Was der alte Varta-Chef zu den Turbulenzen sagt
Der Börsenkurs ist abgestürzt, Herbert Schein macht Platz für einen Nachfolger. Weshalb sich nach dem steilen Aufstieg in den letzten Monaten das Blatt für das Unternehmen wendete und wo der scheidende Vorstandsvorsitzende seine neue Rolle sieht.
Lange Jahre hat Varta gebaut, investiert und Arbeitskräfte eingestellt. Am Sitz in Ellwangen in Baden-Württemberg genauso wie in Nördlingen. Doch zuletzt ist der Börsenkurs eingebrochen, Varta-Chef Herbert Schein hat Platz für einen Nachfolger gemacht. Wie konnten sich die Ereignisse in den letzten beiden Wochen derart überschlagen?
Der einst stolze Batterie-Konzern Varta war schon einmal in einer Krise. Anfang der 2000er Jahre zerschlugen die früheren Eigentümer – darunter die BMW-Eigentümerfamilie Quandt – den Konzern. Der aus dem Ries stammende studierte Elektrotechniker Herbert Schein wurde 2008 Chef des damals noch überschaubaren Mikrobatterien-Bereichs. Die kleinen Batterien sind zum Beispiel für Hörgeräte nötig und waren immer stärker gefragt. Schein baut auf wiederaufladbare Lithium-IonenAkkus und gewinnt renommierte Hersteller wie Apple als Kunden. Die Kalifornier bauen die VartaBatterien in ihre Kopfhörer, die AirPods ein. 2017 geht Varta an die Börse, der Ausgabepreis pro Papier beträgt 17,50 Euro.
Die Wachstumsstory schien perfekt zu sein. Im Jahr 2020 steigert Varta den Umsatz um 140 Prozent
und erreicht Gewinnrekorde. Schein ist es gelungen, andere Varta-Bereiche wie die klassischen Haushaltsbatterien zurück ins Unternehmen zu holen. Der Kurs steigt mit den guten Geschäftszahlen fast kontinuierlich in die Höhe. „Als ich das erste Mal Verantwortung für das Unternehmen übernommen habe, hatten wir einen Umsatz von rund 100 Millionen Euro. 2021 waren es 900 Millionen Euro“, erinnert Schein sich am Freitag im Gespräch mit unserer Redaktion.
Und Varta hatte große Pläne: Im März 2021 kündigt das Unternehmen eine Hochleistungsbatterie an, die in Werkzeugen, aber auch in der Autoindustrie Verwendung finden soll. Der Aktienkurs steigt weiter auf über 125 Euro.
Doch bald macht sich Ernüchterung breit. Der Umsatz legte im ersten Halbjahr 2021 nur noch geringfügig zu, um 1,8 Prozent. „Wir sind jedes Jahr zweistellig gewachsen. Dann kam Corona, ich habe erst gedacht, das kann uns nichts anhaben“, erklärt Schein. „Aber in China gab es immer wieder Lockdowns, die Technologieabteilungen unserer Kunden waren im Homeoffice. Damit gab es nicht die Innovationen bei den Headsets, die wir erwartet hatten“, sagt er. Dazu kommt eine Kaufzurückhaltung: „Die Menschen haben sich früher alle zwei Jahre ein neues Handy gekauft, weil das neue deutlich mehr
konnte als das alte. Heutzutage vergleicht man und bleibt im Zweifel beim alten Gerät. Bei den Kopfhörern ist es dasselbe“, erklärt er.
Varta muss bald seine Prognose anpassen, erwartet 2021 statt 940 Millionen Euro Umsatz „nur“noch 900 Millionen. Dieses Ziel wird am Ende recht genau erreicht. Der Aktienkurs hat da aber schon nachgegeben.
Das Blatt wendet sich nicht
mehr so richtig: Für 2022 hatte Varta einen Umsatz von 950 Millionen bis zu einer Milliarde Euro als Prognose herausgegeben. Doch bereits im ersten Halbjahr wird klar, dass dieses Ziel schwer zu erreichen sein wird. Am 30. Juli meldet Varta, dass der Umsatz im ersten Halbjahr sogar 5,2 Prozent unter dem des Vorjahreszeitraums lag. Die Prognose wird gesenkt, auf 880 bis 920 Millionen Euro. Das
Papier gibt weiter nach. Varta gibt damals bereits die angespannte Situation bei Rohstoff- und Energiepreisen als Begründung an.
„Unsere Energiekosten haben sich vervielfacht“, berichtet Schein heute. Es rächt sich zum Beispiel, dass Varta in Nördlingen das Blockheizkraftwerk ausgerechnet mit Gas beheizt. „Aus heutiger Sicht wären langfristige Verträge von Vorteil gewesen“, meint der frühere Varta-Chef.
Die Ereignisse überschlagen sich am Freitag, den 23. September, als Varta seine Prognose für dieses Geschäftsjahr komplett zurückzieht und auch keine neue Prognose abgeben kann. Der Aktienkurs rauscht nach unten, das Papier notiert nur noch bei rund 30 Euro. „Unsicherheit kommt auf dem Markt immer ungut an“, sagt dazu der Augsburger Börsenfachmann Martin Eberhard. „Wenn Unternehmen Zahlen verspätet nennen oder keine Zahlen abgeben, führt dies zu Unruhe unter den Marktteilnehmern.“Das Vertrauen in eine Firma leidet.
Am Donnerstag der Knall: Schein gibt den Vorstandsvorsitz bei Varta ab. Ursprünglich war sein Vertrag erst 2020 bis 2026 verlängert worden.
„Ich bin jetzt 57 Jahre alt. Es ist wichtig, dass Schritt für Schritt jüngere Leute Verantwortung übernehmen, um die Zukunft des Unternehmens abzusichern“, sagt
Schein unserer Redaktion zur Begründung seines Rückzugs. Neuer Varta-Chef wird der Österreicher Markus Hackstein. Schein selbst bringt sich für die spätere Zukunft als mögliches Mitglied im Aufsichtsrat ins Gespräch
Wie kann Varta aber Vertrauen zurückbekommen? Viel wird davon abhängen, die hoffnungsvoll angekündigte Batterie für die Elektromobilität zum Erfolg zu führen. Die Zelle mit dem Namen V4Drive soll in nur sechs Minuten geladen werden können. Das hat die Fantasie vieler Anlegerinnen und Anleger beflügelt. Analysten hatten aber teilweise kritisch eingehakt, dass Varta bis auf einen Auftrag mit einem Autobauer keine weiteren Aufträge genannt hat.
Herbert Schein fällt nun die Aufgabe zu, sich um den Bereich der Hochleistungsbatterie zu kümmern. Hierfür wird eine eigene Tochtergesellschaft gegründet, die V4Drive SE. „Es gibt einen großen Markt für diese Batterie, einen hohen Bedarf“, betonte Schein auch jetzt und kündigte den Bau gleich mehrerer Fabriken an.
Einen drohenden Abbau von Arbeitsplätzen sieht Schein bei Varta nicht. Das Unternehmen brauche seine qualifizierten Arbeitskräfte. Befristete Verträge seien dafür da, auftragsstarke Zeiten abzudecken. Wann Varta eine neue Prognose zum Geschäft abgeben kann, ließ er allerdings offen.