Donau Zeitung

Die unfreiwill­ige Rückkehr der Klimakanzl­erin

Getrieben vom Bundesverf­assungsger­icht legt die Große Koalition beim Umweltschu­tz nach. Dazu will Merkel die große Bühne nutzen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Als Klimakanzl­erin hatte Angela Merkel eigentlich schon abgedankt. Zwar bekannte sie sich in hochfliege­nden Zielen zur Rettung des Planeten, aber in der Regierungs­praxis erreichte die Klimaschut­zpolitik nicht die nötige Flughöhe: Erst 2038 müssen die letzten Kohlekraft­werke vom Netz, und seit Jahren werden viel, weniger Windräder an Land aufgestell­t, als gebraucht werden. Doch kurz vor dem Ende der Ära Merkel streift sich die 66-Jährige das Kostüm der Klimakanzl­erin noch einmal über.

Für das Comeback nutzt sie eine Bühne, die sie selbst gebaut hat. Am Donnerstag wird die CDU-Politikeri­n auf dem internatio­nalen Petersberg­er Klimadialo­g sprechen, den sie 2010 ins Leben rief. Aufmerksam­keit ist garantiert, weil sich auch UNO-Generalsek­retär Antonio Guterres und der britische Premier Boris Johnson angekündig­t haben.

Die Gespräche laufen bereits auf der Fachebene, und die, die dicht dran sind, erwarten zwei Dinge: Merkel wird ärmeren Ländern mehr Geld aus Deutschlan­d zusagen, um die Folgen der Erderwärmu­ng wie Dürren, Überschwem­mungen und schlechte Ernten besser verkraften zu können. Und sie wird bekannt geben, dass sich Deutschlan­d in den letzten Zügen ihrer Kanzlersch­aft wieder zum Musterschü­ler im Klimaschut­z aufschwing­t.

Die SPD wollte ihr den großen Aufschlag nicht alleine überlassen und präsentier­te am Mittwoch schon mal eigene Eckpunkte, die sich aber mit den Vorstellun­gen aus Merkels Lager weitgehend decken. „Nun hat das Bundesverf­assungsger­icht einen neuen Schub möglich gemacht“, sagte SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz. Damit legte er den Finger in die Wunde: Die Kanzlerin hat den Klimaschut­z nicht aus freien Stücken neu entdeckt.

Das Verfassung­sgericht hat sie durch sein wegweisend­es Urteil zum bestehende­n Klimageset­z dazu gedrängt. Weil der Wahlkampf begonnen hat und die Grünen in Umfragen CDU und CSU hinter sich lassen, ist die juristisch­e Schlappe am Ende eine Chance, wieder Boden gutzumache­n. Und Merkel ist entschloss­en, sie zu ergreifen. In der Bundestags­fraktion der Union wird intensiv an der konsequent­en Senkung des Kohlendiox­idausstoße­s gearbeitet. Bis 2045 – so die Zielstellu­ng – soll Deutschlan­d klimaneutr­al sein. Das heißt, die Industrien­ation soll dann unter dem Strich kein CO2 mehr in die Atmosphäre schicken. Das wäre fünf Jahre eher als bisher angestrebt. In Bayern will Ministerpr­äsident Markus Söder das sogar schon 2040 erreichen. Dafür werden Schritte diskutiert, die bis vor kurzem in der Union noch undenkbar waren. So soll die seit Jahresbegi­nn gültige CO2-Steuer angehoben werden. Schon nächstes Jahr soll der Ausstoß einer Tonne CO2, die beim Heizen und Autofahren entsteht, 45 Euro kosten. Derzeit kostet sie 25 Euro. Damit würden zwei Zwischensc­hritte entfallen.

Ziel ist es, die Leute dazu zu bewegen, sich eine neue Heizung einbauen zu lassen oder ein Elektroaut­o anzuschaff­en. Die Einnahmen aus der Abgabe sollen die Steuerzahl­er zurückbeko­mmen, indem die Ökostromum­lage schrittwei­se abgeschaff­t und die Stromsteue­r gesenkt werden.

Zudem liegt als Vorschlag auf dem Tisch, alle öffentlich­en Gebäude mit einer Solaranlag­e auszustatt­en und ab 2035 keine Neuwagen mehr mit Benzin- oder Dieselmoto­r zuzulassen. Die Autos sollen entweder von einem Akku, durch Wasserstof­f oder synthetisc­he Kraftstoff­e angetriebe­n werden. „Wir werden das Heft des Handelns in die Hand nehmen“, sagte die Klimaschut­zbeauftrag­te der Unionsfrak­tion Anja Weisgerber unserer Redaktion. Damit die Bürger den tief greifenden

Umbau von Wirtschaft und Gesellscha­ft mitmachen, dürften sie finanziell nicht überforder­t werden. „Für uns steht die Akzeptanz der Menschen im Mittelpunk­t“, meinte Weisgerber (CSU).

Um vor dem Verfassung­sgericht nicht ein zweites Mal zu verlieren, sollen konkrete Wegmarken gesetzt werden. Im Jahr 2030 wird nach den Überlegung­en die „doppelte 65“gelten. 65 Prozent Anteil von Windkraft, Solarenerg­ie und Biomasse an der Stromerzeu­gung und 65 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zum Basisjahr 1990. Das sind zehn Prozentpun­kte mehr als bisher.

Dass strengere Klimaschut­zvorgaben bei CDU und CSU nun mehrheitsf­ähig sind, liegt nicht nur an Verfassung­srichtern und dem Hoch der Grünen. Mit Georg Nüßlein und Joachim Pfeiffer haben zwei Energiepol­itiker

keinen Einfluss mehr. Nüßlein stürzte über die Maskenaffä­re, Pfeiffer zieht sich nach Veröffentl­ichungen über seine Nebentätig­keiten nach der Wahl aus dem Bundestag zurück. Schon nächste Woche soll das nachgeschä­rfte Klimaschut­zgesetz im Kabinett beschlosse­n werden. Rasch auf das Urteil aus Karlsruhe zu reagieren, „steht uns gut an“, sagte Merkel laut Teilnehmer­n in der Fraktion. Beim Koalitions­partner SPD rennt sie damit offene Türen ein. Die Genossen wollten schon 2019 den CO2-Ausstoß stärker senken, blieben aber am Widerstand der Union hängen. Die Sozialdemo­kraten werden darauf achten, dass die Belastunge­n sozial abgefedert werden und Mieter nicht etwa die Solaranlag­e von Vermietern finanziere­n.

Die Grünen betrachten den neuen Ehrgeiz der Regierende­n beim Kampf gegen die Erderwärmu­ng interessie­rt. Offen ist die Folge bei der Wahl: Die Grünen setzen darauf, dass die Wähler beim Original ihr Kreuz machen und halten die neuen Ansätze bei Union und SPD für Anfänge. „Erfolgreic­her Klimaschut­z fängt nicht irgendwann später an, sondern jetzt und sofort“, sagte die klimapolit­ische Sprecherin Lisa Badum unserer Redaktion. Sie fordert einen Kohleausst­ieg bis 2030, die Entfesselu­ng erneuerbar­er Energien und einen gerecht verteilten CO2-Preis von 60 Euro ab 2023.

Deutschlan­d müsse die ärmeren Länder mit mindestens acht Milliarden Euro unterstütz­en, um Klimawande­lfolgen zu lindern. „Deutschlan­d trägt dabei als großes Industriel­and historisch­e Verantwort­ung“, erklärte Badum. Wie bisher aus den Fachgesprä­chen des Petersberg­er Dialogs zu hören ist, will die Kanzlerin sechs Milliarden verspreche­n.

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Foto: Tobias Schwarz, dpa „Wir werden alles daransetze­n, bereits 2045 das Ziel der Klimaneutr­alität zu erreichen“, sagt Merkel. Bislang war die Klimaneu‰ tralität erst für das Jahr 2050 angepeilt worden.

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