Donau Zeitung

USA zweifeln an der deutschen Verlässlic­hkeit

Hintergrun­d

- VON KARL DOEMENS UND KATRIN PRIBYL

Berlin/Brüssel/Washington Alle sieben Tage testet die New York Times mit einem Quiz das aktuelle Nachrichte­nwissen ihrer Leser. Über welchen Regierungs­chef Präsident Joe Biden sage, dass er die USA und die Nato „so hart wie möglich“auf die Probe stelle, wollte die Zeitung am Wochenende wissen. Unter den möglichen Antworten fand sich neben den Präsidente­n des Irans, Russlands und Chinas ein überrasche­nder Name: Bundeskanz­ler Olaf Scholz.

Auch wenn es sich bei dem PolitRätse­l um einen sarkastisc­hen Scherz handeln dürfte, drückt die Verortung des Kanzlers in einer Reihe mit den mächtigste­n Demokratie­feinden der Welt überspitzt ein wachsendes Befremden in Washington über die Sonderroll­e Deutschlan­ds in der Ukraine-Krise aus. Das Zögern Berlins in der Sanktionsf­rage, die Verweigeru­ng von direkten Waffenlief­erungen an die Ukraine und die mögliche Blockade selbst indirekter Militärhil­fe durch Estland werden in der amerikanis­chen Hauptstadt genau registrier­t. Die russlandfr­eundlichen Äußerungen des inzwischen zurückgetr­etenen Marine-Inspekteur­s Kay-Achim Schönbach scheinen in das Bild zu passen. „Is Germany a Reliable American Ally?“, stellte das konservati­ve Wall Street Journal am Montag die deutsche Bündnistre­ue mit einer fünfspalti­gen Überschrif­t infrage – ist Deutschlan­d ein verlässlic­her Partner? Die Antwort gab die Redaktion auf Deutsch: „Nein!“

Als US-Außenminis­ter Antony Blinken am Sonntag bei „Meet the Press“, dem wohl bekanntest­en amerikanis­chen TV-Polit-Magazin beim liberalen Sender NBC, zu Gast war, kam Moderator Chuck Todd schnell auf den „Problembär“der westlichen Allianz zu sprechen. „Deutschlan­d ist der Stolperste­in für eine gemeinsame harte Antwort an Putin“, sagte der Journalist. Der oberste Diplomat der USA zögerte kurz, bevor er widersprac­h: „Das ist nicht meine Einschätzu­ng.“Deutschlan­d teile die amerikanis­chen Sorgen und die Entschloss­enheit für eine robuste Reaktion im

Das Säbelrasse­ln zwischen dem Westen und Russland wird im Ukraine-Konflikt immer lauter. Amerika will tausende Soldaten entsenden – und blickt fragend in Richtung Berlin.

Falle einer russischen Invasion in der Ukraine, sagte Blinken: „Daran habe ich keinen Zweifel.“

Das ist die offizielle Linie. Doch sie verdeckt kaum die Differenze­n zwischen Washington und Berlin bei Waffenlief­erungen und Sanktionen. Unfreiwill­ig hatte Präsident Biden diese öffentlich gemacht, als er auf seiner Pressekonf­erenz in der vorigen Woche Diskussion­sbedarf der Verbündete­n bei einem „geringfügi­gen Eindringen“Russlands in die Ukraine einräumte. Dass Kanzler Scholz die umstritten­e Ostseepipe­line Nord Stream 2 vor Weihnachte­n zum „privatwirt­schaftlich­en Vorhaben“erklärte, ist parteiüber­greifend in Washington mit Befremden aufgenomme­n worden.

Doch auch die deutsche Ablehnung von Waffenhilf­e für die Ukraine stößt bei Demokraten wie Republikan­ern auf Kritik. Am Abend gab das Weiße Haus bekannt, dass Scholz im Februar zum Antrittsbe­such nach Washington kommen soll. Schon am späten Montagaben­d wollten sich die USA auf höchster Ebene mit Deutschlan­d und den anderen europäisch­en Verbündete­n

über das weitere Vorgehen im Ukraine-Konflikt abstimmen. An der Videoschal­te sollte neben USPräsiden­t Joe Biden auch Scholz teilnehmen. Der Kanzler schloss zuvor nicht aus, dass Deutschlan­d die Ukraine im Rahmen der Europäisch­en Union zumindest bei der Militäraus­bildung unterstütz­t. „Die einzige Sache, die wir immer klar gesagt haben, so wie auch die frühere Bundesregi­erung, ist: Wir liefern keine letalen Waffen“, sagte der SPD-Politiker.

„Jemand muss mir die Ethik hinter der Verweigeru­ng von Militärhil­fe für die Ukraine zum derzeitige­n Zeitpunkt erklären“, twitterte der Stanford-Professor Michael McFaul, einer der führenden amerikanis­chen Russland-Experten und frühere Russland-Botschafte­r unter Ex-Präsident Barack Obama: „Ich verstehe ehrlich nicht die moralische Position einiger Verbündete­r.“Der Russland-Hardliner Paul Massaro von der Helsinki-Menschenre­chtskommis­sion des Kongresses formuliert schärfer: „Deutschlan­ds Kriegsschu­ld wird immer vorgebrach­t, wenn man aus anderen

Gründen nichts unternehme­n will.“Für Deutschlan­d seien „günstiges Gas, Auto-Exporte nach China und die Beruhigung von Herrn Putin wichtiger als gemeinsame demokratis­che Solidaritä­t“, moniert auch der konservati­ve Publizist Tom Rogan in seinem eingangs zitierten Gastbeitra­g für das Wall Street Journal.

Bei dem Besuch einer Gruppe demokratis­cher und republikan­ischer US-Senatoren in der Ukraine in der vergangene­n Woche ging es nicht zuletzt um Nord Stream-Sanktionen. Der moderate republikan­ische Senator Rob Portman forderte Deutschlan­d in Kiew auf, die Pipeline aufzugeben. Zwar hat Präsident Biden einen Senatsbesc­hluss, der sofortige Sanktionen gegen das Projekt verhängt hätte, mit dem Hinweis auf ein drohendes deutschame­rikanische­s Zerwürfnis gerade noch verhindert. Doch der demokratis­che Senator Bob Menendez arbeitet derzeit mit Hochdruck an einem neuen Beschluss, der harte Sanktionen gegen die Pipeline, russische Politiker und das Bankensyst­em Russlands für den Fall einer Invasion vorsieht.

In Berlin scheint die Botschaft anzukommen. Annalena Baerbock schaffte es, allein in den ersten Sätzen fünf Mal das Wort „gemeinsam“unterzubri­ngen, als sie am Montag kurz nach ihrer Ankunft in Brüssel die Presse auf den Tag einstimmte. Die Botschaft, die von dem EU-Außenminis­ter-Treffen ausgehen sollte, war klar: Die europäisch­en Partner wollten angesichts des Konflikts mit Russland Einigkeit demonstrie­ren. Man setze weiterhin auf Diplomatie, betonte der EUAußenbea­uftragte Josep Borrell dann am Abend. Doch sollte diese scheitern, „sind wir bei der Vorbereitu­ng unserer Antwort auf eine mögliche Aggression Russlands sehr weit fortgeschr­itten“, warnte der Spanier. Man werde „schnell und entschloss­en“handeln. Insbesonde­re auf Druck der osteuropäi­schen Länder hin koordinier­ten die Minister schärfere Sanktionen. Wen die Maßnahmen konkret treffen könnten, wurde nicht bekannt. Es gehöre zur Strategie, so hieß es aus Diplomaten­kreisen, Moskau im Unklaren darüber zu lassen, womit es genau zu rechnen habe.

Die Grenzen der Eintracht waren erreicht bei der Frage, wie weit die Maßnahmen gehen sollen. Offenbar nicht so weit, dass man mit den Sanktionen auch Europa und damit sich selbst trifft, was etwa passieren würde, würde man Russland vom internatio­nalen Zahlungssy­stem Swift ausschließ­en. Insbesonde­re die Bundesrepu­blik würde das schmerzen. Grünen-Politikeri­n Baerbock versuchte den Spagat und meinte, am Ende sei „der härteste Knüppel nicht immer das intelligen­teste Schwert“. Man müsse Finanzmaßn­ahmen so überprüfen, „dass sie die größte Wirkung entfalten“. Insgesamt gehe es ihr darum, „alle Maßnahmen zu ergreifen, dass wir deeskalier­en, dass wir den Dialog fortsetzen können“. Ihr litauische­r Amtskolleg­e Gabrielius Landsbergi­s zeigte sich wenig optimistis­ch. „Wir

Videoschal­te mit Scholz und Biden am späten Abend

Die Nato stockt ihre Truppen im Osten auf

sind davon überzeugt, dass ein echter Krieg von hoher Wahrschein­lichkeit ist.“

In der gemeinsam verabschie­deten Erklärung drohten die EU-Minister erneut mit Vergeltung, sollte der Kreml seine Truppen ins Nachbarlan­d einmarschi­eren lassen. Jede weitere militärisc­he Aggression gegen die Ukraine werde „massive Konsequenz­en und hohe Kosten“nach sich ziehen.

Die Nato bestätigte unterdesse­n Überlegung­en der USA zu einer Truppenauf­stockung in Bündnissta­aten in Osteuropa. Zudem schicken mehrere Mitgliedst­aaten Schiffe und Militärflu­gzeuge in Richtung Osten. So entsendet Dänemark den Angaben zufolge eine Fregatte in die Ostsee und vier F-16-Kampfflugz­euge nach Litauen. Spanien stellt Schiffe für die Nato-Seestreitk­räfte bereit und erwägt die Entsendung von Kampfjets nach Bulgarien. Frankreich habe sich bereit erklärt, Truppen unter Nato-Führung nach Rumänien zu entsenden. Die Niederland­e schickten zudem ab April zwei F-35-Kampfflugz­euge nach Bulgarien und versetzten ein Schiff und landgestüt­zte Einheiten für die Nato-Eingreiftr­uppe NRF in Bereitscha­ft. Einem Bericht der New York Times zufolge erwägt auch USPräsiden­t Biden, Kriegsschi­ffe und Flugzeuge zu Nato-Verbündete­n im Baltikum und in Osteuropa zu verlegen sowie mehrere tausend USSoldaten zu entsenden.

 ?? Foto: Efrem Lukatsky, dpa ?? Freiwillig­e ukrainisch­e Kämpfer bereiten sich auf ihren Einsatz vor. Im Ukraine‰Konflikt nehmen die Spannungen zwischen Russland und dem Westen mit Nato, USA und EU weiter massiv zu. Deutschlan­d wird vor allem von den Amerikaner­n stark kritisiert.
Foto: Efrem Lukatsky, dpa Freiwillig­e ukrainisch­e Kämpfer bereiten sich auf ihren Einsatz vor. Im Ukraine‰Konflikt nehmen die Spannungen zwischen Russland und dem Westen mit Nato, USA und EU weiter massiv zu. Deutschlan­d wird vor allem von den Amerikaner­n stark kritisiert.

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