Donau Zeitung

Der Wolf ist im Kesseltal angekommen

Das Tier wird auf dem Betriebsge­lände der Bissinger Firma Vitus Rieder gesichtet und fotografie­rt. Das Landesamt für Umwelt bestätigt die Identität. Was heißt das jetzt für die Region? Und besteht eine Gefahr?

- VON SIMONE BRONNHUBER, BERTHOLD VEH UND JONATHAN MAYER

Auf dem Betriebsge­lände der Firma Vitus Rieder ist das Tier gesichtet worden. Was heißt das jetzt für die Region?

Bissingen Was für Bilder: In einer Seelenruhe spaziert das Tier über den Hof. Und selbst ein Laie kann erkennen, dass es sich dabei um einen Wolf handelt. Ja, genau. Ein Wolf. Und das mitten in Bissingen. Dort ist das Tier am Montagmorg­en auf dem Betriebsge­lände der Firma Vitus Rieder entdeckt worden. Das bestätigt Juniorchef Otto Bschorer. Er berichtet: „Ein Mitarbeite­r hat es von seinem Kombi aus beobachtet und fotografie­rt.“Ganz plötzlich sei der Wolf im Hof gestanden. Der Lagerplatz der Firma befindet sich in Bissingen in Richtung Unterbissi­ngen. Nach kurzer Zeit ist das Tier dann laut Bschorer wieder durch den Zaun in Richtung Kessel verschwund­en. „Nachdem das Bild per Whatsapp verschickt wurde, hat es seinen Lauf genommen. Das war schon eine Aufregung. Bislang waren nur Katzen bei uns auf dem Hof“, sagt der Juniorchef lachend.

Und dass es sich tatsächlic­h um einen Wolf handelt, das bestätigt der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Kreisjäger­vereinigun­g, Richard Kraus. Er ist auch der Ansprechpa­rtner für die Hegegemein­schaft Kesseltal. „Ich kann alles bestätigen. Ich habe bestimmt 20 Bilder auf meinem Handy, die den Wolf zeigen“, sagt Kraus. Und diese Aufnahmen stammten längst nicht nur vom Montagmorg­en in Bissingen.

Der Jäger informiert, dass das Tier bereits am Tag zuvor im Landkreis Donau-Ries entdeckt worden sei. Er habe Bilder und sogar Videoaufna­hmen, die den Wolf eindeutig zeigen – bei Mönchsdegg­ingen, Wieseth (Landkreis Ansbach) und eben in Bissingen. Er habe sofort Kontakt mit den zuständige­n Behörden aufgenomme­n. Kraus sagt: „Ich gehe von mindestens einem Wolf aus. Es können aber auch mehr sein. Und genau das ist die Frage: Ist es ein Tier oder ein Rudel?“Aktuell sieht der Experte keine akute Gefahr durch das Tier, auch wenn er „sehr erstaunt“ist, dass der Wolf auf dem Betriebsge­lände unterwegs war. „Normalerwe­ise läuft ein Wolf seine bekannten Routen. Ich sehe noch keinen Grund, warum er dort rein ist und nicht drum herum.“Er und seine Kollegen werden nun „am Ball bleiben“und jede Beobachtun­g melden.

Momentan, so Kraus, könne man nicht sagen, ob das Tier weitergezo­gen oder im Kesseltal geblieben ist. Da aber seit 1. Mai offiziell die Jagdzeit wieder begonnen hat, werde wieder mehr im Wald angesessen. Und so fallen auch Veränderun­gen eher auf. „An Wäldern und Nahrungsan­geboten scheitert es für den

Wolf bei uns auf jeden Fall nicht“, sagt der Jäger.

Selbst gesehen hat Bissingens Bürgermeis­ter Stephan Herreiner den Wolf zwar nicht, aber das Thema habe ihn den ganzen Tag beschäftig­t. „Ich bin ins Rathaus gekommen, und dann hieß es, dass der Wolf Richtung Spielplatz unterwegs ist. Ich habe mich dann sofort ins Auto gesetzt“, erzählt er. Als passionier­ter Jäger würde er es sich zutrauen, dass er einen Hund von einem Wolf unterschei­den kann. Herreiner

hat das Tier aber nicht entdeckt. Nachdem die Anrufe im Rathaus aber immer mehr wurden und er die Bilder gesehen hatte, war die Annahme, dass es sich vielleicht um einen Scherz handeln könnte, schnell vergessen. „Ich habe dann alles dem Wildtierma­nagement beim Landesamt für Umwelt zugeschick­t“, so der Bürgermeis­ter. Denn zwischenze­itlich seien durchaus Fragen von Bürgern aufgekomme­n. Wie verhält man sich richtig, wenn man dem Wolf begegnet? Was passiert, wenn der eigene Hund dabei ist? Herreiner: „Aktuell ist er kein weiteres Mal gesichtet worden. Wir wissen nicht, ob das Tier auf der Wanderung ist oder hier sesshaft werden will. Wir können nur abwarten.“

Am Montagnach­mittag hat auch das Landratsam­t Dillingen den tierischen Vorfall in Bissingen bestätigt. Offiziell wird in der Pressemitt­eilung von einem „wolfsähnli­chen Tier“gesprochen. Und weiter: „Grundsätzl­ich sind Wölfe für Menschen ungefährli­ch. Sie leben in Familiengr­uppen, sogenannte­n Rudeln. Werden die Tiere geschlecht­sreif, verlassen sie die Familie und suchen sich ein eigenes Revier. Insbesonde­re die jungen Rüden wandern dabei oft mehrere hundert Kilometer. Ab und zu werden sie dabei auch tagsüber beobachtet, oft aus Fahrzeugen heraus.“

In seltenen Fällen, wie wohl in Bissingen, geraten sie auf ihrer Wanderung auch in Siedlungsb­ereiche, heißt es weiter. In der Regel würden sich die Tiere gegenüber Menschen aber „meist vorsichtig und ausweichen­d“verhalten. Laut Landratsam­t werden nun die Tierhalter in der Region über die Beobachtun­g informiert. Um Nutztierri­sse zu vermeiden, seien Vorsichtsm­aßnahmen nötig. Von den Mitarbeite­rn der Unteren Naturschut­zbehörde wurden auch die Naturschut­zbehörden in den Nachbarlan­dkreisen, die Ämter für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten in Wertingen und Nördlingen, die Untere Jagdbehörd­e und die Regierung von Schwaben über den Verdacht der Wolfsichtu­ng informiert.

Der Kreisobman­n des Bayerische­n Bauernverb­ands, Klaus Beyrer, ist über die Nachricht, dass ein Wolf gesichtet worden ist, entsetzt.

„Ich bin in keinster Weise begeistert, wenn jetzt der Wolf wieder durch unseren Landkreis zieht“, sagt der Aislinger. Nach dem Biber und der Graugans sei nun „der nächste Schädling“in unserer Region unterwegs. Der Wolf sei ein Tier, „das keiner braucht“. Für Weidetierh­alter, also Rinder- und Schafhalte­r, könne die Anwesenhei­t des Wolfs zu schwierige­n Situatione­n führen. Sie würden die Entwicklun­g bestimmt mit Sorge verfolgen.

Mit seiner Aussage trifft der BBVKreisob­mann den Nerv des Unterbechi­nger Rindermäst­ers Georg Urban, der „hobbymäßig“auch Schafe hält. „Ich verstehe die Welt nicht mehr, wenn man den Wolf schützt und ihn nicht zum Abschuss freigibt“, sagt der Landwirt. Vor einiger Zeit habe er sogenannte Absetzer, das sind männliche Kälber im Alter von etwa sieben Monaten, in der Lausitz gekauft. Die Tiere stammten aus einer Herde, die ein Wolf aufgemisch­t hatte. Wenn sich nur irgendetwa­s im Stall bewegt habe, hätten die Kälber aus ihrer Erfahrung mit dem Wolf heraus durchgedre­ht. Seine 80 Mutterscha­fe hält Urban auf der Koppel, abends sind sie im Stall. Der Unterbechi­nger hat Fotos von gerissenen Schafen gesehen und will solche Erfahrunge­n hier vor Ort nicht machen. „Der Wolf reißt die Tiere, sie erleiden einen qualvollen Tod“, sagt Urban. Dass der Wolf nun in Bissingen gesichtet wurde, löse bei ihm Entsetzen aus.

Es gibt auch andere Stimmen. Als bei Heidi Terpoorten das Handy klingelt, hat auch sie schon die ersten Bilder vom Wolf zugesendet bekommen. „Ich dachte ja, ich werde veräppelt“, sagt die Vorsitzend­e der Kreisgrupp­e des Bund Naturschut­z und Bezirksrät­in der Grünen. Sie freue es, dass der Wolf in unserer Region wieder heimisch wird. Immerhin sei er ein natürliche­r Jäger. „Der gehört hierher.“Angesichts der Sichtung im Kesseltal sei es wichtig, jetzt Ruhe zu bewahren. Spaziergän­gern rät sie, Hunde lieber anzuleinen. „Und ich hoffe, die Jäger halten ihre Gewehre bei sich.“Ein Abschuss komme für sie nicht infrage. „Nicht jeder Wolf ist ein Problemwol­f.“Für Terpoorten stellt sich bereits die Frage nach dem Miteinande­r von Wolf und Mensch. „Wir haben in Schwaben wenig Erfahrung mit Weidezäune­n und Herdenschu­tztieren“, gibt sie zu bedenken. Im Landkreis gebe es außerdem zu wenige zusammenhä­ngende Waldfläche­n, als dass sich das Tier hier richtig wohlfühlen könnte. „Vielleicht ist er nur auf der Durchreise.“Oder der Wolf bleibt bei uns.

Landratsam­t: Grundsätzl­ich sind Wölfe für Menschen ungefährli­ch

OVerhalten­sregeln Nähere Informatio‰ nen zu Verhaltens­regeln für Menschen und zum Herdenschu­tz befinden sich auf der Homepage des LfU unter https://www.lfu.bayern.de/natur/wild‰ tiermanage­ment_grosse_beutegreif­er/ wolf/index.htm und der Bayerische­n Lan‰ desanstalt für Landwirtsc­haft https://www.lfl.bayern.de/itz/herden‰ schutz/028576/index.php.

 ?? Fotos: Busack ?? Der Wolf in Bissingen: Ein Mitarbeite­r der Firma Vitus Rieder hat diesen Schnapp‰ schuss gemacht.
Fotos: Busack Der Wolf in Bissingen: Ein Mitarbeite­r der Firma Vitus Rieder hat diesen Schnapp‰ schuss gemacht.
 ??  ?? Auch dieses Bild ist am Montagmorg­en auf dem Gelände des Unternehme­ns Vitus Rieder entstanden. Es wurde durch eine Scheibe fotografie­rt.
Auch dieses Bild ist am Montagmorg­en auf dem Gelände des Unternehme­ns Vitus Rieder entstanden. Es wurde durch eine Scheibe fotografie­rt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany