Die Aktie des kleinen Mannes
Erbe Briefmarken zu sammeln, war früher ein Hobby sowie eine Wertanlage. Heute ist es eine eingestaubte Leidenschaft, die wenige im Kreis Dillingen teilen. Sind die Marken noch etwas wert?
Lauingen/Wertingen Sie sind klein, zieren mit bunten Bildchen den Briefumschlag und bezahlen den Betrag für die Beförderung – die Briefmarken. Von der ersten Marke bis zum QR-Code, den man heute anstatt der Frankierung auf einen Brief kleben kann, sind über 180 Jahre vergangen. Nicht genauso, aber mitunter halb so alt sind die Verehrer des besonderen Papierfetzens: die Briefmarkenliebhaber, auch Philatelisten genannt.
Einer davon ist Werner Bronnhuber aus Lauingen. An seine erste Briefmarke kann sich der Mann mit ergrautem Haar und Schnauzer kaum erinnern. Getauscht hat er sie im Alter von etwa zehn Jahren. „Damals haben die Jungs Fußball gespielt und Briefmarken gesammelt“, sagt der 65-Jährige.
Heute ist Bronnhuber mit seinem Briefmarken- und Münz-Laden „einzigartig im Kreis Dillingen, Günzburg und auch Donau-Ries“, wie er berichtet. Mit Alben voll mit seinen Schätzen zog Bronnhuber vor 40 Jahren in seinen ersten kleinen Laden in der Lauinger Hauptstraße.
Doch die Konkurrenz war damals groß, es gab viele Händler und Vereine voller Sammler. „Vom Lauinger Briefmarkenverein habe ich zügig einen Brief erhalten, dass sie nichts von mir kaufen. Dabei hatte ich mich nicht bei ihnen gemeldet“, erinnert sich Bronnhuber.
Vollzeit seine Leidenschaft zum Beruf zu machen, hat er nie geschafft. Nach seinen Arbeitsschichten als Schlosser ging es für ihn immer in seinen Laden. Seit zwei Jahren ist er nun Rentner und verbringt viel Zeit in seinem Geschäft in der Rosenstraße in Lauingen.
Alben an Alben voller Briefmarken reihen sich dort in den Regalen aneinander. Die Kunden von Bronnhuber sind Sammler und Sammlerinnen aus der Region, die er teilweise seit Jahrzehnten kennt. Freundschaften sind entstanden, es geht nicht nur um die Leidenschaft, sondern ebenfalls um Privates.
Das Interesse für die Marken verbindet auch die Briefmarkenfreunde Wertingen, einen von zwei Vereinen dieser Art im Landkreis Dillingen. 20 Mitglieder gibt es noch 60 Jahre nach dem Entstehen des Vereins. Der Altersdurchschnitt liegt bei 67 Jahren. „Wir haben noch einige aktive Sammler, aber unser Verein hat auch einen sozialen Aspekt“, sagt Daniel Debler, Vorsitzender des Briefmarkenvereins in Wertingen. In den Schränken des 42-Jährigen häufen sich Ordner voller Marken, die er seit Kindertagen sammelt.
Die Briefmarken boomten in den 1960er und 1970er Jahren in der Bevölkerung. Damals hatten Sammler und Sammlerinnen oft ein Abonnement bei der Post und erhielten jedes Vierteljahr neue Marken. Das flutete den Markt. Fachmann Debler erklärt: „Damals sammelten viele. Heute gibt es wiederum weniger Sammler, aber viele Briefmarken aus dieser Zeit.“Damit seien die meisten nicht mehr viel wert.
Doch genau dort liegt heute das Problem. Der Opa oder Vater vererbte meist seine Briefmarkensammlung nach dem Tod. Ihren Enkeln und Kindern sagten sie: „Meine Briefmarken sind eine Geldanlage für die Zukunft.“Damals sprach man von der „Aktie des kleinen Mannes“. Doch das trifft auf die meisten heutzutage nicht mehr zu. Kaum eine Rarität ist in den Alben noch zu finden.
Eine Situation, mit der der Lauinger Händler Werner Bronnhuber oft konfrontiert ist. Seine Briefmarken kauft er von Erbschaften. Personen mit der vererbten Sammlung schauen ebenfalls bei ihm vorbei. Oft sind sie geschockt, dass die geglaubte Wertanlage bei einem Verkauf nicht mehr viel Geld einbringt. „Es gibt Kunden, die hängen vor allem noch emotional an der Sammlung des Partners, andere denken, dass ich sie über den Tisch ziehen möchte“, berichtet der Lauinger. Doch worauf
können Erben achten, wenn sie eine Briefmarkensammlung erhalten? Der Händler rät, einen Spezialisten aufzusuchen, der die Marken beurteilt. Er warnt davor, bestimmte Motive im Internet zu suchen. Nur weil dort ein hoher Preis stehe, gebe es das nicht für die Briefmarke. Abhängig sei das unter anderem von der Art, Nachfrage und der Qualität.
Wer heute Briefmarken sammelt, konzentriert sich auf Spezialgebiete, wie Länder, Blumen oder Dichter. Beliebter sind mittlerweile auch komplette Briefe. Interessant ist dabei die Geschichte hinter dem Stück Papier. In Bronnhubers Laden gibt es etwa einen Brief aus dem Jahr 1938. Darauf klebt eine Marke aus dem Deutschen Reich. Der wurde an eine Wertinger Adresse versendet. Ein anderes Stück in der Sammlung hat einen Stempel, der zeigt, dass das Schreiben mit dem Luftschiff Graf Zeppelin nach England befördert wurde.
Neue Marken hat nach 16 Jahren nun die Post zum Januar 2022 herausgebracht. Die Dauerbriefmarken tragen den Titel „Welt der Briefe“und lösen die Blumen-Reihe ab. Seit Januar kostet der Inlandsversand eines Standardbriefs 85 Cent und damit fünf Cent mehr als bisher. Diese neue Briefmarke ziert eine Origami-Brieftaube.