Boom oder Wandel – wie Corona den Konsum verändert
Titel-Thema Schon vor der Krise hatte der Konsum ein Imageproblem. Viele Menschen fragen immer lauter, was wir der Umwelt damit antun. Dann kam die Pandemie und plötzlich scheint alles anders. Die Deutschen sparen doppelt so viel wie bisher – und die Ausgaben der Verbraucher brachen so stark ein, wie seit der Ölkrise nicht mehr. Und nun? War die Krise ein Wendepunkt – oder verprassen wir die Reserven bald noch hemmungsloser? Gerade klingt es noch wie ferne Zukunft. Doch: Was wird passieren, wenn das Leben wieder anders ist, frei und ohne Maske? Wo jetzt alle, schon ewig, sagen: Genug daheim gesessen! Zu wenig gelebt, gesehen, gereist; die wahrscheinlichste Antwort ist: Es wird in der Kasse klingeln, es wird rappeln im Karton. Nicht ein bisschen, sondern richtig. Die Deutschen haben in Lockdown eins, zwei und drei große Summen zurückgelegt. Die Chancen sind hoch, dass sehr viel davon bald ausgegeben wird. Man lebt schließlich nur einmal.
Der Konsum steht für rund die Hälfte der deutschen Wirtschaftsleistung, das nur mal vorhergeschickt. Aber die Lockdown-Monate, Click & Collect, Click&Meet, die dauernden Beschränkungen sorgten dafür, dass der private Konsum in Deutschland binnen eines Jahres so stark zurückging wie seit 50 Jahren nicht mehr. Es hat richtig rumms gemacht. Schlecht für die Wirtschaft, gut für die Ressourcen der Erde. Denn auch die bezahlt schließlich mit für unseren Konsum. Das Bewusstsein dafür ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Darum wird es nach der Krise spannend werden: Wofür wird das viele Geld ausgegeben? Und wo: Online? Oder doch wieder in der Fußgängerzone? Ist die Klimakrise noch in den Köpfen, wenn die Einkaufszentren wieder aufsperren? Oder wird sich das Konsumverhalten nachhaltig verändern? Können wir uns nachhaltig aus der Krise shoppen?
Tatsache ist erst einmal, selbst die größte Krise trifft nicht alle gleich. Es gibt Verlierer, wenig Berührte und Gewinner. Noch nie haben etwa so viele Unternehmen ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt wie im vergangenen Jahr. Allein im April waren fast sechs Millionen Erwerbstätige davon betroffen. 22,1 Milliarden Euro hat das den Staat allein 2020 gekostet. Doch während die finanziellen Folgen für die meisten Kurzarbeiter im Rahmen blieben, sind andere in Existenznot geraten: Soloselbstständige, die keine Aufträge mehr haben. Minijobber, die plötzlich auf Hartz IV angewiesen sind. Künstler, die nicht mehr auftreten können. Kurz: Die Krise polarisiert – doch in der Statistik gehen diese Schicksale oft unter.
Aber die Zahlen sagen, unter dem Strich ist das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland im Jahr 2020 um 393 Milliarden Euro gewachsen. Insgesamt rund 7,7 Billionen Euro haben die Deutschen etwa in Form von Aktien, Einlagen oder Bargeld mittlerweile auf die Seite gelegt, das schätzt die DZ-Bank in einer aktuellen Analyse. Im Jahr 2019 war der Vermögenszuwachs zwar noch höher. Doch das war vor Corona und getragen vom Boom an den Börsen.
Der Dax hat zwar Ende 2020 wieder neue Höchststände erreicht – und rast nun so schnell von Rekord zu Rekord, dass es einigen Analysten schon mulmig wird. Aber davor ist der Leitindex zeitweise eben auch um fast 40 Prozent eingebrochen. Der Vermögenszuwachs in der Krise stammt also hauptsächlich aus der Ersparnis. Rekordverdächtige 20 Prozent betrug die Sparquote privater Haushalte im zweiten Quartal. Aufs Jahr gesehen waren es 16,2 Prozent – nach je 10,9 Prozent in den beiden Jahren zuvor.
Wohin also mit dem Geld? Michael Stappel, Autor der erwähnten DZ-BankStudie, sagt: „Die 393 Milliarden Euro sind ja nur die Mehrersparnis. Wir gehen davon aus, dass ein Großteil dieses Betrags in den Konsum fließt. Und mit dem Schub aus dem Konsum kommt auch in die Wirtschaft.“Die Bank rechnet mit einem regelrechten „PostCorona-Boom“, der einsetzen soll, wenn die Infektionszahlen sinken und die Restriktionen schrittweise zurückgefahren werden. Es sieht zwar derzeit nicht danach aus, als stünde dies kurz bevor. Aber irgendwann ab dem Sommer könnte es so weit sein.
Noch einmal ein Schritt zurück. Warum ist der Konsum überhaupt so zentral für eine Volkswirtschaft? Was macht ihn so wichtig, dass die Bundesregierung im Krisenjahr 2020 die Mehrwertsteuer senkte, um die Konsumausgaben anzukurbeln? Und jungen Familien zusätzliches Kindergeld gab?
Peter Bofinger beschäftigt sich als Professor an der Universität Würzburg und früherer Wirtschaftsweise intensiv mit den Zusammenhängen in der Volkswirtschaft. Der Konsum ist die zentrale Größe in einer Volkswirtschaft, erklärt er. „Letztlich ist das Ziel des Wirtschaftens der private Verbrauch.“Also Dinge zu produzieren, die alle Menschen zum Leben benötigen oder die ihnen guttun. Lebensmittel, Kleidung, Autos, Urlaube…
In Deutschland betrug der private Konsum im Jahr 2020 ganze 51,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – 1,7 Billionen Euro. Andere Länder haben noch höhere Anteile: In den USA steht der Konsum der Haushalte sogar für 69 Prozent der Wirtschaftsleistung. Neben dem Konsum tragen noch die Investitionen, die Ausgaben des Staates und die Exporte abzüglich der Importe zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der Konsum ist aber auch hier der Treiber für die Volkswirtschaft, gerade für die Investitionen. Das Geld, das ein Kunde in der Gaststätte ausgibt, steckt der Wirt zum Beispiel später in den Ausbau seiner Küche. Ein Gummibärchenhersteller kauft sich zum Beispiel eine neue Maschine. „Wenn der Konsum implodiert, wäre das eine Katastrophe“, sagt Bofinger. Volkswirtschaften blicken dann in den Abgrund.
So weit ist es im Krisenjahr 2020 nicht gekommen, die Epidemie hat aber tiefe Einschnitte hinterlassen. Der private Konsum brach 2020 preisbereinigt um 5,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein, berichtet das Statistische Bundesamt. Es war der stärkste Einschnitt seit 1970. Die deutsche Volkswirtschaft insgesamt schrumpfte fast in gleicher Höhe um 4,9 Prozent.
Bei der Frage nach dem Post-CoronaBoom bleibt Bofinger vorsichtig. Die Sparquote war zwar doppelt so hoch wie normal. Das wäre eine gute Basis für künftigen Konsum. So erstaunlich es klingt, ist zudem im Krisenjahr 2020 auch das verfügbare Einkommen der Haushalte um 0,8 Prozent gestiegen, berichtet Bofinger. Beamte, Rentner und – dank des Kurzarbeitergelds auch viele Arbeitnehmer – sind gut durch die Krise gekommen. „Getroffen hat es die Selbstständigen, die Unternehmer und die Bezieher von Vermögenseinkommen.“Hat das Land das Virus eines Tages im Griff, wird auch das Interesse an Urlauben, an RestaurantbesuSchwung chen und Konzerten wieder zurückkommen. Aber die verpassten Hotelübernachtungen und Gaststättenbesuche aus der Corona-Zeit lassen sich nicht mehr nachholen. In neue Möbel oder Küchen haben die Menschen zudem gerade in der Corona-Krise stark investiert. Hier könnte der Bedarf gedeckt sein. Der Post-Corona-Boom, er könnte vielleicht doch kleiner ausfallen als erwartet.
Was könnte man also wirtschaftspolitisch für den Konsum tun? Bofinger hat als ein Mittel Einkaufsgutscheine für die Bürger ins Spiel gebracht – zum Beispiel in Höhe von 50 Euro. Die Corona-Krise hat schließlich vor allem die Händler in den Städten hart getroffen – Schuhläden, Kleiderläden, Buchläden. „Der Einzelhandel hat viele Probleme, wenn es dort wieder richtig boomt, wäre das doch wunderbar“, sagt Bofinger. Kleiderläden könnten ihre vollen Lager mit liegengebliebener Frühjahrsmode räumen, von Einkaufsgutscheinen würden auch Haushalte profitieren, für die das Geld knapp ist. „Der Bund könnte das Geld zur Verfügung stellen, die Kommunen die Verteilung übernehmen“, schlägt er vor. Illusorisch? Nein. Die Stadt Marburg hat mit Einkaufsgutscheinen gute Erfahrungen gemacht, dort bezahlen zum Beispiel viele Arbeitgeber einen Einkaufsgutschein über 44 Euro.
DZ-Bank-Analyst Stappel rechnet sicher mit einer großen Konsumlust nach der langen Pause: „Vor allem in den Branchen, die nun die größten Einbrüche hatten, gibt es ein Nachholbedürfnis: der Facheinzelhandel, Tourismus und Gastronomie, aber auch der Autohandel.“Einen Vorgeschmack darauf, wie das dann laufen könnte, gab es jüngst, als Mallorca aus der Liste der Risikogebiete fiel – und binnen Stunden hunderte
Nach der Krise könnte ein regelrechter PostCoronaBoom die Wirtschaft erfassen