„Es ist fünf vor zwölf für die Wertinger Klinik“
Der ehemalige Chefarzt Dr. Wolf-Rüdiger Kühl meldet sich vor dem Bürgerentscheid zum Ärztehaus-Turm zu Wort. Die Diskussion um den „Tower“sei gar nicht die entscheidende Frage, sagt der Mediziner und macht Vorschläge
Der ehemalige Chefarzt Dr. WolfRüdiger Kühl meldet sich vor dem Bürgerentscheid zu Wort. Er hat einige Vorschläge.
Wertingen Knapp eine Woche vor dem Bürgerentscheid zum Bau des Ärztehaus-Turms an der Wertinger Kreisklinik hat sich nun der ehemalige Chefarzt Dr. Wolf-Rüdiger Kühl zu Wort gemeldet. Mit dem Hinweis, dass diese Frage für den Fortbestand des Kreiskrankenhauses gar nicht entscheidend sei. Der Mediziner hält den „Ärzte-Tower“zwar für „architektonisch fragwürdig“. Ein Ärztehaus sei aber für Wertingen, gleichgültig wo es gebaut wird, „sicher sehr wünschenswert“. Als Ersatz für das in die Jahre gekommene Personalhaus beim Kreiskrankenhaus wäre dies laut Dr. Kühl eine Zukunftsinvestition. Das gäbe seiner Meinung nach auch den Orthopäden der Kreisklinik die Möglichkeit, dort eine Praxis zu eröffnen.
Den Mediziner, der mit der Etablierung des Herzkatheterlabors an der Wertinger Klinik für einen Quantensprung gesorgt hat, treibt allerdings ein anderes Thema um. Der heute 78-Jährige, der von 1987 bis 2008 gut zwei Jahrzehnte als Chefarzt in der Zusamstadt gearbeitet hat, sorgt sich um die Zukunft des Kreiskrankenhauses. „Die Entwicklung zeigt, dass es fünf vor zwölf ist“, sagt Dr. Kühl. Der Krankenhaus-Standort Dillingen werde gefördert, Wertingen mit der Verlagerung der Endoskopie und des Herzkathederlabors „ausgehungert“. Kühl fordert deshalb eine Weiterentwicklung des Wertinger Kreiskrankenhauses, etwa durch die angedachte neu einzurichtende geriatrische Klinik und die Erweiterung der Krankenpflegeschule. In den vergangenen zehn Jahren sei das Kreiskrankenhaus dagegen lediglich verwaltet worden. Weder aus der lokalen noch der übergeordneten Politik seien Initiativen gekommen, dafür seien stets Lippenbekenntnisse wiederholt worden.
Der einstige CSU-Stadtrat macht in einem Papier, das unserer Zeitung vorliegt, konkrete Vorschläge:
● Geriatrische Abteilung Von der Altersentwicklung her seien die geriatrischen Kliniken im Kommen. Dr. Kühl hält es für realistisch, dass man ein solches Projekt verwirklichen könnte. „Die Innere Abteilung darf aber auf keinen Fall aufgegeben werden“, sagt der ehemalige Chefarzt. Es seien zwei Hauptabteilungen für den Erhalt des Wertinger Kreiskrankenhauses nötig – die Chirurgie und die Innere Abteilung.
● Kooperation Ein kleines Krankenhaus wie Wertingen brauche den Anschluss an eine große Klinik, wie er in der Vergangenheit mit dem Klinikum Augsburg in der Kardiologie, Gastroenterologie, Stroke Unit, Radiologie und Herzchirurgie mit hohem Nutzen für beschleunigte Diagnose und Therapiebeginn bestanden habe. Voraussetzung dafür seien enge Kontakte, ein regelmäßig gepflegter Datenaustausch und persönliche Fallvorstellungen in den einzelnen Gremien.
● Führung Es ist laut Dr. Kühl unabdingbar, dass jede Hauptabteilung eines Krankenhauses von einem hauptamtlich tätigen Chefarzt geführt wird, der die Klinik vollschichtig betreut und jederzeit die Verantwortung für Patientenversorgung, Mitarbeiter und Klinikabläufe trägt.
● SchlaganfallBetten Das Wertinger Krankenhaus selbst müsse seine Möglichkeiten entsprechend dem Bedarf erweitern. Der Mediziner fordert die Wiedereinrichtung von Schlaganfall-Betten in enger Zusammenarbeit mit der Stroke Unit in Augsburg.
● Intensiveinheit Der Aufbau einer Intensiveinheit mit mehr als sechs geförderten Betten als eigenständige Abteilung ist nach Ansicht des ehemaligen Chefarztes angesichts der Belastung durch die Corona-Pandemie jetzt eher möglich als zuvor.
● Beatmungsplätze Wie Kühl erläutert, sind Beatmungsplätze, die nun auch für Covid-Patienten benötigt werden, von jeher Mangelware. Der Landkreis könnte nach Ansicht des einige Betten auch ohne Fördergeld betreiben, „zumal die Krankenkassenabrechnung in diesen Fällen für das Haus nicht ungünstig ist“.
● Infektionsabteilung Nachdem in den 80er Jahren auch in Wertingen Infektionsabteilungen abgeschafft wurden, da man Tbc, Hirnhautund Leberentzündungen im Griff zu haben glaubte, könnten unter den gegenwärtigen Seuchenbedingungen nicht nur provisorische Lösungen im Infektionsfall, sondern einige Betten und Therapien für diesen Bereich in Kooperation mit der Uni Augsburg angeboten werden.
● Querschnittpatienten Dr. Kühl nennt ein weiteres Aufgabenspektrum – die Versorgung von Querschnittpatienten, die auch nach dem Unglück in den folgenden Jahren immer wieder stationär betreut und eingestellt werden müssen. „Diese Patienten sind relativ ortsgebunden, und längere Transporte zu Spezialabteilungen wären durch ein entsprechendes Bettenangebot im chirurgischen Bereich zu vermeiden“, sagt der Wertinger.
● Schmerztherapie Die Anästhesie müsse prüfen, ob eine stationär und ambulant verzahnte Schmerztherapie sinnvoll sei. „Hier würde sich eine enge Zusammenarbeit mit den Hausärzten ergeben“, glaubt Kühl.
● Motivation Viele Beschäftigte, so der Mediziner, würden unter dem schleichenden Niedergang der Wertinger Kreisklinik leiden. Dr. Kühl sagt: „Deshalb würde ein allseits sichtbarer Aufbruch mit einer zuWertingers kunftsorientierten Weiterentwicklung die Mitarbeiter motivieren, weiterhin ihr Bestes zu geben.“
In seinem Weihnachtsbrief an die Mitarbeiter der Wertinger Klinik hatte Landrat Leo Schrell bereits darauf hingewiesen, dass in der Zusamstadt neben dem Bau einer neuen Krankenpflegeschule und des Ärztehaus-Turms auch eine Akutgeriatrie in der Inneren Abteilung des Krankenhauses aufgebaut werden soll. Selbstverständlich bleibe das Wertinger Krankenhaus als Haus der Grundversorgung mit den Fachgebieten Chirurgie, Innere Medizin und Anästhesie sowie die Orthopädie erhalten. Die Botschaft Schrells kam allerdings bei der scheidenden Betriebsratsvorsitzenden Ottilie Probst nicht an. „Die Innere wird zur Geriatrie“, befürchtete Probst. Die Wertinger Klinik werde so Schritt um Schritt aus der Akutversorgung herausgenommen. Dem hatte die Leitung der Kreiskliniken Dillingen-Wertingen widersprochen. CSU-Kreistagsfraktionschef Johann Popp, der sich gegen die Ärztehausturm-Planung des Bauunternehmers Ulrich Reitenberger ausgesprochen hat, sagt, er habe nichts gegen den Aufbau einer Akutgeriatrie an der Klinik. Eines sei ihm aber wichtig, betont das Mitglied im Aufsichtsrat der Kreiskliniken: „Ich möchte, dass die Wertinger Klinik weiter ein Haus der Grund- und Regelversorgung bleibt, unter anderem mit einer 24-Stunden-Notaufnahme und einer Intensivstation.“