Stehen CDU und CSU noch hinter Angela Merkel?
Leitartikel Die Flüchtlingspolitik hat zu einem Absturz der Union in der Wählergunst geführt. Angela Merkel muss auf die veränderte Stimmung an der Basis reagieren
Der Trend ist eindeutig. In Scharen wenden sich die eigenen Wähler von Angela Merkel ab, die Umfragewerte für die Union befinden sich im Steilflug nach unten. Im Sommer noch lagen CDU und CSU bei über 40 Prozent, sie waren stärker als SPD, Linke und Grüne zusammen, die AfD hingegen blieb nach ihren internen Zerwürfnissen unter der Fünf-Prozent-Hürde, theoretisch schien sogar eine absolute Mehrheit der Mandate für die seit bald seit zehn Jahren regierende Kanzlerin 2017 möglich zu sein.
Doch die Flüchtlingskrise hat innerhalb weniger Wochen zu einem abrupten Stimmungswechsel geführt. Merkels einsame Entscheidung, die Grenze zu öffnen und die Flüchtlinge aus Ungarn ins Land zu lassen, wird von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Wären jetzt Wahlen, käme die CDU nur noch auf 36 Prozent – das ist ihr schlechtester Umfragewert seit mehr als drei Jahren. Mehr noch, die CDU ist wieder ziemlich genau da, wo sie bei der Bundestagswahl 2005 lag, als Angela Merkel magere 35,2 Prozent der Stimmen erhielt.
Kein Wunder, dass in der CDU wie der CSU alle Alarmglocken schrillen. CSU-Chef Horst Seehofer, schon seit Wochen der entschiedenste Kritiker der Merkel’schen Flüchtlingspolitik, hinter dessen breiten Rücken sich so manch anderer Ministerpräsident versteckt, fährt schwere Geschütze auf. Er sieht sogar die Existenz der Volksparteien CDU und CSU in Gefahr, sollte es nicht zu einem Kurswechsel kommen. Die Bundesregierung habe das Thema lange unterschätzt. Und auch Finanzminister Wolfgang Schäuble hält die Stimmung an der eigenen Basis für „dramatisch schlecht“. Den von der Parteispitze beschworenen großen Rückhalt für die Politik Merkels sehe er nicht.
In der Tat hat der abrupte Kurswechsel der Kanzlerin und CDUChefin die eigene Partei nicht nur überrascht, sondern auch gegen sie aufgebracht. Unionsabgeordnete berichten schon seit Wochen, dass sie gerade von ihren eigenen Mitgliedern und Wählern mit Protestmails und kritischen Anrufen überhäuft würden, in der letzten Fraktionssitzung entlud sich der aufgestaute Ärger mit einer heftigen Debatte. Es dürfte nicht die letzte gewesen sein. Mit Bangen sehen die Strategen im Adenauer-Haus nach Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Frühjahr gewählt wird. Schon hört man hinter vorgehaltener Hand, ein Auftritt Merkels könnte sich als kontraproduktiv erweisen – eben noch galt sie als Zugpferd.
Angela Merkel, die ein feines Gespür für die Stimmung in der Partei wie in der Öffentlichkeit hat, wird reagieren – weil sie muss. Der Kurswechsel deutet sich an, auch wenn sie selbst dieses Wort nicht in den Mund nimmt. Das Asylrecht wurde bereits deutlich verschärft, abgelehnte Asylbewerber sollen konsequent abgeschoben, Transitzonen eingerichtet und mit Afghanistan ein Rückführungsabkommen abgeschlossen werden. Zudem verstärkt sie ihre Bemühungen, die Flüchtlingswelle auf internationaler Ebene in den Griff zu bekommen. Mit einer Milliarde Euro wird der soziale Wohnungsbau angekurbelt, um die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wenigstens ein Stück weit zu entschärfen.
Das alles aber ist mühsam und beschwerlich, mit schnellen Erfolgen ist nicht zu rechnen. Merkel hat noch viel zu erklären, doch die Zweifel wachsen, ob ihre eigene Partei, die einen schnellen Kurswechsel sehen will, ihr noch folgt. An den Befunden von Seehofer und Schäuble gibt es nichts zu rütteln – noch nie war die Entfremdung zwischen Merkel und ihrer Partei so groß wie in diesen Tagen.
…und im Frühjahr
werden drei Landtage gewählt…