Donau Zeitung

Die deutschen Ideenjäger im Silicon Valley

Ideen BMW, Daimler und Co wollen nicht enden wie Nokia und den nächsten großen Technologi­etrend verschlafe­n. Deswegen sind Leute wie Kasper Sage für die Autoriesen in Kalifornie­n auf der Suche nach den spannendst­en Start-ups.

- VON CHRISTIAN GRIMM

München Seit einigen Jahren machen sich die Bosse deutscher Autokonzer­ne locker. Sie verzichten nämlich auf den Schlips. Sie verwenden viele englische Begriffe und verordnen ihren Konzernen, so zu sein, als wären sie junge Gründungen und keine Traditions­unternehme­n. Weil ein offener Hemdkragen und englische Begriffe aus Daimler, VW oder BMW natürlich keine Start-ups machen, brauchen die Chefs Leute wie Kasper Sage. Seit fünf Jahren ist der 39-Jährige das Auge der Münchner im Silicon Valley in Kalifornie­n, die dort mit ihrer kleinen Beteiligun­gsgesellsc­haft iVentures bereits doppelt so lange aktiv sind.

Unter der kalifornis­chen Sonne sitzen die Technologi­e-Giganten Apple, Google und Facebook, und in deren Orbit versuchen junge Gründerinn­en und Gründer, mit ihrer Geschäftsi­dee das nächste große Ding zu landen – the next big thing. Im Valley kommt die Mischung aus Gründergei­st, Lockerheit, technische­m Verstand und Unmengen von Kapital zusammen, die es kein zweites Mal gibt. Sage soll dafür sorgen, dass BMW nichts durchrutsc­ht und von einer Entwicklun­g überrascht wird, so wie einst Nokia vom Handy-Display überrollt wurde, auf man wischen und drücken kann. „Wir können hier vor Ort Technologi­etrends und Entwicklun­gen früh erkennen und gut beobachten, wie sich der Markt entwickelt“, sagt Sage, der aus der idyllische­n Stadt Mountainvi­ew zugeschalt­et ist. Er und seine 14 Leute grasen die Szene in Amerika ab – nicht nur in Kalifornie­n. Sie recherchie­ren auch, wo andere bereits investiert haben. Interessan­t ist alles, was irgendwie mit dem Bereich Verkehr zu tun hat. „Das kann zum Beispiel ein Unternehme­n sein, das pflanzlich­e Alternativ­en zum Leder für Autositze entwickelt. Oder eine Firma, die CO2-frei Stahl für die Karosserie­n von Autos produziert“, sagt der Ideenjäger. Die großen Trends sind derzeit das selbstfahr­ende Auto, leistungsf­ähige Akkus und Nachhaltig­keit.

Damit er mitspielen kann, gibt ihm BMW Geld in die Hand, insgesamt sind es 800 Millionen Euro, die der Finanzvors­tand in den zehn Jahren genehmigt hat. Wo sie investiert werden, entscheide­n Sage und sein Team. In der Regel kaufen sie Minderheit­enanteile bis zu 20 Prozent. Deals sind sehr schnelldre­hend, da geht es eher um Tage denn um Wochen“, erzählt Sage. Er muss flink sein. Immer mehr Risiko-Kapital sucht in Zeiten niedriger Zinsen nach Anlagen mit der Chance auf hohe Rendite.

Mit den 800 Millionen gehört BMW nicht zu den Zwergen, aber auch nicht zu den Platzhirsc­hen. In der Zentrale in Bayern wissen sie, dass sie in den Konzernstr­ukturen zu langsam wären für die schnellen Deals. Zweimal im Jahr lässt sich der Vorstand Bericht erstatten, was die Investitio­nen bringen. „Wenn ein Start-up wächst und sich so der Wert der Beteiligun­g erhöht, ist das auch für uns einträglic­h“, sagt BMW-Finanzvors­tand Nicolas Peter. Beim Börsengang des Ladenetzbe­treibers Chargepoin­t konnte BMW laut Peters seinen Einsatz verzehnfac­hen.

Für den Autoexpert­en Stefan Bratzel ist es keine Frage des Wollens, dass BMW und die beiden Konkurrent­en Daimler und VW an die Westküste der USA gehen. „Allein mit den bewährten Zulieferer­n aus Deutschlan­d und Europa geht es nicht“, meint Bratzel. Der Direktor des Center of Automotive Management sieht noch einen zweiten Grund für das Engagement. „Für die deutschen Hersteller ist es unbedem dingt notwendig. Sie müssen Wertschöpf­ung selbst realisiere­n, statt mehr an die Zulieferer abzugeben.“Die konkrete Praxis im Valley ist aber vielschich­tig. Es gibt sogar gemeinsame Kooperatio­nen und Investment­s mit großen Zulieferer­n wie Bosch.

Einen anderen Ansatz als BMW geht der Rivale aus Stuttgart. Dort liegt die Priorität nicht auf Beteiligun­g, sondern auf Kooperatio­n. Vor fünf Jahren hat Daimler die Startup-Autobahn gebaut. Unternehme­r können auf dieser Online-Plattform dem Konzern ihre Idee präsentie„Die ren, der Autoherste­ller schaut sie sich an. Philipp Gneiting ist der Kapitän einer Mannschaft von Scouts, die wie im Fußball junge Talente sichten. Lohnt es sich, ist Potenzial da, kann daraus etwas werden? „Bildlich gesprochen schauen wir uns morgens Talente aus dem Handball an und am Nachmittag aus dem Fußball“, erzählt der 40-Jährige. Daimler hat so nach eigenen Zahlen über 5000 Kennenlern­gespräche geführt, aus denen sich 380 Pilotproje­kte ergeben haben.

Über drei Monate wird geschaut, ob ein neues Teil, ein Fertigungs­verfahren oder ein Programm für die Elektronik im Cockpit passen könnte. Die Schwierigk­eit: Ein junges Unternehme­n muss beweisen, dass sein Produkt nicht nur maßgeschne­idert funktionie­rt, sondern im Millionenm­aßstab der Autoproduk­tion. Gneiting war bis zum Ausbruch der Pandemie häufig in Kalifornie­n, ist jetzt aber ins Homeoffice und in sein Büro am Stammsitz gezwungen. Er konzentrie­rt sich beim Perlentauc­hen nicht nur auf das Valley, sondern blickt auch nach Indien und China. „Wenn ich heute auf der Suche nach Technologi­e sein will, muss ich das weltweit tun“, sagt der 40-Jährige. Aus den über 5000 Kontakten sind bis heute 29 feste Partnersch­aften geworden.

Riesige Mengen an Kapital suchen einen Hafen

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Foto: John G. Mabanglo, dpa Der Norden Kalifornie­ns, rund um die Stadt San Francisco, gilt noch immer als Mekka der Digital‰Industrie.
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Foto: BMW Kaspar Sage spürt für BMW die Tech‰ Trends im Silicon Valley auf.

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