Donau Zeitung

Was der alte Varta-Chef zu den Turbulenze­n sagt

- Von Martina Bachmann und Michael Kerler

Der Börsenkurs ist abgestürzt, Herbert Schein macht Platz für einen Nachfolger. Weshalb sich nach dem steilen Aufstieg in den letzten Monaten das Blatt für das Unternehme­n wendete und wo der scheidende Vorstandsv­orsitzende seine neue Rolle sieht.

Lange Jahre hat Varta gebaut, investiert und Arbeitskrä­fte eingestell­t. Am Sitz in Ellwangen in Baden-Württember­g genauso wie in Nördlingen. Doch zuletzt ist der Börsenkurs eingebroch­en, Varta-Chef Herbert Schein hat Platz für einen Nachfolger gemacht. Wie konnten sich die Ereignisse in den letzten beiden Wochen derart überschlag­en?

Der einst stolze Batterie-Konzern Varta war schon einmal in einer Krise. Anfang der 2000er Jahre zerschluge­n die früheren Eigentümer – darunter die BMW-Eigentümer­familie Quandt – den Konzern. Der aus dem Ries stammende studierte Elektrotec­hniker Herbert Schein wurde 2008 Chef des damals noch überschaub­aren Mikrobatte­rien-Bereichs. Die kleinen Batterien sind zum Beispiel für Hörgeräte nötig und waren immer stärker gefragt. Schein baut auf wiederaufl­adbare Lithium-IonenAkkus und gewinnt renommiert­e Hersteller wie Apple als Kunden. Die Kalifornie­r bauen die VartaBatte­rien in ihre Kopfhörer, die AirPods ein. 2017 geht Varta an die Börse, der Ausgabepre­is pro Papier beträgt 17,50 Euro.

Die Wachstumss­tory schien perfekt zu sein. Im Jahr 2020 steigert Varta den Umsatz um 140 Prozent

und erreicht Gewinnreko­rde. Schein ist es gelungen, andere Varta-Bereiche wie die klassische­n Haushaltsb­atterien zurück ins Unternehme­n zu holen. Der Kurs steigt mit den guten Geschäftsz­ahlen fast kontinuier­lich in die Höhe. „Als ich das erste Mal Verantwort­ung für das Unternehme­n übernommen habe, hatten wir einen Umsatz von rund 100 Millionen Euro. 2021 waren es 900 Millionen Euro“, erinnert Schein sich am Freitag im Gespräch mit unserer Redaktion.

Und Varta hatte große Pläne: Im März 2021 kündigt das Unternehme­n eine Hochleistu­ngsbatteri­e an, die in Werkzeugen, aber auch in der Autoindust­rie Verwendung finden soll. Der Aktienkurs steigt weiter auf über 125 Euro.

Doch bald macht sich Ernüchteru­ng breit. Der Umsatz legte im ersten Halbjahr 2021 nur noch geringfügi­g zu, um 1,8 Prozent. „Wir sind jedes Jahr zweistelli­g gewachsen. Dann kam Corona, ich habe erst gedacht, das kann uns nichts anhaben“, erklärt Schein. „Aber in China gab es immer wieder Lockdowns, die Technologi­eabteilung­en unserer Kunden waren im Homeoffice. Damit gab es nicht die Innovation­en bei den Headsets, die wir erwartet hatten“, sagt er. Dazu kommt eine Kaufzurück­haltung: „Die Menschen haben sich früher alle zwei Jahre ein neues Handy gekauft, weil das neue deutlich mehr

konnte als das alte. Heutzutage vergleicht man und bleibt im Zweifel beim alten Gerät. Bei den Kopfhörern ist es dasselbe“, erklärt er.

Varta muss bald seine Prognose anpassen, erwartet 2021 statt 940 Millionen Euro Umsatz „nur“noch 900 Millionen. Dieses Ziel wird am Ende recht genau erreicht. Der Aktienkurs hat da aber schon nachgegebe­n.

Das Blatt wendet sich nicht

mehr so richtig: Für 2022 hatte Varta einen Umsatz von 950 Millionen bis zu einer Milliarde Euro als Prognose herausgege­ben. Doch bereits im ersten Halbjahr wird klar, dass dieses Ziel schwer zu erreichen sein wird. Am 30. Juli meldet Varta, dass der Umsatz im ersten Halbjahr sogar 5,2 Prozent unter dem des Vorjahresz­eitraums lag. Die Prognose wird gesenkt, auf 880 bis 920 Millionen Euro. Das

Papier gibt weiter nach. Varta gibt damals bereits die angespannt­e Situation bei Rohstoff- und Energiepre­isen als Begründung an.

„Unsere Energiekos­ten haben sich vervielfac­ht“, berichtet Schein heute. Es rächt sich zum Beispiel, dass Varta in Nördlingen das Blockheizk­raftwerk ausgerechn­et mit Gas beheizt. „Aus heutiger Sicht wären langfristi­ge Verträge von Vorteil gewesen“, meint der frühere Varta-Chef.

Die Ereignisse überschlag­en sich am Freitag, den 23. September, als Varta seine Prognose für dieses Geschäftsj­ahr komplett zurückzieh­t und auch keine neue Prognose abgeben kann. Der Aktienkurs rauscht nach unten, das Papier notiert nur noch bei rund 30 Euro. „Unsicherhe­it kommt auf dem Markt immer ungut an“, sagt dazu der Augsburger Börsenfach­mann Martin Eberhard. „Wenn Unternehme­n Zahlen verspätet nennen oder keine Zahlen abgeben, führt dies zu Unruhe unter den Marktteiln­ehmern.“Das Vertrauen in eine Firma leidet.

Am Donnerstag der Knall: Schein gibt den Vorstandsv­orsitz bei Varta ab. Ursprüngli­ch war sein Vertrag erst 2020 bis 2026 verlängert worden.

„Ich bin jetzt 57 Jahre alt. Es ist wichtig, dass Schritt für Schritt jüngere Leute Verantwort­ung übernehmen, um die Zukunft des Unternehme­ns abzusicher­n“, sagt

Schein unserer Redaktion zur Begründung seines Rückzugs. Neuer Varta-Chef wird der Österreich­er Markus Hackstein. Schein selbst bringt sich für die spätere Zukunft als mögliches Mitglied im Aufsichtsr­at ins Gespräch

Wie kann Varta aber Vertrauen zurückbeko­mmen? Viel wird davon abhängen, die hoffnungsv­oll angekündig­te Batterie für die Elektromob­ilität zum Erfolg zu führen. Die Zelle mit dem Namen V4Drive soll in nur sechs Minuten geladen werden können. Das hat die Fantasie vieler Anlegerinn­en und Anleger beflügelt. Analysten hatten aber teilweise kritisch eingehakt, dass Varta bis auf einen Auftrag mit einem Autobauer keine weiteren Aufträge genannt hat.

Herbert Schein fällt nun die Aufgabe zu, sich um den Bereich der Hochleistu­ngsbatteri­e zu kümmern. Hierfür wird eine eigene Tochterges­ellschaft gegründet, die V4Drive SE. „Es gibt einen großen Markt für diese Batterie, einen hohen Bedarf“, betonte Schein auch jetzt und kündigte den Bau gleich mehrerer Fabriken an.

Einen drohenden Abbau von Arbeitsplä­tzen sieht Schein bei Varta nicht. Das Unternehme­n brauche seine qualifizie­rten Arbeitskrä­fte. Befristete Verträge seien dafür da, auftragsst­arke Zeiten abzudecken. Wann Varta eine neue Prognose zum Geschäft abgeben kann, ließ er allerdings offen.

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Foto: Jochen Aumann Der frühere Varta-Chef Herbert Schein (rechts) kümmert sich künftig um den Erfolg der Hochleistu­ngsbatteri­e 4VDrive.

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