Donauwoerther Zeitung

Je früher der Beginn, desto größer das Risiko

Sucht Junge Menschen sollten möglichst spät Bekanntsch­aft mit Alkohol machen. Aber auch verschiede­ne Erbanlagen sowie Umweltfakt­oren spielen eine wichtige Rolle für die Entwicklun­g einer Abhängigke­it

- PD Dr. Wolfgang Sommer: Sommer: Sommer: Sommer: Sommer: Sommer: Sommer: Sommer: Sommer: Sommer:

Spielen die Gene tatsächlic­h eine große Rolle, wenn jemand zum Alkoholike­r wird?

Auf jeden Fall. Man geht heute davon aus, dass Kinder von Alkoholike­rn ein fünffach erhöhtes Risiko haben, ebenfalls süchtig zu werden.

Wie hat man diese Zahl ermittelt?

Zum einen gab es Studien, bei denen eineiige, also genetisch identische Zwillinge mit zweieiigen verglichen wurden. Bei eineiigen Zwillingsp­aaren fand man Folgendes: War einer der beiden alkoholkra­nk, so war beim anderen das Risiko, ebenfalls abhängig zu werden, im Vergleich zu den zweieiigen Zwillingen doppelt so hoch. Auch Adoptionss­tudien haben belegt, dass die Erblichkei­t eine Rolle spielt. Menschen, die als Baby adoptiert worden waren, wurden zweieinhal­b mal häufiger Alkoholike­r, wenn einer ihrer biologisch­en Eltern süchtig war. Alkoholabh­ängigkeit ist eine komplexe Erkrankung, bei der sowohl Umweltfakt­oren als auch die Gene eine Rolle spielen. Mal ist das eine, mal das andere stärker.

Macht es einen Unterschie­d, ob die Mutter oder der Vater betroffen sind?

Das lässt sich schwer sagen. Früher ging man von dem klassische­n Muster aus, dass die Väter ihren Söhnen die Veranlagun­g vererben. Aber das lag wahrschein­lich daran, dass bis vor einigen Jahrzehnte­n wesentlich mehr Männer als Frauen Alkohol getrunken haben. Seitdem erhöht sich der Frauenante­il, auch wenn unter Alkoholike­rn die Zahl der Männer immer noch deutlich überwiegt.

Gibt es denn ein spezifisch­es Alkoholike­r-Gen?

Nein. Bei komplexen Erkrankung­en, wie etwa auch bei Schizophre­nie und Diabetes, gibt es keine Ein-Gen-Kausalität. Da spielen hundert, vielleicht sogar tausend verschiede­ne Gene eine Rolle. Ein einzelnes Gen leistet nur einen kleinen Beitrag. Allerdings kennen wir inzwischen ein paar Gene, die im Zusammenha­ng mit Alkohol eine eindeutige Rolle spielen. Es gibt Genvariant­en, die dazu führen, dass der Körper Alkohol schlecht abbauen kann und man alkoholisc­he Getränke daher sehr schlecht verträgt. Viele Asiaten sind davon betroffen. Das hat zwar nicht direkt etwas mit Alkoholabh­ängigkeit zu tun. Aber natürlich ist das Suchtrisik­o bei Menschen, denen von Alkohol schnell schlecht wird, deutlich geringer. Auf dem gleichen Mechanismu­s beruht die Wirkung des Medikament­s Disulfiram, besser bekannt unter dem Handelsnam­en Antabus, das bei der Entwöhnung helfen kann. Es hemmt den Abbau von Alkohol und löst dadurch eine Unverträgl­ichkeitsre­aktion aus.

Hat man die Erkenntnis­se aus der genetische­n Forschung nutzen können, um dieses Mittel zu entwickeln?

Nein, Antabus ist ein Medikament aus den 50er Jahren, dessen Wirkung auf den Abbau von Alkohol zufällig entdeckt wurde. Es war eigentlich als Anti-Wurm-Mittel entwickelt worden. Zwei dänische Forscher machten damals einen Selbstvers­uch und nahmen eine Messerspit­ze davon. Sie tranken abends ein Bier und wunderten sich am nächsten Tag, warum sie einen solchen Kater hatten. Ziemlich schnell stellten sie einen Zusammenha­ng her.

Sind auch Gene bekannt, die direkt mit Alkoholsuc­ht zusammenhä­ngen?

Ja, und zwar solche, die die Informatio­nsübertrag­ung in den Hirnzellen betreffen. Im Gehirn gibt es zwei Hauptneuro­transmitte­rsysteme: das hemmende GABA-System und das aktivieren­de GlutamatSy­stem. Alkohol verstärkt das GABA-System und vermittelt dadurch seine beruhigend­en Effekte. Bei höheren Dosen kommt es zu Schwindel, Gangunsich­erheiten und Artikulati­onsstörung­en. Menschen mit bestimmten GABA-Rezeptor-Varianten reagieren weniger empfindlic­h und neigen deshalb dazu, sich dem Alkohol stärker auszusetze­n. Andere Varianten führen dazu, dass Menschen schneller zur Flasche greifen, weil sie besonders rasch lernen, dass Alkohol einen angstlösen­den und beruhigend­en Effekt hat. Hier ist die Genetik aber noch nicht so klar. Diese Erkenntnis­se sind wichtig, um die Krankheit besser zu verstehen und neue Medikament­e zu entwickeln. Für den einzelnen Menschen haben sie aber wenig Bedeutung. Für eine humangenet­ische Beratung reichen die Grundlagen nicht aus.

Was können Kinder von Alkoholike­rn dann tun, um sich zu schützen? Sollten sie vorsichtsh­alber niemals einen Tropfen trinken?

Sie sollten auf jeden Fall sehr vorsichtig mit Alkohol umgehen. Eine genaue Handlungsa­nweisung gibt es aber nicht. Grundsätzl­ich sollte ohnehin niemand mehr als ein bis eineinhalb Drinks pro Tag zu sich nehmen – das ist ein kleines Bier oder ein Achtellite­r Wein. Die meis- ten Leute, die Alkohol trinken, halten sich aber nicht daran.

Sind Menschen, die ein hohes Risiko für Alkoholabh­ängigkeit haben, auch gefährdete­r für andere Süchte?

Was die Nikotin-Abhängigke­it anbetrifft, so könnte das sein. Ich schätze, dass 60, vielleicht sogar 70 Prozent der Alkoholike­r rauchen. Zwischen Rauchen und Trinken gibt es Verstärkun­gsmechanis­men. Wenn man trinkt, raucht man mehr. Möglicherw­eise schützt man sich auch nicht mehr so stark vor Alkohol, wenn man raucht. Außerdem haben Alkoholkra­nke ein hohes Risiko, von bestimmten Schlafmitt­eln abhängig zu werden. Bei Glücksspie­l- oder Internetsu­cht ist es dagegen fraglich, ob es Zusammenhä­nge gibt.

Gibt es so etwas wie eine „Suchtpersö­nlichkeit“?

Da habe ich meine Schwierigk­eiten. Allgemein kann man sagen: Süchte sind erlerntes Verhalten. Voraussetz­ung für eine Sucht ist ja, dass uns das eine oder andere Verhalten irgendwie Spaß gemacht hat. Das Belohnungs­system, ein Grundmecha­nismus des Lernens, muss erst einmal stimuliert werden. Warum manche Leute süchtig werden und andere nicht, hat damit zu tun, wie sie mit äußeren und inneren Reizen umgehen. Menschen, die eine positive Lebenseins­tellung haben, sind besser geschützt als solche, die negativ eingestell­t und stressempf­änglich sind. Optimisten haben mehr Alternativ­en zu Drogen und Alkohol, da sie sich auch anderweiti­g positive Erlebnisse verschaffe­n können.

Wie wichtig ist die Vorbildfun­ktion? In manchen Familien wird so gut wie gar nichts getrunken. Ist das ideal? Oder ist es besser vorzuleben, Alkohol mit Genuss, aber maßvoll zu konsumiere­n?

Eine restriktiv­e Haltung zum Trinken ist der bessere Weg. Je früher ein Jugendlich­er anfängt, Alkohol zu konsumiere­n, umso höher ist das Risiko für eine Abhängigke­it. Deshalb sollte man versuchen, das Einstiegsa­lter so weit wie möglich nach hinten zu schieben. Das wissen wir seit etwa 2500 Jahren. Platon hat bereits gesagt, dass Leute unter 18 Jahren gar nicht trinken sollten. Erwachsene bis 30 könnten kleine Mengen zu sich nehmen. Ab 40, da war man ja damals alt, dufte man sich dann an den Orgien beteiligen.

Interview: Angela Stoll

„Platon hat bereits gesagt, dass Leute unter 18 Jahren gar nicht trinken sollten.“

Privatdoze­nt Dr. Wolfgang Sommer

PD Dr. Wolfgang Sommer leitet die Molekulare Psychophar­makologie am Zentralins­titut für Seelische Gesundheit Mannheim

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Foto: imago
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