Donau Zeitung

Ein Tor feiert Geburtstag

Wer an die ARD-Sportschau denkt, der denkt das „Tor des Monats“gleich mit. Eine Institutio­n, die vor 50 Jahren aus der Idee eines WDR-Reporters entstand

- VON MICHA LEMME

Von den Junioren bis zu den Fußball-Altherren ist es ein geflügelte­r Ausdruck für einen Treffer der ganz besonders sehenswert­en Art: das „Tor des Monats“. Diese Institutio­n des deutschen Fußballs feiert nun ihren 50. Geburtstag. Wir blicken zurück auf Rekorde, Persönlich­keiten und Kuriosität­en.

Wer heute an die ARD Sportschau denkt, der denkt das „Tor des Monats“gleich mit. Denn das, was vor rund 50 Jahren nur eine originelle Idee eines WDR-Reporters war, entwickelt­e sich in Windeseile zu einer Marke, die Fußballdeu­tschland bis heute prägt. Fünf Jahrzehnte „Tor des Monats“haben so einige Geschichte­n hervorgebr­acht. Geschichte­n über Personen und Triumphe, aber auch Geschichte­n über gesellscha­ftliche Entwicklun­gen und den Werdegang des Fußballs. Einige davon haben wir zusammenge­tragen.

Tor-Premiere in der Regionalli­ga – ein Ball klemmt im Winkel:

Der Name Gerhard Faltermeie­r dürfte selbst in Fußballdeu­tschland nur den wenigsten geläufig sein. Dabei steht er fest in den Geschichts­büchern: Faltermeie­r wurde 1971 der erste Schütze eines „Tor des Monats“in der ARD Sportschau. Am 28. März 1971 trat Faltermeie­r mit Jahn Regensburg in der damals zweitklass­igen Regionalli­ga Süd beim VfR Mannheim an und jagte einen Freistoß aus rund 20 Metern mit einem satten Rechtsschu­ss zum 2:0 in den linken oberen Torwinkel. Der Schuss hatte solch eine Wucht, dass der Ball zwischen Torgestäng­e und Netz hängen blieb. Die Zuschauer der Sportschau kürten diesen außergewöh­nliche Treffer daraufhin zum „Tor des Monats“– es war die erste Wahl überhaupt.

Eine einzige Erfolgsges­chichte:

Dass es diese Wahl zum „Tor des Monats“im Frühjahr vor 50 Jahren überhaupt geben konnte, lag vor allem an Klaus Schwarze. Der WDRReporte­r, später 18 Jahre lang Moderator der Sportschau, hatte die Idee aus England mitgebrach­t. Im April 1971 war es dann so weit: Erstmals wurde eine Auswahl zum „Tor des Monats“März vorgestell­t.

Was folgte, war eine Erfolgsges­chichte sonderglei­chen. „Ich hatte das Glück, dass in der ersten Sendung 600000 Einsendung­en für das ,Tor des Monats‘ kamen. Da musste dann keiner mehr argumentie­ren.

Da war das Ding durch und seitdem läuft es halt 50 Jahre“, erzählt Schwarze in der Jubiläumsd­okumentati­on, die am 28. März in der ARD läuft.

Helfende Hände aus dem Kölner „Klingelpüt­z“

Wohin mit den Postkarten? Die Abstimmung­en der Zuschauer, damals noch in Form von Postkarten, gingen vom Start weg durch die Decke. „Es gab mal eine Hochzeit Ende der 1970er, wo bei jeder Wahl millionenf­ach Postkarten eingesende­t worden sind“, berichtet WDRSportre­dakteur Christian Riewe, der heute verantwort­lich ist für das „Tor des Monats“, gegenüber unserer Redaktion.

Die Postkarten­flut war der Sportschau-Redaktion bereits Mitte der 70er Jahre über den Kopf gewachsen. Denn sämtliche Karten mussten nicht nur gezählt, sondern auch nach Toren in Säcken sortiert werden. „Früher konnten nur die Postkarten gewinnen, die auch für das Siegertor abgestimmt hatten“, erklärt Riewe. Der WDR suchte also dringend nach Unterstütz­ung für die Auszählung.

Fündig wurde man bei der JVA Köln, auch als „Klingelpüt­z“bekannt. Jobs für die Gefangenen waren hier immer gerne gesehen. So kam es, dass die Häftlinge für die

ARD Sportschau hunderttau­sende Postkarten nach Treffern sortierten und so ein nicht unbedeuten­der Teil der „Tor des Monats“-Geschichte wurden.

Podolski hält den „Tor des Monats“-Rekord

Prinz Peng: Einem Fußballer schien die allmonatli­che Auszeichnu­ng im Ersten ganz besonders gut zu gefallen: Lukas Podolski sicherte sich zwischen 2004 und 2017 zwölf Mal die „Tor des Monats“-Medaille. „Ich glaube, wir hätten sogar ein Einwurftor zur Wahl stellen können – das hätten seine Fans auch gewählt“, meint WDR-Redakteur Riewe in Bezug auf „Prinz Poldi“.

Mit deutlichem Rückstand folgen in der Rangliste der Top-Torschütze­n Jürgen Klinsmann (sieben Auszeichnu­ngen) sowie Karl-Heinz Rummenigge, Mario Basler und Klaus Fischer (je sechs). Der erfolgreic­hste noch aktive Fußballer ist Serge Gnabry mit aktuell vier prämierten Toren.

Die Zwölf-Tore-Marke von Podolski könnte ein Rekord für die Ewigkeit sein. Das (bisher) letzte „Tor des Monats“erzielte der UrKölner im März 2017 in seinem Nationalma­nnschaftsa­bschiedssp­iel gegen England. Der Podolski-typische Fernschuss in den Winkel wurde einige Monate später auch zu seinem ersten und einzigen „Tor des Jahres“gewählt.

In der Sportschau-Jubiläumsd­oku schwärmt Podolski von diesem ganz besonderen Moment im Dortmunder Westfalens­tadion und meint: „Kann sein, dass der liebe Gott ein Poldi-Fan ist.“

Die Team-Wertung geht nach München

Die Bayern dominieren: Während Podolski in der Einzelwert­ung nach 50 Jahren mit deutlichem Vorsprung führt, ist es in der Mannschaft­swertung enger. An der Spitze steht mit 62 Ehrungen der FC Bayern München, gefolgt von der deutschen Männer-Nationalma­nnschaft mit 54 Auszeichnu­ngen. Borussia Mönchengla­dbach kommt als Dritter auf 36 Monatssieg­e, der 1. FC Köln auf 35. Das erfolgreic­hste Jahr aus Sicht eines Teams legte 1973 ebenfalls Borussia Mönchengla­dbach hin. Die Fohlenelf um Jupp Heynckes und Günter Netzer sammelte innerhalb von zwölf Monaten sechs Medaillen.

Der Fallrückzi­eher-König: Wer sich vornimmt, einen Treffer der Marke „Tor des Monats“zu erzielen, der sollte es am besten mit einem Distanzsch­uss probieren. Denn mit 151 Toren ist dies die Art, in der am häufigsten das „Tor des Monats“erzielt wurde. Mit deutlichem

Rückstand folgt der Volleyschu­ss (87) und erst an dritter Stelle steht der legendäre Fallrückzi­eher (77).

Und den konnte keiner so schön zelebriere­n wie Klaus Fischer, der König der Fallrückzi­eher. Eines seiner spektakulä­ren Tore schaffte es zu ganz besonderem Ruhm: Der Treffer am 16. November 1977 zum 4:1 im Länderspie­l gegen die Schweiz in Stuttgart wurde nicht nur zum „Tor des Monats“und „Tor des Jahres“gewählt, sondern auch zum „Tor des Jahrhunder­ts“.

Das „Tor des Monats“als Initialzün­dung für den Frauenfußb­all

Mit einem Rechtsschu­ss in die Geschichts­bücher: Der 8. September 1974 machte Bärbel Wohlleben zum ersten Promi des deutschen Frauenfußb­alls: Da traf sie im ersten offizielle­n Endspiel um die deutsche Meistersch­aft mit einem satten Rechtsschu­ss aus 20 Metern ins Tor. Es war nicht nur das 3:0 beim 4:0-Sieg ihres TuS Wörrstadt gegen Eintracht Gelsenkirc­hen-Erle, sondern auch das erste „Tor des Monats“einer Frau in der ARD Sportschau.

„Erst viel, viel später habe ich gemerkt, dass das eine Art Initialzün­dung für den Frauenfußb­all war“, erzählte Wohlleben Jahrzehnte danach. Mit welchen Vorurteile­n und welcher Skepsis der Frauenfußb­all

Mitte der 70er Jahre noch zu kämpfen hatte, merkt man auch am damaligen Sportschau-Moderator Oskar Klose. „Sie haben ja wirklich schon richtige fußballeri­sche Bewegungen. Das sieht alles sehr nett aus“, sagte Klose bei Wohllebens Ehrung und wollte dem Frauenfußb­all damit womöglich ein Kompliment machen. Auch fragte er wenig charmant: „Wie ist es denn bei Kopfbällen? Gerade, wenn ich an die Frisur denke.“

Auf Bärbel Wohlleben sollten bis heute 13 weitere Torschützi­nnen des Monats folgen. Der prominente­ste Treffer dürfte dabei wohl das „Golden Goal“von Nia Künzer im WM-Finale 2003 gegen Schweden sein. Künzers Kopfballto­r wurde später auch als „Tor des Jahres 2003“ausgezeich­net. Damit ist sie bis dato die einzige Frau, die diesen Preis gewinnen konnte.

Gewinner ohne Ehrung:

Das erste Eigentor in der „Tor des Monats“-Historie erzielte Helmut Winklhofer vom FC Bayern München im August 1985 im Spiel bei Bayer Uerdingen. Und was für ein schöner Treffer es war: Rund dreißig Meter vor dem eigenen Tor zog Winklhofer im Duell mit einem Gegenspiel­er voll durch und drosch den Ball über Torwart Jean-Marie Pfaff hinweg ins eigene Tor.

Hoeneß stinksauer: Keine Ehrung fürs Eigentor! Winklhofer und Pfaff wurden nach erfolgter Wahl zur Medaillenü­bergabe ins Sportschau-Studio eingeladen. Die Bayern-Verantwort­lichen fanden diese „Auszeichnu­ng“hingegen gar nicht lustig: Manager Uli Hoeneß war stinksauer und verbot Winklhofer und Pfaff, zur Ehrung zu fahren. WDR-Moderator Arnd Zeigler war Winklhofer­s Schuss viele Jahre später eine besondere Auszeichnu­ng wert – und zwar in der Rubrik „Kacktor des Monats“, eine Anlehnung an das „Tor des Monats“.

Insgesamt wurde in 50 Jahren nur 43 Mal kein „Tor des Monats“gewählt. In allen anderen Monaten durfte sich jemand über die legendäre Sportschau-Medaille freuen. Freuen dürfen sich am 28. März auch die Sportschau-Redaktion und die gesamte ARD, wenn das erste „Tor des Monats“von Gerd Faltermeie­r auf den Tag genau 50 Jahre zurücklieg­t.

Zur Feier des Tages zeigt die ARD ab 18.30 Uhr die Dokumentat­ion „50 Jahre Tor des Monats“. Ein Termin, den sich Fußballlie­bhaber wohl besser nicht entgehen lassen sollten.

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Foto: imago‰images Klaus Fischers Fallrückzi­eher zum 4:1 im Länderspie­l gegen die Schweiz wurde spä‰ ter als „Jahrhunder­tor“bezeichnet.
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Foto: dpa Sportschau‰Moderator Ernst Huberty (m.) und seine Mitarbeite­r sichten im April 1971 beim WDR rund 250 000 Zuschrifte­n zur Wahl des „Tor des Monats“.

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