Die deutschen Ideenjäger im Silicon Valley
Ideen BMW, Daimler und Co wollen nicht enden wie Nokia und den nächsten großen Technologietrend verschlafen. Deswegen sind Leute wie Kasper Sage für die Autoriesen in Kalifornien auf der Suche nach den spannendsten Start-ups.
München Seit einigen Jahren machen sich die Bosse deutscher Autokonzerne locker. Sie verzichten nämlich auf den Schlips. Sie verwenden viele englische Begriffe und verordnen ihren Konzernen, so zu sein, als wären sie junge Gründungen und keine Traditionsunternehmen. Weil ein offener Hemdkragen und englische Begriffe aus Daimler, VW oder BMW natürlich keine Start-ups machen, brauchen die Chefs Leute wie Kasper Sage. Seit fünf Jahren ist der 39-Jährige das Auge der Münchner im Silicon Valley in Kalifornien, die dort mit ihrer kleinen Beteiligungsgesellschaft iVentures bereits doppelt so lange aktiv sind.
Unter der kalifornischen Sonne sitzen die Technologie-Giganten Apple, Google und Facebook, und in deren Orbit versuchen junge Gründerinnen und Gründer, mit ihrer Geschäftsidee das nächste große Ding zu landen – the next big thing. Im Valley kommt die Mischung aus Gründergeist, Lockerheit, technischem Verstand und Unmengen von Kapital zusammen, die es kein zweites Mal gibt. Sage soll dafür sorgen, dass BMW nichts durchrutscht und von einer Entwicklung überrascht wird, so wie einst Nokia vom Handy-Display überrollt wurde, auf man wischen und drücken kann. „Wir können hier vor Ort Technologietrends und Entwicklungen früh erkennen und gut beobachten, wie sich der Markt entwickelt“, sagt Sage, der aus der idyllischen Stadt Mountainview zugeschaltet ist. Er und seine 14 Leute grasen die Szene in Amerika ab – nicht nur in Kalifornien. Sie recherchieren auch, wo andere bereits investiert haben. Interessant ist alles, was irgendwie mit dem Bereich Verkehr zu tun hat. „Das kann zum Beispiel ein Unternehmen sein, das pflanzliche Alternativen zum Leder für Autositze entwickelt. Oder eine Firma, die CO2-frei Stahl für die Karosserien von Autos produziert“, sagt der Ideenjäger. Die großen Trends sind derzeit das selbstfahrende Auto, leistungsfähige Akkus und Nachhaltigkeit.
Damit er mitspielen kann, gibt ihm BMW Geld in die Hand, insgesamt sind es 800 Millionen Euro, die der Finanzvorstand in den zehn Jahren genehmigt hat. Wo sie investiert werden, entscheiden Sage und sein Team. In der Regel kaufen sie Minderheitenanteile bis zu 20 Prozent. Deals sind sehr schnelldrehend, da geht es eher um Tage denn um Wochen“, erzählt Sage. Er muss flink sein. Immer mehr Risiko-Kapital sucht in Zeiten niedriger Zinsen nach Anlagen mit der Chance auf hohe Rendite.
Mit den 800 Millionen gehört BMW nicht zu den Zwergen, aber auch nicht zu den Platzhirschen. In der Zentrale in Bayern wissen sie, dass sie in den Konzernstrukturen zu langsam wären für die schnellen Deals. Zweimal im Jahr lässt sich der Vorstand Bericht erstatten, was die Investitionen bringen. „Wenn ein Start-up wächst und sich so der Wert der Beteiligung erhöht, ist das auch für uns einträglich“, sagt BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter. Beim Börsengang des Ladenetzbetreibers Chargepoint konnte BMW laut Peters seinen Einsatz verzehnfachen.
Für den Autoexperten Stefan Bratzel ist es keine Frage des Wollens, dass BMW und die beiden Konkurrenten Daimler und VW an die Westküste der USA gehen. „Allein mit den bewährten Zulieferern aus Deutschland und Europa geht es nicht“, meint Bratzel. Der Direktor des Center of Automotive Management sieht noch einen zweiten Grund für das Engagement. „Für die deutschen Hersteller ist es unbedem dingt notwendig. Sie müssen Wertschöpfung selbst realisieren, statt mehr an die Zulieferer abzugeben.“Die konkrete Praxis im Valley ist aber vielschichtig. Es gibt sogar gemeinsame Kooperationen und Investments mit großen Zulieferern wie Bosch.
Einen anderen Ansatz als BMW geht der Rivale aus Stuttgart. Dort liegt die Priorität nicht auf Beteiligung, sondern auf Kooperation. Vor fünf Jahren hat Daimler die Startup-Autobahn gebaut. Unternehmer können auf dieser Online-Plattform dem Konzern ihre Idee präsentie„Die ren, der Autohersteller schaut sie sich an. Philipp Gneiting ist der Kapitän einer Mannschaft von Scouts, die wie im Fußball junge Talente sichten. Lohnt es sich, ist Potenzial da, kann daraus etwas werden? „Bildlich gesprochen schauen wir uns morgens Talente aus dem Handball an und am Nachmittag aus dem Fußball“, erzählt der 40-Jährige. Daimler hat so nach eigenen Zahlen über 5000 Kennenlerngespräche geführt, aus denen sich 380 Pilotprojekte ergeben haben.
Über drei Monate wird geschaut, ob ein neues Teil, ein Fertigungsverfahren oder ein Programm für die Elektronik im Cockpit passen könnte. Die Schwierigkeit: Ein junges Unternehmen muss beweisen, dass sein Produkt nicht nur maßgeschneidert funktioniert, sondern im Millionenmaßstab der Autoproduktion. Gneiting war bis zum Ausbruch der Pandemie häufig in Kalifornien, ist jetzt aber ins Homeoffice und in sein Büro am Stammsitz gezwungen. Er konzentriert sich beim Perlentauchen nicht nur auf das Valley, sondern blickt auch nach Indien und China. „Wenn ich heute auf der Suche nach Technologie sein will, muss ich das weltweit tun“, sagt der 40-Jährige. Aus den über 5000 Kontakten sind bis heute 29 feste Partnerschaften geworden.
Riesige Mengen an Kapital suchen einen Hafen