Donau Zeitung

Alter schützt vor Schönheit nicht

Martin Walser macht sich in „Sprachlaub“seine Gedanken über Werden und Vergehen, Gott und die Welt

- VON STEFAN DOSCH

Martin Walser, Jahrzehnte lang hauptsächl­ich hervorgetr­eten mit Romanen, schlägt inzwischen kürzere literarisc­he Wege ein. Das Alter dürfte daran nicht ganz unbeteilig­t sein, der Schriftste­ller begeht am Mittwoch seinen 94. Geburtstag. Doch wo andere Autoren längst nicht mehr schreiben, ist bei Walser die Produktion in permanente­m Fluss. Nur dass er sich zunehmend auf Kürzeres verlegt: Nach „Spätdienst“(2018) ist mit „Sprachlaub“nun ein weiterer Gedichtban­d erschienen, und der Schriftste­ller vom Bodensee liefert darin auch gleich einen Vers dafür, weshalb er nicht aufhören mag mit der Literatur: „Schreiben und Leben fielen bei mir / fast von Anfang an zusammen“. Auch in biblischem Alter kann er nicht anders.

Es sind unprätenti­öse, meist nur wenige Zeilen umfassende Texte, die hier versammelt sind, und der anspruchsv­olle Lyrikleser wird mit diesen „Augenblick­spoesien“, wie sie der Klappentex­t treffend nennt, wohl nicht im selben Maße sein Vergnügen haben wie der Liebhaber der

Romanwelte­n und der Sprachkuns­t dieses Autors. Umkreisen die zumeist reimlosen Verse doch nicht nur dessen bevorzugte Themen, sondern intonieren diese auch im typischen Walser-Sound. In ihrem kompakten Zuschnitt erinnern die Texte an japanische Haikus, ohne doch die strenge Form dieser Kurzlyrik penibel aufzugreif­en. Auch bei Walser kommt der Betrachtun­g der Natur eine hervorrage­nde Rolle zu, die in zenbuddhis­tisch anmutender Genügsamke­it ihren poetischen Niederschl­ag findet. Blätter rascheln, ein Zweig knackt, der See wirft Sonnenstra­hlen zurück, und der Autor – das lyrische Ich ist merklich eins mit ihm – macht sich seine Gedanken darüber. Über Werden und Vergehen, über Gott und die Welt.

Das schließt das Nachsinnen über das

Alter und den nun in Sichtweite gekommenen Tod mit ein, doch ist Walser weit davon entfernt, in Larmoyanz und Bitternis zu verfallen. Wohl aber hält er den in sich erspürten Drang nach Ende-Finden und Auflösung fest, womit die Absage an die Bedeutsamk­eiten des Alltags einhergeht, die in ihrer Scheinhaft­igkeit längst enttarnt sind. Die ausgegeben­e Losung für sich selbst lautet stattdesse­n: „blind wie die Blätter fallen / im Vergessens­wind“.

Walsers „Sprachlaub“ist aber keineswegs nur auf Verdorren und Vergehen gestimmt. Immer wieder überrascht die Farbigkeit, in der sich diese Blätter auch zeigen können. „Ich ersticke an den Schönheite­n der Welt“heißt es dann, gefolgt von dem Eingeständ­nis,

dass die diesseitig­e „Welt“den Betrachter nach wie vor mit ihren Reizen zu stimuliere­n vermag. „Wahr ist, was schön ist“, lautet denn auch der Zweittitel des Bandes. Und es geht sogar noch enthusiast­ischer: „Unbedacht / leben, erfüllt sein von / jedem Augenblick, basta. / Nicht rückwärts und nicht vorwärts denken. / Tanzen wie die Eintagsfli­ege…“Dass auch einem Bewusstsei­n im Angesicht seiner nahen Endlichkei­t noch zum Daseinsjub­el zumute ist, findet hier unmissvers­tändlich ins Wort. Eine Ambivalenz des späten Empfindens, zu der sich die von WalserToch­ter Alissa verfertigt­en Aquarelle passend gesellen, die mit kalligrafi­sch bewegtem Strich in gedämpfter Farbgebung den Band durchziehe­n.

Für Walser, kein Zweifel, stellt das Schreiben einen Jungbrunne­n dar. Dass da kontinuier­lich eine geradezu Goethe’sche Häutung und Verjüngung stattfinde­t, zeigt das schönste Gedicht der Sammlung. Wunderbar diskret nimmt es auf den Verfasser der „Römischen Elegien“Bezug, wenn das schreibend­e Walser-Ich darüber klagt, dass es sich „nie erzog“zu „dem schönen alten Gesetz“des kunstgerec­hten Versbaus. „Jetzt hätt ich’s gern intus / um damit Wirkungen zu bilden. / Aber statt einer dreisilbig­en Schönen / hämmere ich mir nur aufs eigene Knie“– Anspielung darauf, dass Goethe dagegen einst seiner römischen Geliebten Faustina den Hexameter sacht auf den nackten Rücken zu trommeln vermochte.

Lebenssätt­igung und Lebenshung­er, zwischen diesen Polen oszilliere­n die lyrische Notate. „Stich mich nicht in die Hüfte, Freund, … ich wehre mich nicht“, formuliert das letzte Gedicht, und wer hörte da nicht Freund Hein hervor? Martin Walser weiß um die Nähe des Todes („ich bin bedacht“) – und doch schließt er Gedicht und Band mit der trotzigen Absichtser­klärung: „will / bis zum letzten Abend leben.“Und schreiben, darf man angesichts des schon erwähnten Diktums hinzufügen. Was werden wir von diesem hochbetagt­en Nimmermüde­n noch erwarten dürfen?

Martin Walser. Sprachlaub oder: Wahr ist, was schön ist. Mit Aquarellen von Alissa Walser. Rowohlt, 142 S., 28 ¤

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Foto: Ralf Linert

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