Bürgerwunde
Asyl Viele Deutsche haben Angst und wollen sie endlich mal in Worte fassen. Andere sind auf Informationen aus. Und mancher will auch nur seine Vorurteile pflegen. Auf Bürgerversammlungen gibt es derzeit fast nur ein Thema: Flüchtlinge. Ein Abend mit ersta
Der Weg in Richtung des Stimmengewirrs führt durch Raum 37. „Umkleide Mädchen“steht in bleichen Buchstaben auf einem Schild am Eingang. Es geht entlang der schmalen Holzbank, vorbei an Dusch- und Geräteraum. Ein Kabel, das quer über den Boden verläuft, ist die Grenze. Hier wechselt der Untergrund von blauem zu grauem, mit bunten Linien übersäten Linoleum. Ein Boden, wie er typisch ist für deutsche Turnhallen. Wo Flüchtlinge derzeit zu Zigtausenden nächtigen. Hier in der Sporthalle der Sebastian-Franck-Grundschule in Donauwörth sind statt Feldbetten Stühle aufgebaut. Sie stehen Besuchern der Bürgerversammlung zur Verfügung, die an diesem Abend in der nordschwäbischen Stadt fast nur ein Thema hat.
So wie viele Bürgerversammlungen in der Region derzeit fast nur ein Thema haben: Wie umgehen mit diesen Massen an Flüchtlingen? Keine Kommune kann sich dem Thema entziehen. Vielerorts herrscht Ausnahmezustand. Die Notsituation lässt solchen Versammlungen eine neue Bedeutung zukommen. Sonst oft überschaubar besuchte Zusammenkünfte besonders engagierter Heimatverbundener, werden die kommunalpolitischen Pflichttermine auf einmal zum Anziehungspunkt jeder Menge verunsicherter Bürger.
Immer öfter platzen die Veranstaltungsorte aus allen Nähten. „Das Interesse an Bürgerversammlungen nimmt massiv zu. Die Asyl-Thematik treibt viele um“, sagt beispielsweise Stefan Kiefer, Sozialreferent der Stadt Augsburg. Auf vergleichbaren Versammlungen, bei denen im vergangenen Jahr 50 Menschen – zum Teil nur aus persönlicher Verbundenheit zum Referenten – anwesend waren, sind es nun 400 bis 500, erzählt Kiefer.
Auch in Donauwörth füllt sich die Turnhalle bis auf den letzten Platz. Etwa 300 Menschen sind es am Ende. Sie sind gekommen, um Informationen zu bekommen, Fragen zu stellen, sich ein Bild von dem zu machen, was der Kleinstadt womöglich noch bevorsteht. „So, dann schauen wir mal“, sagt ein älterer Herr beim Betreten der Halle, bevor er zielstrebig einen der letzten verbliebenen Sitzplätze ansteuert.
Der Aufklärungsbedarf ist in Donauwörth besonders groß. Die Stadt hat, was die Unterbringung von Asylbewerbern betrifft, ein turbulentes Jahr hinter sich. Zunächst war die ehemalige Alfred-Delp-Kaserne, die nur wenige hundert Meter von der Schule entfernt ist, als „Rückführungszentrum“für 1500 Flüchtlinge aus Balkan-Ländern im Gespräch. Landrat, Oberbürgermeister, Stadtrat und Bürger wehrten sich vehement. Für eine Petition kamen innerhalb kürzester Zeit rund 3000 Unterschriften zusammen. Nach harten Verhandlungen mit der Staatsregierung war das Abschiebezentrum vom Tisch. Stattdessen dient das ehemalige MilitärAreal nun als Erstaufnahmelager, das größte seiner Art in Schwaben. Bis Anfang 2016 sollen dort 600 Asylbewerber unterkommen – mehr als dreimal so viele wie bisher.
„Das ist eine gewaltige Herausforderung“, sagt Armin Neudert. Der Oberbürgermeister der Stadt spricht an diesem Abend als Erster. Zu Beginn der Versammlung herrscht in den Reihen der Zuhörer eine konzentrierte Ruhe. Nur vereinzelt gibt es Zwischenrufe. Etwa, als ein Mitarbeiter des Staatlichen Bauamtes die Sanierungsmaßnahmen aufzählt, die in der Kaserne für die Flüchtlinge umgesetzt werden: Strom, Wasser, Wärme, sanitäre Anlagen. „Ja, und WLAN brauchen wir auch noch“, kommentiert ein Mann spöttisch. Vereinzeltes Gelächter um ihn herum.
Es folgt: ein Vortrag nach dem anderen. Stadt, Landkreis, Regierung von Schwaben, viel Amtsdeutsch. 90 Minuten geht das so. Dann wird deutlich, dass die Menschen nicht gekommen sind, um sich nur berieseln zu lassen. Mitten in der Rede von Stefan Rößle, dem Landrat im Kreis Donau-Ries, steht Mann auf. „Wir haben nun genug gehört“, sagt er. „Wann können wir unsere Fragen stellen?“
Zum ersten Mal an diesem Abend wird es unruhig in der Halle. Einige klatschen dem Mann Beifall. Offenkundig überrascht von dem entschlossenen Zwischenruf verspricht Rößle, sich zu beeilen, und beendet hastig seinen Vortrag. Keine fünf Minuten nach der Wortmeldung verkündet Oberbürgermeister Neudert: „Ich schlage vor, dass wir nun die Fragerunde beginnen.“
Darauf haben die Menschen gewartet. Jetzt sind sie dran. Meist läuft es nach demselben Schema ab: zielstrebiges Anpeilen des Mikrofons, im Bewusstsein der plötzlichen Aufmerksamkeit schüchterne erste Worte, dann doch selbstbewusstes Vortragen des Anliegens. Vielen ist anzumerken, dass sie sich intensiv mit der Asyl-Situation auseinandergesetzt haben. Die Sorgen, die sie öffentlich machen, treffen hörbar den Nerv der Zeit. „Wer haftet eigentlich für einen Unfall mit einem Flüchtling?“, fragt beispielsweise ein Mann. Die Antwort eines Mitarbeiters des Landratsamtes, man müsse als Autofahrer jederzeit stehen bleiben können, da man im Einzelfall selbst für den Schaden aufkommen muss, löst hämisches Gelächter im Saal aus.
Der Ton wird rauer. „Männlichen Muslimen fehlt es an Respekt“, sagt einer. Äußerungen wie diese hat man zuletzt auf vielen Bürgerversammlungen gehört. Und noch ganz andere. In Babenhausen (Landkreis Unterallgäu) etwa meldete sich ein Bürger zu Wort, der „neun von zehn Asylbewerber“als „Schmarotzer“bezeichnete. In Meein ring im Kreis Aichach-Friedberg beschuldigten Einheimische nach sexuellen Übergriffen auf zwei junge Frauen am Ort untergebrachte Flüchtlinge der Tat – laut Polizei zu Unrecht. Trotzdem brachte jemand auf der Bürgerversammlung „DNA-Tests für jeden Asylbewerber“ins Spiel. Ein anderer bereute es, einem „Menschen mit Sonnenbrand“– so nannte er einen Flüchtling aus Afrika – in einer Notlage geholfen zu haben.
Bei einer Versammlung im Augsburger Stadtteil Hammerschmiede wiederum verbat sich ein Bürger den Vergleich von Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg mit den heutigen Flüchtlingen. Er redete sich dabei derart in Rage, dass die Polizei einschreiten musste. Nur durch das Androhen eines Platzverweises konnte sie den Mann zur Ruhe bringen. „Er ist richtig an die Decke gegangen und hat gar nicht mehr aufgehört zu schreien“, sagt Sozialreferent Kiefer. Er war an dem Abend mit dabei. Dass den Pächtern eines Thai-Restaurants im Stadtteil gekündigt wurde, weil in dem Gebäude womöglich eine Asylunterkunft eingerichtet werden soll, lieferte zusätzlichen Zündstoff.
„Seit dem Ende der Sommerferien häufen sich die kritischen Stimmen“, sagt Kiefer. Auch viele derjenigen, die den Massen an Flüchtlingen anfangs neutral gegenüberstanden, seien mittlerweile zutiefst verunsichert. „Es entstehen rational nicht begründbare Ängste in einem Umfang, wie sie bisher nicht da gewesen sind.“Die Sorgen von Rentnern etwa, Flüchtlinge im eigenen Haus aufnehmen zu müssen oder enteignet zu werden – „realitätsfern“sei das, sagt Kiefer. Die Ängste zu nehmen, werde schwieriger. „Zu panischen Menschen dringt man nicht mehr durch.“
Nach zwei Stunden hat sich die trockene Turnhallenluft mächtig aufgeheizt – parallel zu den immer hitziger werdenden Meinungsbeiträgen. „Meine kleine Tochter musste letztens mit vielen schwarzen Männern Bus fahren. Das war ihr unangenehm“, sagt ein Mann mit osteuropäischem Akzent. „Ich habe zu Hause keine Putz- und Küchenhilfen“, sagt ein anderer und spielt auf das Personal in der Kaserne an. „Man kann ja wohl erwarten, dass Asylbewerber mit einem Gesundheitszeugnis wenigstens Kartoffeln schälen können.“
Die offiziellen Vertreter, die nebeneinander aufgereiht auf einer Bühne sitzen, wenden alle Tricks diplomatischer Konversation an, um die Gemüter zu beruhigen. „Ich kann Sie verstehen“, „Das ist eine berechtigte Sorge“oder „Wir werden das analysieren und beobachten“hört man ein ums andere Mal.
Nächste Runde. Ein Anwohner der Kaserne beklagt Lärmbelästigung durch Flüchtlinge. Ein Vertreter der Stadt versucht zu besänftigen: „Beim nächsten Mal rufen Sie mich an und ich sorge für Ruhe.“Zufrieden stellt den Mann diese Antwort nicht. Daraufhin steht ein anderer auf: „Wie lange wohnen Sie eigentlich schon bei der Kaserne? Früher waren dort Panzer und Soldaten, die haben viel mehr Alarm
Meist platzen die Räume aus allen Nähten Zwischendurch gibt es auch mal das: Gelächter
gemacht.“Schallendes Gelächter, auch auf der Referentenbühne.
Die Stimmung schaukelt sich hoch. Das Publikum bleibt in der Hauptrolle. Dann sagt einer ins Mikrofon: „Ich habe noch nie einen Muslim gesehen, der putzt.“Jetzt wird es extrem unruhig im Saal. Die Diskussion droht abzugleiten. „Jetzt aber“, ruft ein Bürger empört und legt die Stirn in Falten. Ein anderer klatscht ironisch in die Hände: „Bravo!“
Oberbürgermeister Neudert ermahnt seine Bürger: „Bitte sachlich diskutieren.“Schließlich steht eine Frau auf, schnappt sich das Mikrofon und sagt: „Ich habe seit einem Jahr mit Asylbewerbern zu tun und gute Erfahrungen gemacht.“Lautstarker Beifall.
Drei Stunden sind vergangen. Das Stadtoberhaupt hat das letzte Wort. Er lobt die „sehr gute Diskussionskultur“. Dann geht es hinaus in die Donauwörther Nacht. Hinaus aus dem Stimmengewirr. Mitten durch Raum 37.