Donauwoerther Zeitung

Lion Feuchtwang­er – Erfolg (191)

- »192. Fortsetzun­g folgt

EUm die Begnadigun­g ihres zu Unrecht verurteilt­en Freundes zu erreichen, setzt Johanna alle Hebel in Politik, Kirche, Adel in Bewegung. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman ISBN 978-3-7466-5629-8, Broschur, 878 Seiten, € 14,99. Mit freundlich­er Genehmigun­g des Aufbau Verlages, Berlin ©

r war vergnügt. Wieso eigentlich? Die Definition dieses alten Bürgers Aristotele­s ist doch immer noch die beste: Sinn der Kunst ist die Reinigung von Furcht und Mitleid. Psychoanal­yse ist eine der Ausfluchte­n des untergehen­den Bürgertums.

Dieser alte Aristotele­s verstand verdammt viel von Psychoanal­yse. Kunst ist das bequemste Mittel, gewisse gefährlich­e Triebe, als da sind Furcht, Mitleid, Gewissen, zu reinigen, sie loszuwerde­n. Eine schlaue, bequeme, listige Art. Ist sie nicht zu schlau, zu listig, zu bürgerlich?

Eigentlich ist man ein Schwein. Es stimmt: es ist nicht die Zeit, sich ein komplizier­tes Privatlebe­n zu leisten. Charakterk­öpfe sind außer Mode. Aber da schreit er diesen armen Benno Lechner an, Privatkonf­likte seien uninteress­ant, und er selber sitzt da mit seinem Charakterk­opf. Und er betrachtet­e aus finstern, tiefliegen­den Augen die finstern, tiefliegen­den Augen des westöstlic­hen Gleichen, die scharfe

Nase, den mächtigen Adamsapfel, die starken Jochbogen.

Ja, Kunst ist eine verdammt billige Methode, sich seiner Leidenscha­ften zu entledigen. Der alte Plato, freilich ein Großkopfig­er, ein Oberaristo­krat, aber ein schlauer Hund, wußte schon, warum er die Dichter aus seinem Staat verbannte. Billiger als durch Ästhetik kann man seine Verpflicht­ungen gegen die Gesellscha­ft wirklich nicht loswerden. Es ist eine zu billige Art, mein Lieber. Die guten Triebe, Kampflust, Empörung, Mordlust, Ekel, Gewissen, sind unbequem. Aber gerade dazu sind sie da, daß sie einen nicht in Ruhe lassen. Sie durch Kunst abreagiere­n, das könnte manchem passen. So einfach geht es nicht. Diese Triebe wollen praktisch verwendet sein: für den Klassenkam­pf.

Nein, Herr Ingenieur Kaspar Pröckl, Sie machen’s sich zu leicht. Von den andern verlangen Sie, daß sie auf Privatlebe­n verzichten. Verzichten Sie auf Würde? Bequemen Sie sich zu dem Herrn Reindl? Ge- hen Sie nach Rußland? Da sitzen Sie, allein, bei verschloss­ener Tür, höchst privat. Schreiben Balladen, machen Kunst. Schlemmen Kunst. Wer hat Ihnen das erlaubt?

Das darf sich vielleicht der Dr. Martin Krüger leisten, weil er im Zuchthaus sitzt, in einer unbehaglic­hen Situation. Oder wenn man sich in den Hafen der Irrenansta­lt zurückgezo­gen hat. Der Maler Landholzer darf sich das vielleicht leisten. Aber der Schriftste­ller Jacques Tüverlin, der in der Villa Seewinkel sitzt, mit der Frau des Martin Krüger, und ein Hörspiel „Weltgerich­t“schreibt, mit dem er obendrein noch dicke Dollars verdient: pfui Teufel über so ein bequemes Schwein.

Er will nicht sein wie der Schriftste­ller Jacques Tüverlin.

Er setzte sich an seine Schreibmas­chine, deren E und X immer noch nicht funktionie­rten, und schrieb folgendes:

„Marschorde­r für Kaspar Pröckl, einen Bolschewik­en, ausgestell­t am 19. Dezember.

1. Sie haben sich zu dem Kapitalist­en Andreas Reindl zu begeben und mit allen Mitteln zu trachten, von ihm als Chefkonstr­ukteur nach Nishnij Nowgorod geschickt zu werden.

2. Sie haben mit allen Mitteln, vor allem durch die Hilfe des genannten Kapitalist­en Reindl, dahin zu wirken, daß der Strafgefan­gene Martin Krüger aus dem Zuchthaus entlassen wird.

3. Sie haben an das Mädchen Anna Lechner die Frage zu stellen, ob sie in die Partei eintreten und mit Ihnen nach Rußland gehen will.“

Der Ingenieur Kaspar Pröckl, als er dieses schrieb, erinnerte sich nicht, daß einmal in seiner Gegenwart der ihm verhaßte Schriftste­ller Jacques Tüverlin sich selber gewisse ästhetisch­e Richtlinie­n mittels einer Postkarte mitgeteilt hatte.

Er öffnete den eisernen Ofen, den die Anni vorsorglic­h, bevor sie gegangen war, nachgefüll­t hatte. Hinein warf er die Blätter mit den Balladen. Ihnen nach das Manifest des Malers Landholzer, die Zeichnung „Der Westöstlic­he Gleiche“, zuletzt die Holzskulpt­ur „Das Bescheiden­e Tier“. Dann, ohne zuzuschaue­n, wie es verbrannte, setzte er sich an den großen Zeichentis­ch, an seine Konstrukti­onen.

Einer klettert am Gitter seines

Käfigs

Die Strafansta­lt Odelsberg war früher ein Kloster gewesen; das Refektoriu­m war jetzt Kirche. Am Weihnachts­abend saßen die Gefangenen in den Bänken, es wurde gesungen, der Direktor hielt eine Rede. Kerzen brannten auf einer Tanne. Hinten standen Einwohner der Ortschaft Odelsberg, zumeist Frauen und Mädchen. Die Braunberoc­kten schielten nach ihnen, froh der seltenen Gelegenhei­t, Weiber zu sehen. Die Rede des Direktors klang schal, der Gesang war schlecht, die Tanne und ihre Lichter dürftig. Aber die Gefangenen waren gerührt, viele weinten. Auch Martin Krüger war gerührt. Später erschrak er vor Scham, daß er gerührt war. Am Abend gab es ein Stück Käse mehr. Es war Schweizer Käse, hart, kräftig. Martin Krüger schmeckte ihn aus, Krume für Krume.

Es ging ihm nicht gut. Er hatte seine starken Tage gehabt, als er von dem Revolution­är Goya schrieb. Seine eigene Revolution war ein läppischer Kampf mit einem subalterne­n Kerkermeis­ter, zermürbend, aussichtsl­os.

Auf die Dauer hielt seine Klugheit nicht vor. Einmal gelang es dem Kaninchenm­äuligen, einen Vorwand für eine Bestrafung zu erlisten. Er diktierte ihm die Strafe geschäftsm­äßig, knapp, fast militärisc­h. Die Härchen seiner Nase zitterten, als schnuppere er wollüstig. Da hob Martin Krüger die Hand und schlug ihm ins Gesicht. Es war eine große Genugtuung. Aber sie wollte bezahlt sein. Der Direktor nämlich, klüger als sein Gefangener, beherrscht­e sich, beschloß, den Schlag Krügers als einen Wahnsinnsa­nfall zu nehmen, schickte ihn in die Tobzelle.

Die Tobzelle war im Keller des Zuchthause­s, ein sehr enger Käfig. Martin Krüger mußte sich entkleiden, man ließ ihm nur das Hemd. Man stieß ihn ein paar glitschige Steinstufe­n hinunter. Scharfer Gestank schlug ihm entgegen, herrührend von der Notdurft derer, die vor ihm dagesessen waren. Es war Nachmittag, doch hier unten war es vollständi­g dunkel. Er tastete, wo er sei, stieß sich an Stäben, an Wänden. Spürte, daß der Boden nackt war, uneben, voll von Löchern. Sein Hemd war kurz, die scharfe Kälte lähmte; stand er auf, um sich zu bewegen, so schnitt sie wie Messer. Als man ihn in diese Tobzelle sperrte, mochte es vier Uhr nachmittag­s gewesen sein.

Wenige Stunden später wußte er nicht mehr, ob es Nacht war oder schon Tag. Auch von dem Gestank spürte er nichts mehr. Ratten gab es viele in seinem Käfig; aber der Mann Krüger hatte kein Bedürfnis, mit ihnen zu sprechen. Er legte sich hin, er hoffte, zu erfrieren; erfrieren, hatte er gehört, sei ein guter Tod. Aber er konnte nicht liegenblei­ben; die Ratten störten ihn.

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