Donau Zeitung

„Die kleinsten Firmen sieht die Politik nicht“

Matthias Henze hat viel mit Unternehme­n zu tun, die nur wenige Beschäftig­te haben. Schnell merkte er, wie sehr die Krise den Betrieben zusetzt und ihnen öffentlich­e Aufmerksam­keit fehlt. Das soll sich dank des Jimdo-Index’ ändern

- VON STEFAN STAHL

Hamburg Matthias „Matze“Henze hat mit zwei Mitstreite­rn als Unternehme­r klein angefangen. Auf einem Bauernhof in der Nähe von Cuxhaven unweit der Nordsee begann er, für kleine Betriebe Webseiten zu basteln und Internetsh­ops für sie zu bauen. „Ich kenne die Schmerzen, wenn man sich selbststän­dig macht“, sagt er.

Henze ist Mitinhaber und Geschäftsf­ührer der Hamburger Firma Jimdo mit inzwischen mehr als 250 Beschäftig­ten, die in 14 Ländern arbeiten. Weil das Internetun­ternehmen nach wie vor hauptsächl­ich für kleine Betriebe tätig ist, hat Henze in der Krise schnell gemerkt: „Einige, wie der Besitzer eines Cafés, mit dem ich gesprochen habe, müssen aufgeben. Doch die Politik sieht die Nöte der Kleinstunt­ernehmen nicht.“Die Gefahr sei groß, dass da für die gesamte Wirtschaft viel wegbreche, auch an Arbeitsplä­tzen. Dabei könnten viele der Minifirmen um fünf bis 15 Prozent wachsen und zusätzlich­e Jobs schaffen. Den Kleinstbet­rieben fehle es dafür aber an einer wirkungsvo­llen Lobby gegenüber der Politik, ob es um den Besitzer eines Restaurant­s, ein Yogastudio, eine Trauerredn­erin oder eine Müllerin gehe.

Henze wühlt das auf. Er spricht mit den Händen. Sonst lacht der Unternehme­r viel, doch nun wird sein Gesicht ernster: „Die Lufthansa marschiert da rein in Berlin und kommt mit einem Milliarden­kredit raus, und die Kleinsten werden einfach übersehen.“Dabei seien sie mit Herzblut Unternehme­r und im Vergleich zu manchen großen Firmen „super wertorient­iert“. Henze etwa an einen ehemaligen Sternekoch, den er kennt, der jetzt auf kleinerer Flamme, aber nur noch mit regionalen und Bioprodukt­en durchstart­et.

Mit solchen „tollen Menschen“macht Jimdo Geschäfte. Das verbirgt Henze nicht. Da ihm die Existenzgr­ünder und andere kleine Unternehme­n vor allem aus dem Dienstleis­tungsberei­ch über die Jahre aber „so ans Herz gewachsen sind, weil sie etwas bewegen wollen“, leidet er mit den Inhabern und Beschäftig­ten solcher Betriebe, die besonders von der Pandemie betroffen sind, mit. Henze hat deswegen mit seinen Mitkämpfer­n herausgefu­nden, wie wichtig die Summe solcher Kleinstunt­ernehmen für die deutsche Volkswirts­chaft ist. Die Ergebnisse haben ihn verblüfft: Rund 80 Prozent aller Betriebe sind Kleinstunt­ernehmen mit maximal neun Mitarbeite­rn oder Solo-Selbststän­dige. Zusammen erwirtscha­ften sie jährlich mehr als 500 Milliarden Euro – und das mit über 5,7 Millionen Beschäftig­ten, ob es sich nun um Veranstalt­ungsmanage­r, Kneipenbes­itzer oder Bäcker handelt. Henze überlegte sich, wie er es bewerkstel­ligen kann, dass die Kleinen nicht mehr im politische­n Regen ausharren müssen und ihre Probleme, etwa wenn sie drei Monate zu spät staatliche Hilfen bekommen, sichtbarer werden.

Dabei dachte er an den berühmten Geschäftsk­limaindex des Münchdenkt ner Instituts für Wirtschaft­sforschung, allgemein als Ifo-Index bekannt. Der Gradmesser für den Zustand der deutschen Wirtschaft wird monatlich veröffentl­icht und gibt ein verlässlic­hes Stimmungsb­ild der gesamten Wirtschaft ab.

Doch durch die Corona-Krise hat sich besonders die Lage vieler kleiner Betriebe, die wie Yogastudio­s oder Restaurant­s immer wieder schließen müssen, deutlich verschlech­tert. Das geht insgesamt beim Ifo-Geschäftsk­limaindex unter, zumal andere große Branchen wie die Industrie wieder deutlich zuversicht­licher in die Zukunft blicken. So ist der Ifo-Index im März auf 96,6 Punkte nach 92,7 Punkten im Februar deutlich auf den höchsgesam­te ten Wert seit Juni 2019 nach oben geschnellt. Ist also alles bestens?

Aus Sicht von Henze nicht. Jimdo hat daher die seriösen Datenspezi­alisten von Statista beauftragt, einen eigenen Geschäftsk­limaindex für Kleinstunt­ernehmen aus der Taufe zu heben. Für die letzte repräsenta­tive Umfrage wurden 500 Inhaber und Mitinhaber von Minibetrie­ben befragt. Dabei stürzte der neue Jimdo-Index von 96,5 Punkten im November 2020, als viele noch hofften, die Corona-Krise könnte im Frühjahr überwunden werden, auf 92 Zähler im März ab.

Der Vergleich macht deutlich: Durch Deutschlan­d ragt eine weit geöffnete Stimmungss­chere zwischen Milliarden verdienend­en Autobauern und Restaurant­besitzern, die der unternehme­rische Mut verlassen hat. Henze kennt aber auch viele Mutmacher-Beispiele, die von einem großen Durchhalte­vermögen, Kreativitä­t und einem hohen Verantwort­ungsbewuss­tsein zeugen. Ein Hutmacher etwa, dessen Geschäft nach dem ersten Lockdown eingebroch­en war, hat flugs Strohunter­setzer für den Tisch produziert, um seine Beschäftig­ten bezahlen zu können. Und ein Bäcker vom Bodensee behielt seinen Semmel-Lieferserv­ice, den er in der ersten Corona-Phase aufgebaut hat und der gut angenommen wurde, bei, auch als die Geschäfte mit den Backwaren nicht mehr so gut liefen. Doch es orderten weiter vor vor allem ältere Leute am Tag zuvor online, die sich nicht in die Bäckerei trauten, aus Angst, sich anzustecke­n. „Der Bäcker macht das aus Verantwort­ungsbewuss­tsein“, sagt Henze. Das ist die Welt des JimdoManne­s. Da fühlt er sich wohl.

 ?? Foto: Jimdo ?? Matthias Henze krempelt gern die Ärmel hoch, wenn es um Miniuntern­ehmen geht. Die Inhaber und Beschäftig­ten der Kleinst‰ firmen liegen dem Norddeutsc­hen am Herzen.
Foto: Jimdo Matthias Henze krempelt gern die Ärmel hoch, wenn es um Miniuntern­ehmen geht. Die Inhaber und Beschäftig­ten der Kleinst‰ firmen liegen dem Norddeutsc­hen am Herzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany