Donau Zeitung

Sein Leben zwischen Israelis und Palästinen­sern

In Dillingen stellt Benediktin­erabt Nikodemus Schnabel klar, wie sich die Kirche im gegenwärti­gen Krieg verhalten sollte.

- Von Hermann Müller

Der große Saal des Collegs konnte die Interessen­ten nicht fassen, die beim jüngsten Abend im Katholisch­en Akademiker­kreis den Benediktin­erabt Nikodemus C. Schnabel vom deutschspr­achigen Dormitio-Kloster in Jerusalem erleben und etwas von seinem „Leben zwischen Israelis und Palästinen­sern“erfahren wollten. Gleich in seinen einleitend­en Sätzen erteilte der Abt eventuelle­n Erwartunge­n, er werde sich im gegenwärti­g tobenden Konflikt für die eine oder die andere Bevölkerun­gsgruppe positionie­ren, eine klare Absage. Für ihn, der Freunde auf beiden Seiten habe und seit dem unheilvoll­en 7. Oktober auch Todesopfer unter eng Vertrauten betrauern müsse, könne es nur die Devise geben: pro

Mensch, nicht pro diese oder jene „Flagge“.

Dazu mag, rein äußerlich betrachtet, gut passen, dass die Dormitio-Abtei im Niemandsla­nd liegt, zwischen Israel und dem palästinen­sischen Territoriu­m auf dem Sionsberg. Doch es ist die innere, die geistliche Verortung der Dormitio-Basilika, von der die christlich­e Offenheit gegenüber Menschen jeglicher Herkunft ausgeht; ist sie doch in Jerusalem diejenige Stätte, die Pfingsten zugeordnet ist, jenem Ereignis, in dem der Geist Gottes sich Menschen aus allen Sprachen mitgeteilt hat.

Von überallher kommen denn auch die Pilger zur Dormitio selbst, wie auch zu dem ihr angeschlos­senen Priorat Tabgha am See Genezareth,

am Ort der Brotvermeh­rung; in „normalen“Zeiten sind dies jeweils an die 5000 Menschen täglich. Deren Betreuung ist aber nicht die einzige Aufgabe, der sich die Mönche gestellt haben. Neben verschiede­nen weiteren seelsorgli­chen und sozialen Aktivitäte­n ermögliche­n sie in ihren Einrichtun­gen Aufenthalt­e für Familien, Jugendlich­e und Behinderte. Eine einzigarti­ge Gelegenhei­t, das Heilige Land kennenzule­rnen und sich auf Hochschuln­iveau mit ökumenisch­er und interrelig­iöser Theologie, Bibelwisse­nschaft und einschlägi­ger Archäologi­e zu befassen, bieten sie Interessie­rten in einem von ihnen veranstalt­eten Studienjah­r.

War schon dieser Überblick, den Abt Schnabel über die vielgestal­tige

Tätigkeit seines Klosters gab, beeindruck­end, so wurde es wirklich tief berührend, als er die Situation der Christen zu schildern begann. Diese bilden – arabisch, hebräisch, aramäisch sprechend – eine extrem bunte Gruppe aus verschiede­nen Konfession­en. Tätig sind sie weit überwiegen­d in untergeord­neten Berufen, im Service aller Art, in der Altenpfleg­e, in der Landwirtsc­haft.

Dass auch solche Menschen, die nie eine Waffe in der Hand hatten, zum Beispiel eine 81-jährige Organistin, von der Hamas getötet wurden – nicht zu begreifen! Anderersei­ts auch dies: in Nord-Gaza könnte keiner der Christen, die in einem Viertel beisammen angesiedel­t waren, sein Haus wiederfind­en, um eines Tages dorthin zurückzuke­hren – alles zerstört, Erinnerung­en, Fotos, Aufzeichnu­ngen, eigentlich ganze Biografien. Niemand in der ganzen Region, der – bei (bisher) 27.000 Getöteten! – nicht durch Verwandtsc­haft oder Freundscha­ft in das Unheil involviert wäre.

Für die Kirche bleibt in dieser Situation laut Abt Nikodemus C. Schnabel klar: „Sie kann sich nicht eineindeut­ig auf die Seite einer Konfliktpa­rtei schlagen, sie muss überall stehen.“Deshalb blieben die Mönche inmitten der kriegerisc­hen Auseinande­rsetzung da, und ihr Kloster bleibe offen – für Gottesdien­ste und Gebet, aber auch für Konzerte, denn danach hungerten die Menschen ebenfalls. Von den Bedienstet­en in den klösterlic­hen Einrichtun­gen, wo Besucher und Gäste – und damit Einkünfte – weitgehend ausbleiben, werde niemand deswegen entlassen, auch wenn es dafür an die ökonomisch­en Rücklagen gehe. Für Abt Schnabel, der sich als einen Menschen von hoffnungsf­rohem Grundduktu­s bezeichnet­e und dies in seinem ganzen Auftreten auch spürbar machte, gibt es trotz allem keinen Grund zur Resignatio­n. Er wisse sich verbunden mit gar nicht so wenigen, die Zeichen setzen gegen den Hass, und die, anders als die „religiösen Hooligans“, welche die Bibel oder den Koran gar nicht kennen, aus ihren Heiligen Schriften Orientieru­ng und Ermutigung schöpfen. Und die im Wissen, dass sie, wie jeder Mensch, trotz aller Armseligke­it ein Bild Gottes sind und deshalb allen Menschenge­schwistern ihre Hand zur Versöhnung reichen können.

Zum Dank für einen bewegenden Abend konnte der Ordensmann vom Berg Sion nicht nur den lang anhaltende­n Beifall seines Publikums mitnehmen, sondern auch spontan gesammelte Spenden: 1200 Euro! (Foto: Hermann Müller)

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Nikodemus C. Schnabel

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