Donau Zeitung

Die Ruhe in Person

Handball Mit der deutschen Nationalma­nnschaft ist Alfred Gislason in der EM-Hauptrunde ausgeschie­den. Als Bundestrai­ner hat der Isländer einen erstaunlic­hen Wandel durchgemac­ht.

- VON MARC STEVERMÜER

Bratislava Alfred Gislason gilt seit jeher nicht als ein Mann, der schnell in Hektik verfällt. Im Gegenteil: Er ist meistens die Ruhe in Person, die einen kühlen Kopf bewahrt. So wie jemand, der bei einem kleinen Zimmerbran­d nicht gleich in Panik verfällt, sondern erst lehrbuchmä­ßig den Notruf wählt und dann noch nach einem Feuerlösch­er sucht. Vielleicht lässt sich die Sache ja auch selbst erledigen. Es verwundert daher auch nicht, dass der Trainer der deutschen Handball-Nationalma­nnschaft in diesen Tagen bei der Europameis­terschaft eine große Gelassenhe­it ausstrahlt und stets seine gewohnte Pose mit den verschränk­ten Armen vor der Brust einnimmt, die vor allem eines demonstrie­rt: Ich habe alles unter Kontrolle.

Seine Spieler schätzen diese Art. Vor allem die vielen jungen und unerfahren­en Kräfte saugen das umfassende Wissen des Isländers wie ein Schwamm auf. Mehr noch: Sie sind ihm dankbar, dass er ihnen bei dieser EM eine Welt gezeigt hat, die sie bislang nicht kannten. Und in die sie unbedingt zurückkehr­en wollen, wenn dieses Turnier für die deutsche Mannschaft am Dienstag gegen Russland (18 Uhr) beendet ist. Gislason sorgt für Aufbruchst­immung. Er gibt der Jugend eine echte Chance. Selbst in extrem kritischen Situatione­n. Was sich zunächst einmal ein wenig seltsam anhört. Denn das hatten ihm nicht viele zugetraut. Weil man genau das von ihm bislang nicht kannte.

„Ohne Alfred würde ich nicht so viel spielen“, sagt Julian Köster. Der 21-Jährige vom Zweitligis­ten VfL Gummersbac­h stand in bislang fünf EM-Partien fast drei Stunden auf dem Feld, in denen er ganz oft überzeugte – aber auch nicht alles richtig machte. Doch Gislason ist das vollkommen egal, er nimmt das in Kauf: „Julian wird davon lernen.“Und profitiere­n.

In seiner erfolgreic­hen Zeit beim Bundesligi­sten THW Kiel wirkte Gislason oft verkniffen, ja sogar ungesund ehrgeizig. Als es bei den Norddeutsc­hen zwischen 2016 und 2019 einen Umbruch mit jüngeren

gab, hatte er damit seine Probleme. Der Trainer war das einfach nicht mehr gewohnt. Denn zuvor hatten es immer die Stars gerichtet. Gislason war an der Ostsee jahrelang als Moderator eines Weltklasse-Ensembles, nicht aber als Entwickler gefragt. Doch genau so lautet nun seit einigen Monaten der Arbeitsauf­trag bei der Auswahl des Deutschen Handballbu­ndes (DHB).

Vor knapp zwei Jahren trat der Isländer seinen Dienst beim DHB an, mit der erfahrenen Riege um Uwe Gensheimer und Steffen Weinhold nahm er bei den Olympische­n Spielen im vergangene­n Sommer noch einmal einen erfolglose­n Anlauf in Richtung Medaille. Danach folgte der personelle Umbruch mit jungen Kräften, den Gislason seitdem glaubhaft und voller Überzeu

gung umsetzt. Wenn man so will, hat er sich auf seine alten Trainertag­e noch einmal ganz neu erfunden. Es fällt ihm plötzlich deutlich leichter, Niederlage­n zu akzeptiere­n. Er knurrt nicht mehr, lässt seine Mannschaft Fehler machen, akzeptiert Rückschläg­e.

Zwei Spieler, die das richtig einschätze­n können, sind Patrick Wiencek und Rune Dahmke. Jahrelang erlebten sie tagtäglich beim THW Kiel einen anderen, weil strengeren Gislason. Kreisläufe­r Wiencek spricht von einem „deutlich ruhigeren“Bundestrai­ner. Und von einem Mann, der seinen „Umgang mit jungen Leuten verändert“habe – „und zwar im positiven Sinne. Es ist sehr angenehm, mit ihm zu arbeiten.“

Für einen Perfektion­isten wie Gislason muss dieser Wandel unKräften

heimlich schwierig gewesen sein. Doch er hat die Umstände akzeptiert und weiß, dass er mit dieser Mannschaft erst am Anfang eines Weges steht. „Auf lange Sicht ist das ein sehr, sehr tolles Turnier für uns“, sagt Gislason, der sich als Isländer extrem mit der deutschen Mannschaft identifizi­ert. Der Bundestrai­ner singt vor den Spielen die Nationalhy­mne mit, nach seiner Vertragsve­rlängerung wird er das auch noch bis zur Heim-EM 2024 tun.

Dann muss die DHB-Auswahl um Medaillen spielen – und dabei soll diese EM helfen. „Viele unerfahren­e Spieler haben sehr wertvolle Erfahrunge­n gesammelt – auch wegen ihrer Fehler.“Die müssen abgestellt werden. Dass Gislason nicht in Hektik verfällt, könnte dabei helfen.

 ?? Foto: Marijan Murat, dpa ?? Gewohnte Pose: Mit verschränk­ten Armen beobachtet Alfred Gislason das Treiben seiner Spieler auf dem Feld. Der Bundestrai­ner soll aus der deutschen Nationalma­nnschaft wieder ein Weltklasse‰Team formen.
Foto: Marijan Murat, dpa Gewohnte Pose: Mit verschränk­ten Armen beobachtet Alfred Gislason das Treiben seiner Spieler auf dem Feld. Der Bundestrai­ner soll aus der deutschen Nationalma­nnschaft wieder ein Weltklasse‰Team formen.

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