Trägt Wien zur Eskalation bei?
Österreich Hilfsorganisationen richten schwere Vorwürfe an das Innenministerium
Ein Hauch von Ausnahmezustand in der Steiermark: Mit Spritzenwagen blockieren Feuerwehren Ortseinfahrten. So soll verhindert werden, dass Flüchtlinge in die Dörfer gelangen. Nicht mehr nach Nickelsdorf im Burgenland, sondern nach Spielfeld in der Steiermark kommen täglich mehrere tausend Flüchtlinge aus Slowenien, nachdem Ungarn die Grenze geschlossen hat. Die Menschen in den Grenzorten seien „äußerst beunruhigt“angesichts „der großen Menge an fremden Menschen“, erklärt Spielfelds Bürgermeister Reinhold Hoflechner.
„Deutschland übernimmt aktuell einfach zu wenig Flüchtlinge. Wir brauchen deshalb eine Dämpfung des Zustroms an der Grenze zu Griechenland“, fordert die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in der Kronenzeitung. Die österreichischen Einsatzkräfte hätten festgestellt, „dass das Verhalten der Flüchtlinge emotionaler wird, sie sind panisch. Man muss mit Gewalt rechnen – und unsere Polizei wird mit Gegenmaßnahmen reagieren müssen.“Angesichts der niedrigen Temperaturen und des Fehlens von beheizbaren Zelten für alle ist nachvollziehbar, dass die Stimmung in den Lagern schlechter wird und die frierenden Flüchtlinge ihr Ziel, meist Deutschland, möglichst schnell erreichen wollen.
Doch Hilfsorganisationen werfen dem Innenministerium in Wien hinter vorgehaltener Hand vor, zur Eskalation beizutragen, um den Druck auf die EU und Deutschland zu erhöhen. Diese Methode sei bereits mehrmals festgestellt worden, sagt ein Vertreter einer Hilfsorganisation, der nicht namentlich zitiert werden will.
Die Politik versage bei der Schaffung von Unterbringungsplätzen, kritisierte ganz offiziell der Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes gestern im ORF. Es fehlten derzeit 4000 Plätze. In Notschlafstellen, die für durchreisende Flüchtlinge zur Verfügung stehen sollten, würden jetzt diejenigen untergebracht, die in Österreich einen Asylantrag stellen und auf die Bearbeitung warten. Deshalb fehlten Unterbringungsmöglichkeiten, und die Flüchtlinge müssten sofort an die Grenzen gebracht werden, so der Sprecher der Caritas.
In Salzburg war es am Samstagabend zu Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Polizei gekommen, als sich rund 1000 Flüchtlinge überraschend vom Notquartier in der Bahnhofsgarage auf den Weg zur Grenze gemacht hätten. Bürgermeister Heinz Schaden erklärte, die Polizei habe die Flüchtlinge aufgefordert, zur Grenze zu gehen. Dolmetscher hätten die Anweisung bekommen, die Leute zum Gehen zu bewegen. Wohl auch gegen ihren Willen: „Menschen in Rollstühlen und auf Krücken wollten die Garage eigentlich nicht verlassen“, hieß es in einer Presseerklärung der Stadt. „Das ist offensichtlich die Linie der Wiener Stäbe“, wird der Bürgermeister zitiert.
Der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, wies die Kritik der Stadt zurück. Auch in Oberösterreich hatten an der Grenze zu Passau in Braunau und Kollerschlag mehrere hundert Flüchtlinge bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf die Einreise nach Deutschland warten müssen. Es wurden nur 50 Flüchtlinge pro Stunde abgefertigt.
Das umstrittene österreichische Erstaufnahmelager in Traiskirchen ist inzwischen im Wesentlichen zu einem Lager für unbegleitete Jugendliche geworden. Vor den Lagertoren kampieren obdachlose Flüchtlinge, die nicht hineingelassen werden, weil sie sich selbst Unterkünfte suchen sollen.