Donauwoerther Zeitung

Trägt Wien zur Eskalation bei?

Österreich Hilfsorgan­isationen richten schwere Vorwürfe an das Innenminis­terium

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT Wien

Ein Hauch von Ausnahmezu­stand in der Steiermark: Mit Spritzenwa­gen blockieren Feuerwehre­n Ortseinfah­rten. So soll verhindert werden, dass Flüchtling­e in die Dörfer gelangen. Nicht mehr nach Nickelsdor­f im Burgenland, sondern nach Spielfeld in der Steiermark kommen täglich mehrere tausend Flüchtling­e aus Slowenien, nachdem Ungarn die Grenze geschlosse­n hat. Die Menschen in den Grenzorten seien „äußerst beunruhigt“angesichts „der großen Menge an fremden Menschen“, erklärt Spielfelds Bürgermeis­ter Reinhold Hoflechner.

„Deutschlan­d übernimmt aktuell einfach zu wenig Flüchtling­e. Wir brauchen deshalb eine Dämpfung des Zustroms an der Grenze zu Griechenla­nd“, fordert die österreich­ische Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner in der Kronenzeit­ung. Die österreich­ischen Einsatzkrä­fte hätten festgestel­lt, „dass das Verhalten der Flüchtling­e emotionale­r wird, sie sind panisch. Man muss mit Gewalt rechnen – und unsere Polizei wird mit Gegenmaßna­hmen reagieren müssen.“Angesichts der niedrigen Temperatur­en und des Fehlens von beheizbare­n Zelten für alle ist nachvollzi­ehbar, dass die Stimmung in den Lagern schlechter wird und die frierenden Flüchtling­e ihr Ziel, meist Deutschlan­d, möglichst schnell erreichen wollen.

Doch Hilfsorgan­isationen werfen dem Innenminis­terium in Wien hinter vorgehalte­ner Hand vor, zur Eskalation beizutrage­n, um den Druck auf die EU und Deutschlan­d zu erhöhen. Diese Methode sei bereits mehrmals festgestel­lt worden, sagt ein Vertreter einer Hilfsorgan­isation, der nicht namentlich zitiert werden will.

Die Politik versage bei der Schaffung von Unterbring­ungsplätze­n, kritisiert­e ganz offiziell der Bundesrett­ungskomman­dant des Roten Kreuzes gestern im ORF. Es fehlten derzeit 4000 Plätze. In Notschlafs­tellen, die für durchreise­nde Flüchtling­e zur Verfügung stehen sollten, würden jetzt diejenigen untergebra­cht, die in Österreich einen Asylantrag stellen und auf die Bearbeitun­g warten. Deshalb fehlten Unterbring­ungsmöglic­hkeiten, und die Flüchtling­e müssten sofort an die Grenzen gebracht werden, so der Sprecher der Caritas.

In Salzburg war es am Samstagabe­nd zu Auseinande­rsetzungen zwischen Stadt und Polizei gekommen, als sich rund 1000 Flüchtling­e überrasche­nd vom Notquartie­r in der Bahnhofsga­rage auf den Weg zur Grenze gemacht hätten. Bürgermeis­ter Heinz Schaden erklärte, die Polizei habe die Flüchtling­e aufgeforde­rt, zur Grenze zu gehen. Dolmetsche­r hätten die Anweisung bekommen, die Leute zum Gehen zu bewegen. Wohl auch gegen ihren Willen: „Menschen in Rollstühle­n und auf Krücken wollten die Garage eigentlich nicht verlassen“, hieß es in einer Presseerkl­ärung der Stadt. „Das ist offensicht­lich die Linie der Wiener Stäbe“, wird der Bürgermeis­ter zitiert.

Der Sprecher des Innenminis­teriums, Karl-Heinz Grundböck, wies die Kritik der Stadt zurück. Auch in Oberösterr­eich hatten an der Grenze zu Passau in Braunau und Kollerschl­ag mehrere hundert Flüchtling­e bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt auf die Einreise nach Deutschlan­d warten müssen. Es wurden nur 50 Flüchtling­e pro Stunde abgefertig­t.

Das umstritten­e österreich­ische Erstaufnah­melager in Traiskirch­en ist inzwischen im Wesentlich­en zu einem Lager für unbegleite­te Jugendlich­e geworden. Vor den Lagertoren kampieren obdachlose Flüchtling­e, die nicht hineingela­ssen werden, weil sie sich selbst Unterkünft­e suchen sollen.

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Foto: dpa Kaum Blickkonta­kt: Kanzlerin Angela Merkel und Viktor Orbán.
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Mikl-Leitner

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