„Die kleinsten Firmen sieht die Politik nicht“
Matthias Henze hat viel mit Unternehmen zu tun, die nur wenige Beschäftigte haben. Schnell merkte er, wie sehr die Krise den Betrieben zusetzt und ihnen öffentliche Aufmerksamkeit fehlt. Das soll sich dank des Jimdo-Index’ ändern
Hamburg Matthias „Matze“Henze hat mit zwei Mitstreitern als Unternehmer klein angefangen. Auf einem Bauernhof in der Nähe von Cuxhaven unweit der Nordsee begann er, für kleine Betriebe Webseiten zu basteln und Internetshops für sie zu bauen. „Ich kenne die Schmerzen, wenn man sich selbstständig macht“, sagt er.
Henze ist Mitinhaber und Geschäftsführer der Hamburger Firma Jimdo mit inzwischen mehr als 250 Beschäftigten, die in 14 Ländern arbeiten. Weil das Internetunternehmen nach wie vor hauptsächlich für kleine Betriebe tätig ist, hat Henze in der Krise schnell gemerkt: „Einige, wie der Besitzer eines Cafés, mit dem ich gesprochen habe, müssen aufgeben. Doch die Politik sieht die Nöte der Kleinstunternehmen nicht.“Die Gefahr sei groß, dass da für die gesamte Wirtschaft viel wegbreche, auch an Arbeitsplätzen. Dabei könnten viele der Minifirmen um fünf bis 15 Prozent wachsen und zusätzliche Jobs schaffen. Den Kleinstbetrieben fehle es dafür aber an einer wirkungsvollen Lobby gegenüber der Politik, ob es um den Besitzer eines Restaurants, ein Yogastudio, eine Trauerrednerin oder eine Müllerin gehe.
Henze wühlt das auf. Er spricht mit den Händen. Sonst lacht der Unternehmer viel, doch nun wird sein Gesicht ernster: „Die Lufthansa marschiert da rein in Berlin und kommt mit einem Milliardenkredit raus, und die Kleinsten werden einfach übersehen.“Dabei seien sie mit Herzblut Unternehmer und im Vergleich zu manchen großen Firmen „super wertorientiert“. Henze etwa an einen ehemaligen Sternekoch, den er kennt, der jetzt auf kleinerer Flamme, aber nur noch mit regionalen und Bioprodukten durchstartet.
Mit solchen „tollen Menschen“macht Jimdo Geschäfte. Das verbirgt Henze nicht. Da ihm die Existenzgründer und andere kleine Unternehmen vor allem aus dem Dienstleistungsbereich über die Jahre aber „so ans Herz gewachsen sind, weil sie etwas bewegen wollen“, leidet er mit den Inhabern und Beschäftigten solcher Betriebe, die besonders von der Pandemie betroffen sind, mit. Henze hat deswegen mit seinen Mitkämpfern herausgefunden, wie wichtig die Summe solcher Kleinstunternehmen für die deutsche Volkswirtschaft ist. Die Ergebnisse haben ihn verblüfft: Rund 80 Prozent aller Betriebe sind Kleinstunternehmen mit maximal neun Mitarbeitern oder Solo-Selbstständige. Zusammen erwirtschaften sie jährlich mehr als 500 Milliarden Euro – und das mit über 5,7 Millionen Beschäftigten, ob es sich nun um Veranstaltungsmanager, Kneipenbesitzer oder Bäcker handelt. Henze überlegte sich, wie er es bewerkstelligen kann, dass die Kleinen nicht mehr im politischen Regen ausharren müssen und ihre Probleme, etwa wenn sie drei Monate zu spät staatliche Hilfen bekommen, sichtbarer werden.
Dabei dachte er an den berühmten Geschäftsklimaindex des Münchdenkt ner Instituts für Wirtschaftsforschung, allgemein als Ifo-Index bekannt. Der Gradmesser für den Zustand der deutschen Wirtschaft wird monatlich veröffentlicht und gibt ein verlässliches Stimmungsbild der gesamten Wirtschaft ab.
Doch durch die Corona-Krise hat sich besonders die Lage vieler kleiner Betriebe, die wie Yogastudios oder Restaurants immer wieder schließen müssen, deutlich verschlechtert. Das geht insgesamt beim Ifo-Geschäftsklimaindex unter, zumal andere große Branchen wie die Industrie wieder deutlich zuversichtlicher in die Zukunft blicken. So ist der Ifo-Index im März auf 96,6 Punkte nach 92,7 Punkten im Februar deutlich auf den höchsgesamte ten Wert seit Juni 2019 nach oben geschnellt. Ist also alles bestens?
Aus Sicht von Henze nicht. Jimdo hat daher die seriösen Datenspezialisten von Statista beauftragt, einen eigenen Geschäftsklimaindex für Kleinstunternehmen aus der Taufe zu heben. Für die letzte repräsentative Umfrage wurden 500 Inhaber und Mitinhaber von Minibetrieben befragt. Dabei stürzte der neue Jimdo-Index von 96,5 Punkten im November 2020, als viele noch hofften, die Corona-Krise könnte im Frühjahr überwunden werden, auf 92 Zähler im März ab.
Der Vergleich macht deutlich: Durch Deutschland ragt eine weit geöffnete Stimmungsschere zwischen Milliarden verdienenden Autobauern und Restaurantbesitzern, die der unternehmerische Mut verlassen hat. Henze kennt aber auch viele Mutmacher-Beispiele, die von einem großen Durchhaltevermögen, Kreativität und einem hohen Verantwortungsbewusstsein zeugen. Ein Hutmacher etwa, dessen Geschäft nach dem ersten Lockdown eingebrochen war, hat flugs Strohuntersetzer für den Tisch produziert, um seine Beschäftigten bezahlen zu können. Und ein Bäcker vom Bodensee behielt seinen Semmel-Lieferservice, den er in der ersten Corona-Phase aufgebaut hat und der gut angenommen wurde, bei, auch als die Geschäfte mit den Backwaren nicht mehr so gut liefen. Doch es orderten weiter vor vor allem ältere Leute am Tag zuvor online, die sich nicht in die Bäckerei trauten, aus Angst, sich anzustecken. „Der Bäcker macht das aus Verantwortungsbewusstsein“, sagt Henze. Das ist die Welt des JimdoMannes. Da fühlt er sich wohl.