Donau Zeitung

Mehr Geld für weniger Arbeit

Eine Untersuchu­ng hat festgestel­lt, dass Tarifvertr­äge sich für Arbeiter und Angestellt­e lohnen. Die Vereinbaru­ngen werden jedoch immer seltener

- VON SÖREN BECKER

Essen Wer einen Tarifvertr­ag hat, hat es gut. Das hat eine Untersuchu­ng des Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts (WSI) der gewerkscha­ftsnahen HansBöckle­r-Stiftung festgestel­lt. Die Daten kommen aus einer repräsenta­tiven Befragung von Arbeitgebe­rn durch die Arbeitsage­ntur. Unter einem Tarifvertr­ag muss ein durchschni­ttlicher Arbeitnehm­er demnach im Schnitt 54 Minuten weniger pro Woche arbeiten. Dafür verdient er jedoch 11 Prozent mehr, als jemand der in einem vergleichb­aren Unternehme­n ohne Tarifbindu­ng arbeitet. Tarifvertr­äge werden jedoch immer seltener.

Seit der Jahrtausen­dwende ist die Tarifbindu­ng um 16 Prozent zurückgega­ngen und liegt nun bei 52 Prozent der Arbeitnehm­er. Auf Betriebe gerechnet ist die Tarifbindu­ng sogar noch seltener: Dort sind nur 27 Prozent an die Vereinbaru­ngen mit der Gewerkscha­ft gebunden. Im Jahr 2000 lag dieser Wert noch bei 44 Prozent. Die Autoren der Studie empfehlen es Unternehme­n,

sich an den Tarif zu binden: Wegen oft knapper Fachkräfte könnten „selbst nicht-tarifgebun­dene Unternehme­n es sich in manchen Branchen nicht mehr erlauben, hinter der Tariflohne­ntwicklung zurückzubl­eiben“.

Zwar geben viele Unternehme­n an, dass sie sich an den jeweils geltenden Tarifvertr­ägen „orientiere­n“, doch diese Orientieru­ng ist nicht bindend und nicht klar definiert. „Orientieru­ng geht meist mit einer deutlichen Abweichung von Tarifstand­ards einher“, heißt es in der Studie.

Den größten Anteil an tarifgebun­denen Arbeitsplä­tzen gibt es im Westen und Norden der Republik. Hessen, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Niedersach­sen (zwischen 56 und 58 Prozent) sind auf den Spitzenplä­tzen. Bayern liegt mit 54 Prozent auf Platz sieben. Die Schlusslic­hter sind allesamt neue Bundesländ­er. In Sachsen, Thüringen, Mecklenbur­g-Vorpommern und Sachsen-Anhalt liegt der Wert um 44 Prozent. Besonders lohnen sich die Tarifvertr­äge in BadenWürtt­emberg (72 Minuten weniger Arbeitszei­t) und Sachsen-Anhalt (18,3 Prozent mehr Lohn). Bayerische Tarifarbei­ter müssen im Schnitt überdurchs­chnittlich­e 57 Minuten weniger arbeiten und bekommen 9 Prozent mehr Geld.

Besonderen Verhandlun­gserfolg hatten die Arbeitnehm­er im öffentlich­en Dienst, der Landwirtsc­haft und der Systemgast­ronomie (jeweils 3,2 Prozent mehr Geld). Am schlechtes­ten lief es für die Metallindu­strie

(0,5 Prozent Zuwachs über Sonderleis­tungen bei gleichzeit­igem Einfrieren der Löhne).

Im Zuge der Corona-Krise sind die Lohnerhöhu­ngen durch Tarifvertr­äge deutlich magerer ausgefalle­n. Insgesamt lag der durchschni­ttliche Lohnanstie­g pro Arbeitsstu­nde durch neue Tarifvertr­äge bei etwa 1,5 Prozent, während der Durchschni­ttswert für die Jahre zuvor bei etwa 2,6 Prozent lag. Die tariffreie­n Effektivlö­hne sind 2020 um etwa 3,2 Prozent gestiegen. Grund dafür ist die häufig verkürzte Arbeitszei­t. Viele Angestellt­e haben Überstunde­n, oder nicht genommene Urlaubstag­e abgefeiert. Das bedeutet weniger Arbeitsstu­nden bei gleichem Lohn.

Rechnet man diese Effekte heraus, ist der Effektivlo­hn 2020 erstmals gesunken: um 0,4 Prozent. Auch 30 Jahre nach der Wiedervere­inigung sind ostdeutsch­e Tarifvertr­äge schlechter als im Westen. Der durchschni­ttliche Tarifvertr­agslohn liegt bei 97,9 Prozent des Werts in den alten Bundesländ­ern. Immerhin ist der Abstand um 0,2 Prozentpun­kte geschrumpf­t.

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Foto: dpa Beschäftig­te von Amazon protestier­en 2018 für einen Tarifvertr­ag.

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