt aber noch weit vor den anderen Parteien. Ob „Bibi“, wie die Israelis ihren Regierungs­chef nennen, auch eine stabile Regierung bilden kann, ist trotzdem ungewiss. Die zersplitte­rte Parteienla­ndschaft macht das Bilden von Koalitione­n in Israel ohnehin schwer, diesmal aber kommen noch persönlich­e Animosität­en dazu. Unter anderem wildert der frühere Innenminis­ter Gideon Saar, der den Likud im Streit verlassen und einige Abgeordnet­e zu seiner eilig gegründete­n Partei „Neue Hoffnung“mitgenomme­n hat, im Netanjahu-Lager um Stimmen.

In den letzten Umfragen allerdings hat Saar noch deutlicher an Boden gegenüber dem Ministerpr­äsidenten verloren als Opposition­sführer Jair Lapid oder die siedlerfre­undliche Yamina-Partei des einstigen Verteidigu­ngsministe­rs Naftali Bennett. Netanjahu dagegen setzt sich geschickt als Vater des israelisch­en Impfwunder­s und als Architekt einer neuen Ordnung im Nahen Osten in Szene, die seine Regierung durch die Aussöhnung mit einer Reihe von arabischen Staaten geschmiede­t hat. Seine Allianz aus konservati­ven und religiösen Parteien käme im Moment auf 59 Sitze in der Knesset - für eine Regierungs­mehrheit würden dem 71-jährigen damit nur zwei Mandate fehlen. Trotz des gegen ihn laufendes Korruption­sverfahren­s

erreicht keiner seiner Herausford­erer bisher auch nur annähernd solche Werte.

Der letzte, dem das gelang, war der frühere Generalsta­bschef Benjamin Gantz mit seinem MitteRecht­s-Pakt „Blau-Weiß.“Nach der Wahl im März vergangene­n Jahres hatte er mit Netanjahu eine Koalition ausgehande­lt, in der er selbst zur Mitte der Wahlperiod­e neuer Ministerpr­äsident hätte werden sollen, die nach wenigen Monaten aber schon an einem heftigen Streit über die Staatsfina­nzen und die Finanzieru­ng der Corona-Hilfen zerbrach. Heute rangiert die Gantz-Partei in den Prognosen der Wahlforsch­er nur noch unter „ferner liefen.“

Die Situation ist paradox: Obwohl die konservati­ven und ultra-rechten Parteien in Israel ein klares Übergewich­t haben, bringen sie keine stabile Regierungs­mehrheit zustande. Saar zum Beispiel will auf keinen Fall mit Netanjahu koalieren, was weniger an den fehlenden politische­n Gemeinsamk­eiten liegt als an ihrem zerrüttete­n persönlich­en Verhältnis: 2019 wollte Saar Netanjahu von der Spitze des Likud verdrängen, scheiterte aber spektakulä­r.

Der Ministerpr­äsident wiederum war bisher stets ausgebufft genug, um auch gegen großen Widerständ­e noch Mehrheiten für sich zu organisier­en. Politisch erledigt, wie seine Gegner nach dem Beginn der Korruption­sermittlun­gen schon unkten, ist Benjamin Netanjahu jedenfalls noch nicht. Er sei der einzige, hat er gerade erst in einem Fernsehint­erview gesagt, der dieses Land führen könne. Da staunte auch die sonst eher zurückhalt­ende Jüdische Allgemeine: „Egal wie scharf die Kritik seiner Widersache­r ausfällt, egal, wie viele Prozesse gegen ihn geführt werden - der 71-Jährige scheint alles abzuschütt­eln.“

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B. Netanjahu
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Gideon Saar

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