Wenn gute Ideen auf die Realität treffen
EU-Sondertreffen Die Beschlüsse des Sondertreffens der Regierungschefs zum Flüchtlingsproblem bieten nur wenig Hoffnung auf eine rasche Entspannung
Die „Politik des Durchwinkens“soll beendet werden. Dieser Satz von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zieht sich wie ein roter Faden durch die Beschlüsse des Westbalkan-Gipfels vom Sonntag. Was bringen die einzelnen Entscheidungen?
Ein Abkommen mit der Türkei, die ihre Grenzen besser sichern soll, will die EU ergänzen durch Abkommen mit den afrikanischen Staaten. Mit denen trifft man sich Mitte November auf Malta. Ziel: Die Staaten sollen abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen, nicht verfolgen und ihre Grenzen sichern. Wirkung: hoch. Zwar ersetzen solche Abkommen nicht die Befriedung, vor allem Syriens. Aber die Selbstkontrolle der Afrikaner wäre wichtig, um den Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer einzudämmen.
Die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei könnte strikter kontrol- liert werden. Slowenien, Kroatien, Mazedonien und Serbien sollen Koordinatoren benennen, die täglich in Kontakt stehen, um die ankommenden Asylbewerber gemeinsam zu steuern. Dazu will die EU 400 Beamte der Grenzschutz-Agentur Frontex bereitstellen, die die einheimischen Kräfte unterstützen. Ziel: In sogenannten Hotspots sollen Asylgesuche schnell entschieden und abgelehnte Bewerber sofort zurückgeschickt werden. Außerdem wird es wohl Geld für die Betreuung der Flüchtlinge geben. Wirkung: groß. Diese Staaten sind hoffnungslos überfordert, wenn es darum geht, täglich mehrere tausend Zuwanderer zu registrieren und über deren Bitte um Asyl zu entscheiden. Koordination ist effizienter als nationale Alleingänge und Zäune aus Verzweiflung.
Abgelehnte Asylbewerber sollen binnen weniger Tage in ihre Heimat zurückgebracht werden. Die EU will schnell mit Afghanistan ein Rückführungsabkommen vereinbaren. Grund: Afghanen stellen inzwischen den zweitgrößten Anteil unter den Asylbewerbern. Auch Flüchtlinge aus Pakistan sowie großen Teilen Asiens will die EU künftig sofort abschieben. Wirkung: theoretisch hoch. Rückführung ist bisher schon möglich, wird aber kaum genutzt. Das Aushandeln von entsprechenden Abkommen mit Staaten wie Afghanistan dürfte viele Monate dauern. In der Zeit müssen die Flüchtlinge betreut werden. Ein abschreckender Effekt dürfte deshalb auf sich warten lassen.
Es gibt praktisch kein Land an der Westbalkan-Route, das nicht mit der Betreuung der Ankommenden überfordert wäre. Brüssel will nun dafür sorgen, dass Länder wie Bulgarien, Rumänien, Serbien und Mazedonien, aber auch Griechenland und Italien finanziell besser ausgestattet werden. Das Abfangen der Flüchtlinge an den Außengrenzen erfordert riesige Auffanglager, die es nicht gibt. Sie wären aber Voraussetzung, um die Kontrolle der Asylgesuche nicht erst in Deutschland, Österreich oder Schweden vorzunehmen. Wirkung: Diese Rückkehr zum Prinzip des Dublin-II-Abkommens wäre eine Verlagerung der Lasten, die die europäischen Binnenstaaten deutlich entlasten, die Südländer aber wiederum belasten würden. Doch der Bau solcher Lager dauert Wochen und wäre vor dem Winter kaum noch möglich.
Rückführungsabkommen sind ein probates Mittel, doch eine schnelle Wirkung ist nicht zu erwarten
Nach wie vor weigern sich die meisten Oststaaten, Flüchtlinge aufzunehmen. Auch am Sonntag war nicht erkennbar, dass sie bereit sind, diese Einstellung zu ändern. Dabei wäre eine faire Zuweisung der Asylbewerber auf die Mitgliedstaaten ein entscheidender Durchbruch, der die großen Aufnahmeländer entlasten würde. Wirkung: theoretisch hoch. Politisch scheint diese Forderung aber derzeit in der EU nicht durchsetzbar.