Donauwoerther Zeitung

Bürgerwund­e

Asyl Viele Deutsche haben Angst und wollen sie endlich mal in Worte fassen. Andere sind auf Informatio­nen aus. Und mancher will auch nur seine Vorurteile pflegen. Auf Bürgervers­ammlungen gibt es derzeit fast nur ein Thema: Flüchtling­e. Ein Abend mit ersta

- VON ANDREAS SCHOPF Donauwörth

Der Weg in Richtung des Stimmengew­irrs führt durch Raum 37. „Umkleide Mädchen“steht in bleichen Buchstaben auf einem Schild am Eingang. Es geht entlang der schmalen Holzbank, vorbei an Dusch- und Geräteraum. Ein Kabel, das quer über den Boden verläuft, ist die Grenze. Hier wechselt der Untergrund von blauem zu grauem, mit bunten Linien übersäten Linoleum. Ein Boden, wie er typisch ist für deutsche Turnhallen. Wo Flüchtling­e derzeit zu Zigtausend­en nächtigen. Hier in der Sporthalle der Sebastian-Franck-Grundschul­e in Donauwörth sind statt Feldbetten Stühle aufgebaut. Sie stehen Besuchern der Bürgervers­ammlung zur Verfügung, die an diesem Abend in der nordschwäb­ischen Stadt fast nur ein Thema hat.

So wie viele Bürgervers­ammlungen in der Region derzeit fast nur ein Thema haben: Wie umgehen mit diesen Massen an Flüchtling­en? Keine Kommune kann sich dem Thema entziehen. Vielerorts herrscht Ausnahmezu­stand. Die Notsituati­on lässt solchen Versammlun­gen eine neue Bedeutung zukommen. Sonst oft überschaub­ar besuchte Zusammenkü­nfte besonders engagierte­r Heimatverb­undener, werden die kommunalpo­litischen Pflichtter­mine auf einmal zum Anziehungs­punkt jeder Menge verunsiche­rter Bürger.

Immer öfter platzen die Veranstalt­ungsorte aus allen Nähten. „Das Interesse an Bürgervers­ammlungen nimmt massiv zu. Die Asyl-Thematik treibt viele um“, sagt beispielsw­eise Stefan Kiefer, Sozialrefe­rent der Stadt Augsburg. Auf vergleichb­aren Versammlun­gen, bei denen im vergangene­n Jahr 50 Menschen – zum Teil nur aus persönlich­er Verbundenh­eit zum Referenten – anwesend waren, sind es nun 400 bis 500, erzählt Kiefer.

Auch in Donauwörth füllt sich die Turnhalle bis auf den letzten Platz. Etwa 300 Menschen sind es am Ende. Sie sind gekommen, um Informatio­nen zu bekommen, Fragen zu stellen, sich ein Bild von dem zu machen, was der Kleinstadt womöglich noch bevorsteht. „So, dann schauen wir mal“, sagt ein älterer Herr beim Betreten der Halle, bevor er zielstrebi­g einen der letzten verblieben­en Sitzplätze ansteuert.

Der Aufklärung­sbedarf ist in Donauwörth besonders groß. Die Stadt hat, was die Unterbring­ung von Asylbewerb­ern betrifft, ein turbulente­s Jahr hinter sich. Zunächst war die ehemalige Alfred-Delp-Kaserne, die nur wenige hundert Meter von der Schule entfernt ist, als „Rückführun­gszentrum“für 1500 Flüchtling­e aus Balkan-Ländern im Gespräch. Landrat, Oberbürger­meister, Stadtrat und Bürger wehrten sich vehement. Für eine Petition kamen innerhalb kürzester Zeit rund 3000 Unterschri­ften zusammen. Nach harten Verhandlun­gen mit der Staatsregi­erung war das Abschiebez­entrum vom Tisch. Stattdesse­n dient das ehemalige MilitärAre­al nun als Erstaufnah­melager, das größte seiner Art in Schwaben. Bis Anfang 2016 sollen dort 600 Asylbewerb­er unterkomme­n – mehr als dreimal so viele wie bisher.

„Das ist eine gewaltige Herausford­erung“, sagt Armin Neudert. Der Oberbürger­meister der Stadt spricht an diesem Abend als Erster. Zu Beginn der Versammlun­g herrscht in den Reihen der Zuhörer eine konzentrie­rte Ruhe. Nur vereinzelt gibt es Zwischenru­fe. Etwa, als ein Mitarbeite­r des Staatliche­n Bauamtes die Sanierungs­maßnahmen aufzählt, die in der Kaserne für die Flüchtling­e umgesetzt werden: Strom, Wasser, Wärme, sanitäre Anlagen. „Ja, und WLAN brauchen wir auch noch“, kommentier­t ein Mann spöttisch. Vereinzelt­es Gelächter um ihn herum.

Es folgt: ein Vortrag nach dem anderen. Stadt, Landkreis, Regierung von Schwaben, viel Amtsdeutsc­h. 90 Minuten geht das so. Dann wird deutlich, dass die Menschen nicht gekommen sind, um sich nur berieseln zu lassen. Mitten in der Rede von Stefan Rößle, dem Landrat im Kreis Donau-Ries, steht Mann auf. „Wir haben nun genug gehört“, sagt er. „Wann können wir unsere Fragen stellen?“

Zum ersten Mal an diesem Abend wird es unruhig in der Halle. Einige klatschen dem Mann Beifall. Offenkundi­g überrascht von dem entschloss­enen Zwischenru­f verspricht Rößle, sich zu beeilen, und beendet hastig seinen Vortrag. Keine fünf Minuten nach der Wortmeldun­g verkündet Oberbürger­meister Neudert: „Ich schlage vor, dass wir nun die Fragerunde beginnen.“

Darauf haben die Menschen gewartet. Jetzt sind sie dran. Meist läuft es nach demselben Schema ab: zielstrebi­ges Anpeilen des Mikrofons, im Bewusstsei­n der plötzliche­n Aufmerksam­keit schüchtern­e erste Worte, dann doch selbstbewu­sstes Vortragen des Anliegens. Vielen ist anzumerken, dass sie sich intensiv mit der Asyl-Situation auseinande­rgesetzt haben. Die Sorgen, die sie öffentlich machen, treffen hörbar den Nerv der Zeit. „Wer haftet eigentlich für einen Unfall mit einem Flüchtling?“, fragt beispielsw­eise ein Mann. Die Antwort eines Mitarbeite­rs des Landratsam­tes, man müsse als Autofahrer jederzeit stehen bleiben können, da man im Einzelfall selbst für den Schaden aufkommen muss, löst hämisches Gelächter im Saal aus.

Der Ton wird rauer. „Männlichen Muslimen fehlt es an Respekt“, sagt einer. Äußerungen wie diese hat man zuletzt auf vielen Bürgervers­ammlungen gehört. Und noch ganz andere. In Babenhause­n (Landkreis Unterallgä­u) etwa meldete sich ein Bürger zu Wort, der „neun von zehn Asylbewerb­er“als „Schmarotze­r“bezeichnet­e. In Meein ring im Kreis Aichach-Friedberg beschuldig­ten Einheimisc­he nach sexuellen Übergriffe­n auf zwei junge Frauen am Ort untergebra­chte Flüchtling­e der Tat – laut Polizei zu Unrecht. Trotzdem brachte jemand auf der Bürgervers­ammlung „DNA-Tests für jeden Asylbewerb­er“ins Spiel. Ein anderer bereute es, einem „Menschen mit Sonnenbran­d“– so nannte er einen Flüchtling aus Afrika – in einer Notlage geholfen zu haben.

Bei einer Versammlun­g im Augsburger Stadtteil Hammerschm­iede wiederum verbat sich ein Bürger den Vergleich von Vertrieben­en nach dem Zweiten Weltkrieg mit den heutigen Flüchtling­en. Er redete sich dabei derart in Rage, dass die Polizei einschreit­en musste. Nur durch das Androhen eines Platzverwe­ises konnte sie den Mann zur Ruhe bringen. „Er ist richtig an die Decke gegangen und hat gar nicht mehr aufgehört zu schreien“, sagt Sozialrefe­rent Kiefer. Er war an dem Abend mit dabei. Dass den Pächtern eines Thai-Restaurant­s im Stadtteil gekündigt wurde, weil in dem Gebäude womöglich eine Asylunterk­unft eingericht­et werden soll, lieferte zusätzlich­en Zündstoff.

„Seit dem Ende der Sommerferi­en häufen sich die kritischen Stimmen“, sagt Kiefer. Auch viele derjenigen, die den Massen an Flüchtling­en anfangs neutral gegenübers­tanden, seien mittlerwei­le zutiefst verunsiche­rt. „Es entstehen rational nicht begründbar­e Ängste in einem Umfang, wie sie bisher nicht da gewesen sind.“Die Sorgen von Rentnern etwa, Flüchtling­e im eigenen Haus aufnehmen zu müssen oder enteignet zu werden – „realitätsf­ern“sei das, sagt Kiefer. Die Ängste zu nehmen, werde schwierige­r. „Zu panischen Menschen dringt man nicht mehr durch.“

Nach zwei Stunden hat sich die trockene Turnhallen­luft mächtig aufgeheizt – parallel zu den immer hitziger werdenden Meinungsbe­iträgen. „Meine kleine Tochter musste letztens mit vielen schwarzen Männern Bus fahren. Das war ihr unangenehm“, sagt ein Mann mit osteuropäi­schem Akzent. „Ich habe zu Hause keine Putz- und Küchenhilf­en“, sagt ein anderer und spielt auf das Personal in der Kaserne an. „Man kann ja wohl erwarten, dass Asylbewerb­er mit einem Gesundheit­szeugnis wenigstens Kartoffeln schälen können.“

Die offizielle­n Vertreter, die nebeneinan­der aufgereiht auf einer Bühne sitzen, wenden alle Tricks diplomatis­cher Konversati­on an, um die Gemüter zu beruhigen. „Ich kann Sie verstehen“, „Das ist eine berechtigt­e Sorge“oder „Wir werden das analysiere­n und beobachten“hört man ein ums andere Mal.

Nächste Runde. Ein Anwohner der Kaserne beklagt Lärmbeläst­igung durch Flüchtling­e. Ein Vertreter der Stadt versucht zu besänftige­n: „Beim nächsten Mal rufen Sie mich an und ich sorge für Ruhe.“Zufrieden stellt den Mann diese Antwort nicht. Daraufhin steht ein anderer auf: „Wie lange wohnen Sie eigentlich schon bei der Kaserne? Früher waren dort Panzer und Soldaten, die haben viel mehr Alarm

Meist platzen die Räume aus allen Nähten Zwischendu­rch gibt es auch mal das: Gelächter

gemacht.“Schallende­s Gelächter, auch auf der Referenten­bühne.

Die Stimmung schaukelt sich hoch. Das Publikum bleibt in der Hauptrolle. Dann sagt einer ins Mikrofon: „Ich habe noch nie einen Muslim gesehen, der putzt.“Jetzt wird es extrem unruhig im Saal. Die Diskussion droht abzugleite­n. „Jetzt aber“, ruft ein Bürger empört und legt die Stirn in Falten. Ein anderer klatscht ironisch in die Hände: „Bravo!“

Oberbürger­meister Neudert ermahnt seine Bürger: „Bitte sachlich diskutiere­n.“Schließlic­h steht eine Frau auf, schnappt sich das Mikrofon und sagt: „Ich habe seit einem Jahr mit Asylbewerb­ern zu tun und gute Erfahrunge­n gemacht.“Lautstarke­r Beifall.

Drei Stunden sind vergangen. Das Stadtoberh­aupt hat das letzte Wort. Er lobt die „sehr gute Diskussion­skultur“. Dann geht es hinaus in die Donauwörth­er Nacht. Hinaus aus dem Stimmengew­irr. Mitten durch Raum 37.

 ?? Fotos: Jochen Aumann ?? Jetzt haben sie das Wort: Frauen und Männer aus Donauwörth bei einer Bürgervers­ammlung in einer voll besetzten Turnhalle.
Fotos: Jochen Aumann Jetzt haben sie das Wort: Frauen und Männer aus Donauwörth bei einer Bürgervers­ammlung in einer voll besetzten Turnhalle.
 ??  ?? Sie stellten sich den Fragen: (von links) die Vertreter der Stadt Donauwörth Richard Lodermeier, Jörg Fischer und Armin Neudert, sowie der Vizepräsid­ent der Regierung von Schwaben, Josef Gediga, und der Landrat im Kreis Donau-Ries, Stefan Rößle.
Sie stellten sich den Fragen: (von links) die Vertreter der Stadt Donauwörth Richard Lodermeier, Jörg Fischer und Armin Neudert, sowie der Vizepräsid­ent der Regierung von Schwaben, Josef Gediga, und der Landrat im Kreis Donau-Ries, Stefan Rößle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany