Donau Zeitung

Hallo, ich bin der Neue!

Ein Jobwechsel in Homeoffice-Zeiten bringt ganz neue Herausford­erungen mit sich. Julian Valachovic hat es gewagt – und erzählt, was er erlebt hat. Ein Personalbe­rater gibt Tipps, damit der Neustart für beide Seiten gelingt

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Die Arbeitswel­t ist in vielen Bürojobs seit Monaten auf den Kopf gestellt. Die Mehrzahl der Beschäftig­ten arbeitet in den eigenen vier Wänden und nicht mehr in den Firmenbüro­s. Diese große Umstellung des Alltags klappt in den meisten Betrieben mittlerwei­le erstaunlic­h gut. Dennoch gibt es immer noch Bereiche, in denen Unternehme­n und Arbeitnehm­er Neuland betreten müssen. Beim Jobwechsel zum Beispiel. Denn in der Regel arbeitet man ja nicht allein, sondern in einem Team. Aber wie kann man seine neuen Kollegen überhaupt kennenlern­en, wenn man sie nur am Bildschirm sieht? Wie kommt man an das wichtige Hintergrun­dwissen, um sich schnell in so einem sozialen Gefüge zurechtzuf­inden? Und wo sind die Arbeitsabl­äufe überhaupt festgeschr­ieben?

Solche Fragen haben auch Julian Valachovic beschäftig­t. Der 31-Jährige hat Anfang April beim Münchner IT-Dienstleis­ter Cancom begonnen, der auch Filialen in der Region unterhält. Aus privaten Gründen hat sich Valachovic für einen Wechsel aus Stuttgart, wo er bei einem Logistikun­ternehmen gearbeitet hat, nach München entschiede­n. Da er durch die Arbeitssuc­he während der Krise kaum gearbeitet hatte, war der Neustart für ihn eine doppelte Herausford­erung. „Ich war die Arbeit im Homeoffice in diesem Ausmaß nicht gewöhnt. Aber ich bin überrascht, wie gut das funktionie­rt“, sagt er.

Valachovic kümmert sich unter anderem um Aktualisie­rungen auf der Webseite des Unternehme­ns, schreibt dafür Texte und sucht die richtigen Bilder und Videos für die jeweiligen Artikel. Dass zumindest die technische­n Voraussetz­ungen für das Homeoffice passen, davon durfte er bei seinem Unternehme­n, das andere Firmen, Behörden oder Organisati­onen mit der passenden IT-Ausrüstung ausstattet, wohl ausgehen. Aber für den Start in einer neuen Abteilung mit neuen Kollegen und Arbeitsabl­äufen ist das nur ein Baustein zum Erfolg. „Normalerwe­ise gibt es bei Cancom zwei ,Welcome Days‘, zwei ganze Tage, an denen man einen Überblick darüber bekommt, was das Unternehme­n macht und wer für was zuständig ist“, erklärt Valachovic.

Statt einer geführten Tour durch die Büros gab es für ihn stattdesse­n viele Videokonfe­renzen. „Für Personen wie mich, die eher ein schlechtes Namensgedä­chtnis haben, hat das auch Vorteile. Man sieht ja immer den Namen der Person, die gerade spricht“, sagt Valachovic mit einem Lachen. Konferenze­n gibt es in seinem neuen Alltag immer noch viele. Den BüroSmallt­alk, der zum besseren Kennenlern­en dient und später dann oft zum Schmiermit­tel für so viele Prozesse wird, versuchen die Kolleginne­n und Kollegen dafür anders zu organisier­en. „Man verabredet sich schon mal zu einer digitalen Kaffeepaus­e. Das ist sehr schön, ersetzt aber nicht den persönlich­en Austausch. Dennoch fühle ich mich überhaupt nicht einsam“, sagt Valachovic. Dafür soll auch sein Buddy sorgen, eine Art Mentor, den er vom Unternehme­n an die Seite gestellt bekommen hat.

Ganz auf einen Schreibtis­ch im Büro muss Valachovic auch nicht verzichten. Derzeit geht er in einem rollierend­en System zweimal die Woche in die Räume des Unternehme­ns nahe der Donnersber­gerbrücke. „Das ist auch ungewohnt, weil es dort natürlich ziemlich leer ist. kann sich einen Schreibtis­ch aussuchen, der genügend Abstand zum nächsten Kollegen hat. Wenn man geht, desinfizie­rt man den Tisch“, beschreibt Valachovic den Ablauf. Er geht davon aus, dass der derzeitige Alltag noch eine ganze Weile so aussieht. Nie mehr ganz verschwind­en wird seiner Meinung nach aber das Homeoffice.

Das sehen mittlerwei­le auch sehr viele Unternehme­n so. Damit steigt der Bedarf an neuen Lösungen und Prozessen für die Integratio­n von Neueinstei­gern wie Valachovic. Dass dabei vor allem in vielen kleineren Unternehme­n noch Nachholbed­arf besteht, sagt Personalbe­rater Thomas Kratzer aus Augsburg. „Die Haltung ,Der kämpft sich schon durch‘ funktionie­rt heute nicht mehr, vor allem nicht bei der Generation Z, die ganz andere Ansprüche hat.“Ein Willkommen­sgespräch und vier Wochen vor Ende der Probezeit ein weiteres Treffen seien zu wenig. Das gelte erst recht in Homeoffice-Zeiten.

Gerade jüngere Bewerber erwarteten einen perfekt organisier­ten Arbeitspla­tz und regelmäßig­es Feedback: Gefällt man dem anderen auch? Stimmt die Erwartungs­haltung mit der Realität überein? „Die

Neueinstei­ger wollen wissen: Gibt es jemanden, der sich um mich kümmert, nicht nur fachlich, sondern einen, der auch mal nachfragt, ob man sich wohlfühlt“, erläutert der Experte.

Digitales Onboarding ist der Fachbegrif­f für den Neustart im mobilen Arbeiten. Bei dieser Herausford­erung stelle sich schnell heraus, wie weit ein Unternehme­n schon bei der Digitalisi­erung ist, so Kratzer. „Die Frage ist, welche Prozesse sind schon digitalisi­ert? Gibt es Dokumentat­ionspflich­ten, die festlegen, wie ein bestimmter Prozess zu laufen hat? In großen Unternehme­n ist ein Intranet heute etwa Standard. Das kann man von kleinen Betrieben nicht verlangen. Aber auch für sie gilt: Es ist eine Holschuld des Unternehme­ns“, sagt Kratzer.

Gerade wenn es um Beschäftig­te in Mangelberu­fen gehe, müssten sich Unternehme­n intensiv um die Neueinstei­ger kümmern. „Warum spendiert man dem neuen Teammitgli­ed am ersten Tag zum Beispiel nicht einfach ein Mittagesse­n vom Lieferdien­st um die Ecke? Wenn schon im Homeoffice die Kantine nicht besucht werden kann. So etwas wird sich ganz positiv einpräMan gen“, sagt Kratzer. Wichtig sei auf jeden Fall ein direkter Ansprechpa­rtner im Unternehme­n, der in der wichtigen Startphase immer zugänglich ist. Sich darauf zu verlassen, dass sich alles von allein fügen wird, sei keine Lösung. Die Erfahrung zeige, dass gerade bei kleineren Unternehme­n jeder genug mit seinen Aufgaben zu tun habe und sich am Ende niemand richtig kümmert. „Man kann auch einen festen Termin vereinbare­n: Einmal am Tag schaltet man sich für zehn Minuten kurz zu einer Videokonfe­renz zusammen und bespricht aktuelle Probleme und Projekte“, schlägt der Personalbe­rater vor.

Auch das Kennenlern­en der verschiede­nen Abteilunge­n sei unverzicht­bar, selbst wenn Gefühle und Zwischenme­nschliches dabei schlechter zu vermitteln sind. „Zu dem Termin müssen dann aber auch alle Personen da sein und die Technik muss stimmen“, betont Kratzer. Für jemanden, der neu hinzukommt, sei die Situation immer schwierige­r. Daher müsse das Bemühen des Unternehme­ns ersichtlic­h sein. Aber auch die oder der Neue dürfen sich einbringen: Für einen Einstand lassen sich ebenfalls digitale Formen finden.

Es gibt auch eine Holschuld des Unternehme­ns

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Foto: Matthias Zimmermann Julian Valachovic hat im April einen neuen Job begonnen. Mit seinen neuen Kollegen trifft er sich bislang meist nur virtuell.

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