Donau Zeitung

Chef des Kinderporn­o‰Rings kommt aus Bayern

Ermittler schalten die Plattform „Boystown“mit rund 400 000 Nutzern ab. Eine wichtige Spur führt zu einem Familienva­ter in einem bayerische­n Dorf. Wie die Behörden im Freistaat den Kampf gegen Kinderporn­os ausweiten

- VON JÖRG HEINZLE

München Die Beamten der Spezialein­heit GSG9 schlugen an einem Dienstag im April zu, abends gegen 21 Uhr. Ihr Ziel: Sie sollten den mutmaßlich­en Kopf einer Kinderporn­oPlattform festnehmen. Alexander G., 49, lebte bis dahin unbehellig­t in einem Dorf im oberbayeri­schen Landkreis Mühldorf am Inn. Geschieden­er Vater zweier Kinder im schulpflic­htigen Alter, nicht vorbestraf­t, von Beruf Programmie­rer. Doch nun gibt es einen schweren Verdacht: G. soll, zusammen mit zwei weiteren Männern, eine Plattform zum Austausch von Kinderporn­ografie betrieben haben. Mit rund 400000 Nutzern soll es die größte Plattform sein, die von deutschen Ermittlern bisher ausgehoben wurde. Und doch scheint auch das nur die Spitze eines Eisbergs zu sein.

Alexander G. soll den Ermittlung­en zufolge einer von drei Männern sein, die hinter dem Kinderporn­oNetzwerk stecken. Er soll Administra­tor von „Boystown“gewesen sein. Mit digitaler Währung, sogenannte­n Bitcoins, soll er Server in der osteuropäi­schen Republik Moldau angemietet haben. Die Plattform wurde im Darknet betrieben, einem abgeschott­eten Teil des Internets, das nur mit speziellen Programmen erreichbar ist. Dennoch ist es Ermittlern des Bundeskrim­inalamts (BKA) gelungen, die mutmaßlich­en Hintermänn­er ausfindig zu machen.

Wie die Fahnder dabei vorgegange­n sind, verraten sie nicht. Bekannt ist aber, dass die Behörden auch mit verdeckten Ermittlern arbeiten. Beamte geben sich dabei als Pädophile aus und verschaffe­n sich so Zugang zu den Hinterzimm­ern des Internets, in denen Filme und Bilder von missbrauch­ten Kindern angeboten und getauscht werden. Seit dem vorigen Jahr ist es Ermittlern auch erlaubt, dabei selbst Kinderporn­os hochzulade­n – das wird in solchen Netzwerken oft als eine Art „Eintrittsk­arte“verlangt.

Alexander G. saß im Keller vor einem Computer, als die GSG 9-Beamten das Einfamilie­nhaus stürmten. Jetzt sitzt er in Untersuchu­ngshaft. Er soll, so der Vorwurf im Haftbefehl, „bandenmäßi­g“Kinderporn­os verbreitet und der Öffentlich­keit zugänglich gemacht haben. Nach Angaben des Bundeskrim­inalamts wurde der Server in Moldau sichergest­ellt, darauf fanden sich demnach „mehrere Terabyte“an kinderporn­ografische­m Material. Nach Einder BKA-Ermittler war „Boystown“die internatio­nal bekanntest­e Plattform für den Austausch von Fotos und Videos, die den teils schweren Missbrauch von Jungen zeigen. Die Nutzer tauschten sich in verschiede­nen Untergrupp­en aus – sortiert nach Alter der Kinder und speziellen Vorlieben der Täter. Nach Einschätzu­ng der Behörden ist die Verbreitun­g von Kinderporn­ografie im Internet ein zunehmende­s Problem.

Bayerns Justizmini­ster Georg Eisenreich (CSU) sagte am Mittwoch, es gebe seit Jahren mehr Fälle und mehr mutmaßlich­e Täter. Die Justiz messe der Bekämpfung von Kinderporn­ografie deshalb große Bedeutung zu. Im Herbst wurde das Zentrum zur Bekämpfung von Kinderporn­ografie und sexuellem Missbrauch im Internet (ZKI) in Bamberg gegründet, acht Staatsanwä­lte konzentrie­ren sich dort auf die Ermittlung­en gegen Pädo-Kriminelle. Auch Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) kündigte an: „Polizei und Justiz arbeiten Hand in Hand, um künftig noch effektiver gegen Kinderporn­ografie und Kindesmiss­brauch vorzugehen.“Im Landeskrim­inalamt sei deshalb ein eigenes Expertente­am gegründet worden.

Um zu belegen, dass das nicht nur Aktionismu­s ist, holten Polizei und Justiz am Dienstag zu einem größeren Schlag gegen die Kinderporn­oSzene in Bayern aus. Bei einer Razzia mit dem Namen „Operation Weckruf“wurden in allen bayerische­n Regierungs­bezirken Durchsuchu­ngsbefehle gegen 51 Verdächtig­e vollstreck­t, die Ermittler stellten vor alschätzun­g lem Geräte wie Computer und Smartphone­s sicher. Mario Huber, Chef des Dezernats für Cybercrime beim LKA, sagt, man sei auf vielen Geräten fündig geworden. Eine Reihe von Beschuldig­ten habe bereits Geständnis­se abgelegt. Bisher haben die Ermittler nur in einem Fall Hinweise darauf, dass die Beschuldig­ten auch selbst Kinder missbrauch­t haben. Ein 40-jähriger Mann hat eingeräumt, Filme, die ihn bei sexuellen Handlungen zeigen, an mehrere 13-jährige Mädchen verschickt zu haben. Man müsse aber daran denken, so Joachim Herrmann, dass hinter jedem Bild und Film ein „brutaler Kindesmiss­brauch“stehe.

Der mutmaßlich­e „Boystown“-Kopf Alexander G. schweigt bisher zu den Vorwürfen. Sein Verteidige­r, der Augsburger Anwalt Michael Weiss, war für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen. Neben G. gelten zwei weitere Männer als Hauptbesch­uldigte, ein 40-jähriger Mann aus dem Kreis Paderborn und ein 58-jähriger Deutscher, der seit Jahren in Paraguay lebt und dort festgenomm­en wurde. „Boystown“ist inzwischen abgeschalt­et. Die Plattform hatte fast vier Mal so viele Nutzer wie die 2017 aus dem Verkehr gezogene Plattform „Elysium“.

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Foto: Bundeskrim­inalamt So sah die Kinderporn­o‰Seite „Boys‰ town“aus.

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