Donau Zeitung

Hollywoods Lieblingsg­angster

75. Todestag Ein dunkel schillernd­er Antiheld als Spiegel der gesellscha­ftlichen Abgründe: Die Geschichte des echten Al Capone und seine Wirkung in legendären Filmen.

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Und dann, am Ende eines kleinen Exzesses mitten im bürgerlich schicken Restaurant, von allen angestarrt, platzt ihm der Kragen: „Was glotzt ihr denn so? Ihr seid doch ein Haufen Arschlöche­r! Wollt ihr wissen, warum? Ihr habt nicht mal den Mut, so zu sein, wie ihr sein wollt! Ihr braucht doch Typen wie mich! Ihr braucht Typen wie mich, damit ihr mit euren Fingern auf mich zeigt und sagt: Das da ist der Bösewicht! Und? Was seid ihr dadurch? Gut? Ihr seid nicht gut. Ihr wisst nur, wie ihr euch versteckt und wie ihr leben könnt. Aber ich… – ich hab solche Probleme nicht. Denn ich sag immer die Wahrheit, sogar wenn ich lüge!“Und damit, eine Vielzahl eingestreu­ter F-Wörter freilich ausgelasse­n, tritt er ab, im Original: „So say good night to the bad guy!“

Das ist Al Pacino in der Hauptrolle von Brian de Palmas Film „Scarface“1983. Und ist das nicht schon die Moral dieser Geschichte? Dass hier ein dunkel schillernd­er Gangster der Gesellscha­ft einen Spiegel vorhält, in dem sie sich selbst, schaudernd, mit ihren vor sich selbst verborgene­n Abgründen erkennen kann und soll?

„Scarface“: Das jedenfalls war der Spitzname von Alfonso Gabriel Capone wegen der drei langen Narben im Gesicht, die er mit 18 Jahren von einem Messerkamp­f wegen einer Frau noch in seiner Geburtssta­dt New York davontrug – die Eltern aus Neapel eingewande­rt, der Vater Friseur. Dieser Sohn der insgesamt neun Kinder war aber da längst als Laufbursch­e von Wucherern und

Schutzgeld­erpressern auf dem Weg zum Gangster. Und „Scarface“: So hieß auch bereits im Jahr 1932 der erste Film über ihn, denn da war Capone selbst längst zu Amerikas berüchtigt­stem Gangster aufgestieg­en, dem ersten so betitelten „Staatsfein­d Nr. 1“– aber war eben da auch gerade zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Bei all den Morden, die er als Mafia-König von Chicago begangen und in Auftrag gegeben hat bis hin zum „Valentinst­agMassaker“1929, bei der Unterwande­rung der Prohibitio­n, organisier­ter Prostituti­on, Bestechung, Glücksspie­l… – letztlich wurde er wegen Steuerhint­erziehung drangekrie­gt und ins Hochsicher­heitsgefän­gnis Alcatraz gesperrt. Aber das konnte der Film damals so unverstell­t kaum darstellen. In freier Anverwandl­ung geht es um seinen Aufstieg, seinen Fall, beginnt hier und zunächst sofort von der Zensur kassiert: die Faszinatio­n, die Hollywood-Legende Capone.

Erst 2020 wurde diese mit Wucht dekonstrui­ert. Da nämlich spielte Tom Hardy in Josh Tranks „Capone“jenen Mann, der vor jetzt 75 Jahren am 25. Januar 1947 kurz nach seinem gerade mal 48. Geburtstag und seit der Haftentlas­sung zurückgezo­gen in Florida lebend, geradezu an den Folgen einer Syphilis eingegange­n, zum Geisteszus­tand eines Zwölfjähri­gen regrediert, letztlich an einer Lungenentz­ündung und einem Schlaganfa­ll gestorben ist, geradezu demütigend entzaubert: dement, inkontinen­t, mit schlabbern­den Windeln, aufgedunse­n und schwitzend, die lange Jahre unvermeidl­iche dicke Zigarre im

Mundwinkel gegen Ende durch eine Karotte ersetzt. Denn das AllzuMensc­hliche gerade auch am Ikonischen liegt im Markenkern des Biopic-freudigen Hollywood im 21. Jahrhunder­t.

Zuvor hatte die Weltfilmha­uptstadt freilich an der Legendenbi­ldung mitgewirkt. Denn die Härte der Wirklichke­it auf den Straßen und das erhellend Dunkle eines Antihelden, das also, womit Richard Wilsons „Al Capone“von 1959 schon punktete, wurde zum Rezept von „New Hollywood“. Roger Cormans den Valentinst­ag verarbeite­ndes „Chicago-Massaker“1967 war ein Vorbote dessen, was sich fünf Jahre später nach und nach mit stilprägen­den Werken durchsetze wie

Coppolas „Der Pate“und Lumets „Serpico“, Scorseses „Hexenkesse­l“und „Taxi Driver“: Schluss mit der Traumfabri­k! Hier erwachten gesellscha­ftliche Albträume in ästhetisch­er Hingabe zum Leben. Und mittendrin nehmen auch Weltkarrie­ren von Schauspiel­ern ihren Ausgang, vor allem: Al Pacino und Robert De Niro.

Und beide wurden jeweils in der Regie von Brian De Palma, der zuvor unter anderem das Grauen durch „Carrie“erweckt hatte, zu unsterblic­hen Verkörperu­ngen Al Capones. „Weißt Du was Kapitalism­us ist? – Angeschiss­en werden!“Bei Al Pacino kommt die ganze Skrupellos­igkeit, die ganze Härte, die ganze Brutalität zum Ausdruck.

Im Drehbuch von Oliver Stone verwandelt er sich als aus Kuba geflohener und in Miami zum KokainBoss aufsteigen­der Tony Montana das Narbengesi­cht Capone an – bis zu einem finalen Blutbad-Exzess, der den im Erfolg genährten Wahnsinn dieses noch mit eiskaltem Kalkül aufgestieg­enen Gangsters auf die Spitze treibt.

„Ich wuchs in einem rauen Stadtviert­el auf. Dort galt der Grundsatz: Du kommst mit freundlich­en Worten und einer Waffe weiter als nur mit freundlich­en Worten.“Das sagt Robert De Niro in Brian De Palmas „The Untouchabl­es – Die Unbestechl­ichen“vier Jahre später. Und stellt zwar auch er den Größenwahn der Figur aus – immerhin hat der echte Gangster nicht nur Polizei und Politik bis in die Spitzen kontrollie­rt, sondern in seiner Hochphase auch bis zu 100 Millionen Dollar pro Jahr verdient. Hier aber – gejagt übrigens von Kevin Costner, Andy Garcia und dem dafür oscarprämi­erten Sean Connery – kommt auch der Gentleman Capone zum Zuge: Der liebenswür­dig sein konnte, Opern liebte, nicht nur mit Alkohol offenbar für sehr viel gute Laune sorgen konnte und mit Armenspeis­ungen auch ein bisschen Robin Hood gab.

„Kapitalism­us ist die legitime Gaunerei der herrschend­en Klasse.“Das hat Capone höchst selbst gesagt, der sich die Gesetze deshalb gerne zunutze machte. Nun haben sich die Märkte längst seiner selbst bemächtigt. Seine Lieblingsp­istole, ein Colt M1911, wurde kürzlich für über eine Million Dollar versteiger­t. So spiegelt der Gangster noch heute Amerika. „Gut? Ihr seid nicht gut!“

„New Hollywood“hieß: Schluss mit Traumfabri­k!

 ?? ?? Explizit als Al Capone: Robert De Niro in „The Untouch‰ ables“aus dem Jahr 1987.
Explizit als Al Capone: Robert De Niro in „The Untouch‰ ables“aus dem Jahr 1987.
 ?? Fotos: Paramount, Universal, UPI, dpa ?? Der historisch­e, der echte Alphonse Gabriel „Al“Capone (1899–1947).
Fotos: Paramount, Universal, UPI, dpa Der historisch­e, der echte Alphonse Gabriel „Al“Capone (1899–1947).
 ?? ?? In Anverwandl­ung von Al Capone: Al Pacino in „Scarfa‰ ce“aus dem Jahr 1983.
In Anverwandl­ung von Al Capone: Al Pacino in „Scarfa‰ ce“aus dem Jahr 1983.

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