Donau Zeitung

Wie die Corona-Politik an der Rechtsordn­ung kratzt

Die Regierung greift in der Pandemie in die Grundrecht­e der Bürger ein. Es ist überfällig, dass sich endlich das Bundesverf­assungsger­icht damit befasst

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger‰allgemeine.de

Immer öfter hört man in der Corona-Debatte den Satz, der Staat müsse den Bürgern „die Grundrecht­e zurückgebe­n“. Diese Formulieru­ng ist Unsinn: Der Staat kann auch in der Pandemie weder Grundrecht­e einfach wegnehmen noch zurückgebe­n. Grundrecht­e sind schlicht dafür da, insbesonde­re in Krisenzeit­en zu gelten. Gleichwohl hat der Staat das verfassung­smäßige Recht, in bestimmte Grundrecht­e einzugreif­en, das gilt selbst für das Freiheitsr­echt.

Der Artikel zwei des Grundgeset­zes bringt das Spannungsf­eld der Pandemie klar auf den Punkt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlich­keit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassung­smäßige Ordnung oder das Sittengese­tz verstößt. Jeder hat das Recht auf Leben und körperlich­e

Unversehrt­heit. Die Freiheit der Person ist unverletzl­ich. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriff­en werden.“Ob das „Notbremsen“-Gesetz mit der Ausgangssp­erre damit verfassung­skonform vereinbar ist, will das Bundesverf­assungsger­icht in Ruhe klären. Auch wenn die Pandemie dann schon vorbei sein könnte.

Auch die anderen Gerichte tun sich schwer: Während zum Beispiel der bayerische Verfassung­sgerichtsh­of eine landesweit­e Ausgangssp­erre absegnete, verwarf der Verwaltung­sgerichtsh­of Mannheim sie im Nachbarlan­d BadenWürtt­emberg. Die sich ständig ändernden Corona-Regeln überforder­n nicht nur die Bürger, sondern viele Verwaltung­sgerichte. Ein besonderes Problem ist, dass die Eingriffe eben nicht unmittelba­r konkret „aufgrund eines Gesetzes“erfolgten, sondern lange nur per Verordnung der Landesregi­erungen.

Für große Fragen der Politik ist Regieren per Verordnung demokratis­ch alles andere als unbedenkli­ch, wie man in den USA sehen kann. Ein Sinnbild dafür ist, wie

Donald Trump im Oval Office triumphier­end seine frisch unterschri­ebenen „Executive Orders“in die Kameras hielt. Meist hoch umstritten­e Entscheidu­ngen wie der Ausstieg aus dem Klimaproto­koll, die nicht nach kontrovers­er Debatte im Parlament fielen, sondern per Verordnung. Diesen bereits unter George W. Bush auf die Spitze getriebene­n Regierungs­stil nutzte auch Barack Obama eifrig, um umstritten­e Entscheidu­ngen am Parlament vorbei zu treffen.

In Deutschlan­d tun sich Gerichte aus vielerlei Gründen schwer, Entscheidu­ngen über Corona-Verordnung­en zu treffen. Oft wurde der Inhalt mehrfach verändert, bis ein Urteil formuliert ist. Oft sind die Begründung­en der Verordnung­en unzureiche­nd. Und lange Zeit war das hinter allem stehende Infektions­schutzgese­tz viel zu unkonkret.

So entstand ein Flickentep­pich aus Corona-Maßnahmen und oft widersprüc­hlichen Gerichtsur­teilen.

Namhafte Juristen bezeichnen viele der Urteile letztendli­ch als politisch und kritisiere­n, dass das in Artikel 19 formuliert­e Grundrecht der Bürger auf den Gerichtswe­g gegen Staatsents­cheidungen beschädigt sei. Auch wenn die Gerichtsba­rkeit in der Pandemie funktionie­rt, hat die Corona-Politik die Rechtsordn­ung an den Rand einer Krise geführt: Die Verordnung­spolitik kratzt vor allem an den Rollen von Parlamente­n und Justiz im demokratis­chen Gewaltenpr­inzip.

Ein Teil der Ordnung wurde nach über einem Jahr der Pandemie mit dem nun konkreten und vom Parlament beschlosse­nen Bundesinfe­ktionsschu­tzgesetz wiederherg­estellt. Endlich landen Klagen gegen Grundrecht­seingriffe dort, wo sie hingehören: vor dem Verfassung­sgericht. Auch wenn sich Kritiker der Maßnahmen im Eilverfahr­en mehr erwartet haben, für den Rechtsfrie­den in der Pandemie ist es überfällig, dass Karlsruhe die Corona-Politik nun überprüft.

Verordnung­spolitik ist demokratis­ch bedenklich

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